40 Jahre Ennsleitenkirche - Ausstellung 2010

igarchitektursteyr 22 | 32 INSTRUMENT FÜR NEUES Federsel: In dieser Kirche sitzen die Menschen im Halbkreis. Sie können einander anschauen. Der Zelebrant sieht mehr lebhafte Gesichter und mehr Gottesdienstbesucher sehen den Zelebranten. Es wird also in dieser Kirche mehr gesehen und mehr kommuniziert. Und das macht schon was für die Liturgie. Die Sitzordnung war demokratischer als bisher. Wir saßen gewissermaßen „am Runden Tisch“. Die Betonkreuze sind nicht nur stabil, sondern in ihrer schlichten Einfachheit auch schön. Den grauen, farblosen Beton erfüllen die Menschen mit Farben, Liedern und Lachen. Wir haben in dieser Kirche auch getanzt. In den 70er-Jahren entstand „auf der Ennsleit’n“ das Jugendzentrum FIO, das an Aufgeschlossenheit, Intensität und Beliebtheit weit über die Grenzen Oberösterreichs bekannt war und bis zu 1.000 Jugendliche zu Messen kamen. Könnte man annehmen, die hier realisierte Architektur,- rational, analytisch und atmosphärisch kam dem kritischen Geist der Jugendlichen entgegen und/ oder verstärkte diesen? Federsel: Der kritische Geist der FIO-Jugendlichen hielt sich in Grenzen. Das Jugendzentrum war unpolitisch und auch nicht systemkritisch. Jenseits der Eltern fühlte man/frau sich in der gleichgesinnten Jugendgruppe wohl, lernte eine neue Dimension der Spiritualität kennen und ein gutes, positives Gottesbild tat auch gut. Die Jugend kam meist aus gutbürgerlichen Verhältnissen, Lehrlinge und Arbeiterkinder waren selten dabei. Jede Messvorbereitung veränderte das Glaubensbewusstsein der Jugendlichen. Systemanalytisch war nur die Sicht auf die Bibel, auf den Kontext des Lebens Jesu, aber nicht auf die Gesellschaft der Zeit damals in Steyr. Die Architektur bot viel Platz für Freiheit, Experimente und liturgischen Mut. Bemerkenswert ist das Gesamtambiente. Es entstand ein Hof wie in großen Bauernhäusern oder in einem Schloss: vorne die Kirche, rechts der Pfarrhof, links der Saal und der Eintritt war ein kleiner Glockenturm. So war die Atmosphäre irgendwie intim. In diesem Raum wurden Osterfeuer entzündet, Feste gefeiert und nach einer Jugendmesse trafen sich die Menschen zu Hunderten. Es gab auf der Ennsleite vorher kein ähnliches Zentrum und es gibt bis heute kein anderes. Wie viel hat die Entwicklung auf der Ennsleitenkirche mit der Entwicklung in Steyr zu tun? Pimingstorfer: Sehr viel, nicht unmittelbar und direkt ablesbar, aber Verbindungen sind dadurch gelungen. 1984 initiierte ich einen Versöhnungsgottesdienst anlässlich 50 Jahre Februarrevolution auf der Ennsleiten. Dazu muss man wissen, dass 1934 das Grundstück und ein sozialistisches Heim, das die Arbeiter selbst errichteten, in staatliche Treuhandschaft übergingen. Die Stadtpfarre suchte damals Raum für eine Kirche und hat dieses Grundstück um 13.000 Schilling gekauft. Dass dies den Arbeitern nicht gefallen hat, ist klar und dann gab es auch diese Revolution, wo alle aufeinander schossen. Zu diesem Versöhnungsgottesdienst lud ich daher auch die „rote“ Stadtführung, um über diese Zeit zu sprechen und um Vergebung zu bitten. Denn viele fühlten sich noch immer verletzt. Danach wurde unsere Kirche nicht mehr einem politischen Lager zugeordnet, teilweise nannten sie mich sogar den „roten Pfarrer“. Federsel: Die Ennsleitenkirche plus Liturgie und Pastoral hat für Steyr standhafte Persönlichkeiten hervorgebracht. Sie waren und sind ebenso einzeln wie unpolitisch. Die allermeisten FIO-Mitglieder, Pfarrangehörige und Priester kamen aus dem bürgerlichen Lager der ÖVP. Steyr wird seit Jahrzehnten von SPÖ-Politikern regiert. Das mag die Abstinenz des FIO von der Politik erklären. 1934 wurde auf der Ennsleite noch aufeinander geschossen. So was dauert. Die soziale Seele braucht noch Zeit zur Heilung.

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