Festschrift 50 Jahre Befreiung Österreichs
Der Kreuzweg der Juden im April 1945 Die Mörder blieben geachtete Bürger D em Flußlauf der Enns folgend, windet sich von Steyr aus eine Straße ins Steirische Erzgebiet: Die Eisenstraße. Jahrhundertelang rollten schwere Eisenfuhren über sie, kraftstrotzende Gespanne treidelten Erzkähne den Fluß hinauf. In den letzten Apriltagen 1945 aber zog ein Zug des Elends die Eisenstraße herab: Viele hunderte abgemagerte Gestalten in gestreiften Kleidern, KZ-ler, politische Gefangene und Juden. Sie stammten aus Lagern in Südungarn. D er Vormarsch der Roten Armee hatte die Lager befreit, den Nazis aber war es gelungen, den Großteil der gehfähigen Häftlinge noch vorher in Marsch zu setzen. Wochenlang schon war die Ko– lonne unterwegs. Hunger, Kälte und barbarische Grausamkeit der Bewachungsmannschaften hatte den Zug der Elendsgestalten dezimiert. Auch die Bewachungsmannschaften waren weniger gewor– den. S treifen der 55 und der Wehrmacht zogen jeden halbwegs Tauglichen ab und warfen ihn an die Front. Die Nazis waren aber nicht verlegen. Es gab ja noch "Kämpfer der inneren Front", wohlgenähr– te Nazi-Bonzen, die bisher den Krieg nur auf der Landkarte verfolgt hatten und die sich zum Einsatz drängten. Nicht zum Fronteinsatz, das versteht sich, dort war ja das ängstlich gehütete Leben in Gefahr. Aber zum Transport der Gefangenen, zum Nieder– knüppeln der halbverhungerten Häftlinge reichte die patriotische Begeisterung auf alle Fälle. So rich– teten die Nazis im Ennstal eine Stafette des Grau– ens ein. An den Gemeindegrenzen übernahmen die Verbrecher in brauner Uniform den Transport, um ihn an der nächsten Gemeindegrenze den Nachbarn zu übergeben. Die Bewacher warenaus– geruhte, kräftige Männer, sie hatten reichlich Provi– ant mit, Speck und Brot, Schnaps und warme Dek– ken. D ie Häftlinge trugen ihre dünnen Kittel, ihre mit Blasen und Geschwüren bedeckten Füße steck– ten in Holzschuhen, der Hunger machte sie schwindlig. Unendlich langsam kroch der Zug wei– ter, viel zu langsam für die kräftigen Bewacher. Mit Prügel und Ochsenziemer schlugen sie auf die Un– glücklichen ein, schon begannen sich die Schwäch– sten aus dem Zug zu lösen. Ihre Kraft war zu Ende, sie hielten auch das langsame Tempo nicht mehr durch. Das gab Arbeit für die rohe Kraft der Bewa– cher. Unbarmherzig sausten Schläge auf die Nach– zügler hin, ohne zu zielen, wohin, auf den Rücken, Schädel, in die schmerzverzerrten Gesichter. Da und dort blieb einer liegen, auch die wildesten Schläge brachten ihn nicht mehr weiter. Da brachte man 12 einen Karren heran und warf die Regungslosen hin– auf. Tote, darunter manch einer, der sich noch reg– te, der Wagen war bald übervoll. Bis ein neuer Wa– gen herangeschafft war ließ man Tote und Halbto– te einfach am Wegrand liegen. E in Kleinhäusler, der damals beim Kraftwerkbau in Großraming gearbeitet hat, erzählt: "Plötzlich löste sich aus dem Zug ein einzelner Häft– ling. Er kümmerte sich um keine Schläge mehr, er war fertig, am Ende seiner Kräfte. Er setzte sich auf einen Stein und ließ den Zug teilnahmslos an sich vorbeiziehen. Bullige SA-Männer, gemästete Gold– fasane stürzten sich auf ihn. Von vielen Schlägen getroffen, brach er tot zusammen. In einer unüber– sichtlichen Kurve, an der Mündung eines Baches in den Fluß, sprang ein Häftling aus der Reihe, er woll– te sich unter der Brücke verstecken. Die Nazi-Be– wacher sahen ihn. Ein SA-Obersturmführer gab ei– nen kurzen Befehl, ein SA-Mann schoß den Flücht– ling nieder. Man weiß nicht ob er schon tot oder noch lebend war, mit einem Tritt beförderte man ihn in die Enns. Ein dem Verhungern naher Häftling erblickte am Wiesenrand einen Sauerampfer, er trat einen Schritt zur Seite und riß die verstaubte Pilan– ze ab, um wenigstens das Gefühl des Kauens zu spüren. Die Bewacher schlugen ihn nieder, bis er liegenblieb, ein mutiger Nazi-Schütze am Schluß der Kolonne gab ihm den Rest. Zurück blieb eine ab– gemagerte Leiche, tiefe Wunden am ganzen Kör– per, die Brust zerschossen und in der erstarrten Hand ein Büschel vom staubigen Sauerampfer.Wer den scharfen Augen der Bewacher entging, den entdeckten mit Sicherheit die 55-Bluthunde, die bellend und beißend den Zug umkreisten. "Wir haben in diesen Tagen so viel Elend und Not gese– hen, daß wir selbst schon ganz abgestumpft wa– ren" sagt unser Augenzeuge, aber eines werde ich nie vergessen können: Ein paar Häftlinge brachen aus dem Zug aus und rannten in den Wald. Die Hunde hinter ihnen her. Man hörte wütendes Ge– bell und markerschütternde Schreie. Kurze Zeit spä– ter kam einer der Bluthunde zurück, das Fell ge– sträubt, die Augen glasig und in seiner bluttriefen– den Schnauze trug er eine abgebissene Menschen– hand." G eschlagen, getreten und geschunden wankte der Zug der unglücklichen Opfer die Eisen– straße entlang. Niemand kennt bis heute die ge– naue Zahl der Opfer. Dutzende wurden verscharrt, einen Teil schluckte die Enns, deren schmutzig– braune Fluten die Schande der braunen Machtha– ber zudeckten.
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