In diese Zeit fällt auch die Tätigkeit des bekannten Arbeiterliederkomponisten Heinrich Riva (1894), der dem „Stahlklang"· allerdings nur kurze Zeit als musLkalischer Leiter vorstand. Die schwerste Probe auf sei'lle Lebenskraft erlebte der „Stahlklang" wohl während des Weltkrieges. Nicht nur, daß die Einberufungen zum Kriegsdienst den Mitgliederstand auf ein Minimum verringerten, mLt Argusaugen wurde jede Regung in Arbeiterkreisen von den Machthabern des sterbenden Habsburgerstaates beobachtet. Aber als 1918 und 1919 die glücklich Heimkehrenden sich wieder um die lyrageschmückte Fahne scharten, da galt es die junge Republik, eine sozialdemokratische Regierung und den ersten „roten" Bürgermeister Steyrs zu begrüßen. Ueber den ersten rauschenden Jubel senkten s·ich freilich die Not und Verarmung bringenden Folgen der Kriegszeit. Aus wirtschaftlichen Gründen mußte auf eine größere Feier des vierzigjährigen Bestandes verzichtet werden, ganz im Gegensatze zu den im ti1efsten Frieden stattgehabten Feiern des zehn-, zwanzig- und dreißigjährigen Vereinslebens. Und das fünfte Dezennium brachte statt Besserung nur neue Sorgen und Enttäuschungen. Die Sanierung der österreichischen Währung galt als Schlagwort der Reaktion. Sanierung soll heißen Gesundung! Es gedieh und gesundete aber· nur der reaktionäre Faschismus. Dem österreichischen Volke blieb es vorbehalten, den einem jedem Volke heiligen Heimatbegriff, die Heimatliebe zur Reklame einer reaktionären Gruppe zu erniedrigen. Man kann fünf Klassen von Menschen unterscheiden, die sich zur sogenanntenHeimwehr zusammengeschlossen hatten: Der Adel, mit dem Ziele, die Zustände womöglich vor 1848 anzustreben; jene Ueberzahl der Offiziiere, welche bei ihrem mangelhaften Bildungsgrad keinen Beruf finden konnten, der ihnen ebensolche Standesvorteile gebracht hätte, wie sie als Offiziere genossen hatten; Studentchen, die noch keine Sorgen um das tägliche Brot haben; nationale Turner und ahnungslose Bauernjungen. Offen sei's gesagt: Im Herbst 1930 stand diese bewaffnete Schar vor dem Putsch; der bürgerliche Heeresminister stand auf ihrC'r Seite. Schon wollte man die Arbeiterschaft der Waffen berauben. Auch das Vereinsheim des „Stahlklangs" wurde aufWaffen durchsucht- ohne Erfolg. Als aber statt des Putsches der Reaktion doch normale Nationalratswahlen stattfanden, brachten diese den Sieg der nur noch fester zusammengeschlossenen, stärker gewordenen Sozialdemokratie. Im Zeichen dieses Sieg-es erklang am 12. November 1930 des „Stahlklangs" Lied. Wie vor 50 Jahren, wohl aber auf viele Erfolge der Arbeiterschaft zurückblickend, und in einem viel freier, überwiegend republikanisch gewordenen Europa steht der Steyrer Arbeitergesangverein ,,Stahlklang" im Kampf der Arbeiterschaft um Erhaltung und Vollendung ihrer Ziele. Andere Namen verkündet die Liste der Mit8 glieder, aber ihre Gesinnung ist dieselbe wie die der Männer vor einem halben Jahrhundert. Frei, einem hohen Ziele zustrebend, hat der „Stahlklang" besonders unter dem seit 1920 wirkenden Chormeister Eduard Fremuth einen Höhepunkt künstlerischer Leistungen erklommen, wie noch nie. Die bedeutend gesteigerten Ansprüche, die heute die Oeffentlichkeit auch an die Arbeitergesangsvereine stellt, die ernst genommen werden wollen, brachte es in richtiger Erk•enntnis dieses Umstandes mit sich, daß die gesangliche Tätigkeit im Laufe der letzten Jahre auf ernstes Konzertstudium umgestellt wurde. Hatte es in früheren Jahrzehnten genügt, mit dem Liede agitatorisch für unsere Weltanschauung zu wirken, so muß heute ein Arbeiterchor auch eine künstlerische Entwicklung zeigen. Die im letzten Jahrzehnt ausnahmslos als Stuhlkonzerte abgehaltenen Aufführungen zeigen eine von Jahr zu Jahr aufsteigende Lini1e, die auch schon größere Werke im Programm verzeichnen. Zur Erreichung des gesteckten Endzieles war auch die Einführung des gemi1schten Chores notwendig und hat mit seiner restlosen Eingliederung der früher selbständige Arbeiter-Frauenchor das schönste Beispiel des richtigen Erfassens unserer Aufgabe gezeigt. Um nun am Nachwuchs das nachzuholen, was uns Erwachsenen an gesanglicher Vorbildung fehlt, führt nun der Verein seit einiger Zeit eine eigene Sing s c h u 1e für Kinder und .Tugfmdliche. Das sind nun fürwahr kei,ne kleinen Aufgaben, und so tritt nun der Verein mit 77 Männern, 62 Frauen und 63 Zöglingen der Singschule in das zweite Halbjahrhundert in der Form des V o l k s c h o r e s, in dem Mann, Frau und Kind die Möglichkeit gesanglicher Tätigkeit gegeben ist. Fürwahr eine edle Sache, der sowohl unser Chormeister Genosse Fremuth, als auch unser langjähriger, verdienstvoller Obmann Gen. Rudolf Hitzelhammer mit ganzer Hingabe dienen und Kunde gibt, daß der Verein im vollsten Sinne des Wortes durch geleistet hat. 50 Jahre Kulturarbeit So darf der „Stahlklang" das erste halbe Jahrhundert trotz'der Ungunst zeitlicher Verhältnisse unter glücklichen Hoffnungen• auf die Zukunft feiern. Treu geblieben seinem Wesen als Gesangsvereih der Steyrer Arbeiterschaft, treu seinem Ziele, der Förderung von Gesang und BHdung, treu seinem Glauben an den unaufhaltsamen Aufstieg der Arbeiterschaft, tritt er in das zweite Halbjahrhundert. Di1e vom Sängergenossen Fritz Graßnigg mit vielem Fleiß geschriebene Chronik der ersten fünfzig Jahre schließt sich und auf dem ersten Blatt der neuen Chronik künde der Bericht ein1rohes Gelingen des Jubelfestes und den Gruß an alle Sangesbrüder, Gäste und Gleichgesinnte ein weithinschallendes: Sang frei ! 9
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