Doch kein Banner flatterte, um das erste Gründungsfest am 20. November des gleichen Jahres zu schmücken. Die einstige Gesangssektion des Arbeitervereines war wohl im Besitze einer Fahne gewesen. Hausdurchsuchungen hatten di,e behördlichen Organe veranstaltet, um dies „gefährliche" Instrument der Arbeiterschaft zu konfiszieren. Wo konnte es zu finden sein? Bei der Fahnenmutter natürlich! Und diese brave Frau deckte das Symbol der im Li,ede vereinigten Arbeiterschaft mit ihrem Körper; sich krank stellend, weigerte sie sich standhaft, das Bett zu verlassen, in dessen Kissen die Fahne verborgen war. Was die für die ersten Jahre spärliche Chronik des Vereines verschweigt, sei dankbar durch die Festschrift zum 50jährigen Bestande des „Stahlklanges" dem Vergessen entrissen: Ehre der tapferen Fahnenmutter Magtlalena Exler. Später wurde diese Fahne an den Salzburger Arbeiterchor abgegeben. Dieser Bruderverein ist zu unserem Jubelfeste unser Gast. Ihm sei ein doppeltes „Willkomm!" beschert, denn ihm voran wird diese unsere ehemalige Fahne getragen, frei, in der freien Republik! Der „Stahlklang" war durch opferfreudige Spenden vieler Sangesbrüder sowie durch edle Gönner aus den anderen Steyrer Gesangsvereinen, ,,Liedertafel" und „Kränzchen" in der Lage, 1886 eiine neue Fahne zu erwerben, um die sich getreu den Worten der Chronik, die Freunde „in heiteren und sturmbewegten Tagen" geschart haben und stets scharen. Einstimmiges Lob aus allen Kreisen der Stadt Steyr zollt die Presse anläßlich des obgenannten, ersten Gründungsfestes den Leistungen des jungen Vereines, ein Fest, das wieder alle Gesangsvereine Steyrs, ,,Kränzchen" und „Liedertafel" zu edlem Zwecke vereint sah. Dieses eiillstimmige Zusammenwirken fand 1885 seinen schönsten Ausdruck in dem Zustandekommen des „Steyr-Kremstaler Gauverbandes", dem außer den dr,ei Steyrer Gesangsvereinen: ,,Stahlklang", ,,Kränzchen" und „Liedertafel" der „Liederkranz" Bad Hall, die „Liedertafel" Kirchdorf, ,,Harmonie" Kremsmünster und „Liedertafel" Sierning angehörten. Ein Menschenalter nach 1848 vermochte eben noch ein freies Lied Menschen verschiedenster Berufszweige zu vereinen. Und als Hauptgründer und erster Obmann des A r b e i t e r gesangsvereines „Stahlklang" steht der Schneidermeister J. Vögerl an ehrender Stelle der Vereinschronik. „Meister rührt sich und Geselle ..."; der Arbeiterstand war vom Bürgertum noch nicht zum „vierten" Stand degradiert. Jährliche Festkonzerte in der Folge zeigten den Verein in zäher Steigerung seiner gesanglichen Leistungen, Silvesterfeiern, alljährliche Faschingsunterhaltungen mirt: abschließendem „Heringsschmause", frohe Sängerfahrten schlossen immer festere Bande um Mitglieder und Brudervereine und aus so manchem freudigen und traurigen Anlasse ist der„Stahlklang"gerufen worden, dort ein Jubellied, hiier einen Trauergesang anzustimmen. Keiner Pflicht hiJt sich 6 der „Stahlklang" entzogen. Auch am Grabe des ersten Arbeitgebers in Steyr, Josef Werndl, ertönte anno 1889 des, ,,Stahlklangs" Tr~uerchor. Fast symbolisch mutet es an, wenn damal~ - der 1._ Ma1 war der Tag des Leichenbegängnisses - der Arbeiter A. Frimmel an Werndls offener Gruft zu sagen wagte: Weit entfernt, uns die Gunst unserer (kapitalistischen) Gegner zu erheucheln sondern vielmehr unseren Gegnern, von denen wir nur zu oft verhetzt und verfolgt wurden, und die uns jede Moral absprechen, zu zeigen, daß auch wir dem Spruche zu huldigen wi,ssen: ,,Ehre, wem Ehre gebührt", deshalb war die Arbeiit:erschaft Steyrs, voran der „Stahlklang" am Grabe versammelt. Von Angehörigen des Toten und Fernerstehenden ward die objektive taktvolle Haltung des Vereines und der Arbeiterschaft anerkan~t. Dennoch! - Als knapp um Fronleichnam Exzesse stattgefunden hatten, wurde der „Stahlklang", trotz dem glänzenden Alibi seiner MitgJ.i,eder, die zur Zeit der Plünderungen u. a. Exzesse zur Probe versammelt waren, am 22. Juni 1889 behördlich sistiert; sieben Wochen nach Frimmels Grabrede! Erst im Julii durfte der Verein seine Tätigkeit wieder aufnehmen. Unter solchen Verhältnissen mußte sich allmählich ein Wandel in der bisher noch wenig betonten polirtischen Einstellung des Vereines vollziehen. Trotzdem der Verein bisher die Pflege des Liedes über alle Interessen gestellt hatte, war er als eine Organisation der so gefürchteten Arbeiterschaft unschuldigerweise durch eine ~istier~mg bestraft worden. Die staatlichen Behörden selbst also wiesen ihm an, welcher „Klasse" er angehöre. Und das Bürgert~m rüc~te meh~ und mehr ab von seinen Kampfgenossen von 1848, fuhlte sich dabei wohl, von den oberen, den privilegierten Ständen geduldet zu sein, nahm den Begriff „dritter Stand" für sich allein in Anspruch. Der „Stahlklang" wurde zum Gesangsverein des „vierten Standes"! In stolzem, zukunftsfrohem Bewußtsein dieser Tatsache aber war an jenem bedeutsamen 1. Mai 1890 der „Stahlklang" der Mittelpunkt und Lebensnerv aller Veranstaltungen. Zu den bisherigen Anlässen, welche den Verein in seinem Wirken gezeigt hatten, war also der 1. Mai getreten. Der „Stahlklan&'" gab den Steyrer Maifeiern sein festliches Gepräge; der erste Mai aber stempelte den „Stahlklang" ganz besonders zu einem so~ialdemokratischen Gesangsverein. Das schon längst gepflegte, b~1 Konzerten und anderen Anlässen wiederholt gesungene „Lied der Arbeit" war gleichsam als „polifi.sches Motto" neben das alte Motto getreten. Durch diese Einstellung ist der „Stahlklang" eine der wichtigsten, ja die wirkungsvollste Keimzelle der „Freien Gewerkschaften" Steyrs geworden, und das ist seine erhabenste Leistung und Bedeutung. 7
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