Festschrift 50 Jahre Befreiung Österreichs

U m zwei Uhr früh schon waren die Milchholer bei den ersten Bauernhöfen. In ganz Steyr-Ost gab es nicht einmal zehn intakte Lastautos, und die paar waren Holzvergaser. Viele Stunden lang muß– te das Milchkommando Treibstoff besorgen, das heißt Holz schneiden und hacken. GRASSL-GUT im Ennstal. Von Mai bis Ende Juli 1945 wur– de die Milch für die Steyrer Bevölkerung von Bauernhö– fen bis Losenstein, Behamberg und Damberg-Unterwald abgeholt T rotz dieser ungeheuren Schwierigkeiten war es möglich, die Kleinkinder und Säuglinge sowie die stillenden Mütter mit Milch zu versorgen. Erst Wochen später gelang es, Molkereieinrichtungen aufzutreiben und im Brauereigebäude der Pacher– gasse entstand eine eigene von den Kommunisten geschaffene Molkerei unter der Leitung von Julius Böhm. Es war eine Sensation, über die sich alle freu– ten, als zum ersten Mal nach langer Zeit zwei De– kagramm Butter für jedes Kleinkind erzeugt und ausgegeben werden konnte. Die Kunstmühle Handstanger in Losenstein hat Hafer ge– mahlen und die Bevölkerung von Steyr-Ost hatte Haferbrot 23 A m 8. Mai 1945 gab es in Steyr-Ost kein Brot, kei– nen Sack Mehl oder Getreide. Aber auf ver– schwiegenen Wegen erfuhren die Stadtfunktionäre, daß unweit der Stadt 17 Waggon Hafer lagen. In mühsamer Arbeit wurde der Hafer nach Steyr ge– bracht, gemahlen und Steyr-Ost hatte Haferbrot, etwas trocken und brüchig, aber es füllte immerhin die hungrigen Mägen. Die Fleischrationen standen in den ersten Tagen der Teilung nur auf dem Papier. Im Garten des Kinderfreundeheimes auf der Enns– leite tummelten sich eingefangene rferde von der Wehrmacht. Seltsam die Tiere wurden von Tag zu Tag weniger, dafür aber gab es bei den Fleischhauern auf der Ennsleite und im Wohngebiet Münichholz frisches Fleisch. E in nicht zu unterschätzendes Problem war das fehlen von Geld. Die Stadtkasse befand sich im Rathaus und das Rathaus lag in Steyr-West. Die Ge– meinde Steyr-Ost hatte keine Mark in ihrer Kasse. Man brauchte aber Geld um die Arbeiter zu be– zahlen, um einkaufen zu können. Zwei Kommuni– sten übernahmen eine schwere Aufgabe. Franz Draber, eben der Todeszelle entronnen, und sein Freund Hans Strauß schwammen in finsterer Nacht über die Enns. Sie stellten die Verbindung zu den Funktionären von Steyr-West her. Sie bekamen Geld und durchschwammen noch einmal den Fluß, schli– chen sich durch die Postenkette und Steyr-Ost hat– te für eine Zeitlang Finanzmittel. Später, als die Ar– beit des neuen Gemeinderates schon besser ein– gespielt war, kamen die Stadtväter auf eine nahe– liegende Idee: In Steyr-Ost stand ein Finanzamt samt Kasse mit einem Hofrat als Vorstand. Kurz entschlos– sen beschlagnahmte die Stadtgemeinde die Kasse und beförderte den heftig protestierenden Hofrat zum neuen Stadtkassier. Diesmal hatte Steyr-Ost Glück. Wenige Tage später traf ein Schreiben von der Regierung aus Wien ein, das die Handlung der Stadtväter in dieser Frage legalisierte. D ie wiedererstandene Meinungsfreiheit verlang te gebieterische Informationsquellen, nach ei– ner Zeitung. Mit Hilfe der Besatzungsmacht schu– fen die Bewohner von Steyr-Ost ihre eigene Zei– tung. Nik Riedmüller, ein junger Journalist, der jah– relang im Konzentrationslager Dachau und Raming– dorf geschmachtet hatte, fungierte als Chefredak– teur. E in weiteres Problem tauchte auf, der Wunsch nach echter, unzensurierter Kunst. Die Wahrheit, auf der Leinwand und auf der Bühne. In Steyr-Ost gab es kein Theater, kein Kino. In langwierigen Ver– handlungen mit den Amerikanern, erreichte Rudolf Binderberger, der Kinobesitzer aus Garsten, daß er seine Vorführgeräte über die Enns bringen durfte. 1 n der Halle des ehemaligen „Deutschen Turnver– eines", einst die Hochburg der Steyrer Faschisten, entstand ein Kino. Gottfried Treuberg, ein beliebter Schauspieler, sammelte Künstler um sich und auf der Bühne des Turnsaales, bei schlechter Beleuch-

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