Zwanzig Jahre Röda

spot auf Steyr – Eisenstadt – schon aus der Ferne hört man ihn – den Maschinensound – das Hämmern im monotonen Gleich- schritt mit über 140 Beats pro Minute. Je näher am Ge- schehen, umso ohrenbetäubender der Lautstärkepegel. Die Luft scheint zu stehen und ein heißer Schwall einer Mischung aus Nebeldunst und Schweiß macht sich breit. Seit über zwölf Stunden hat sich nichts an diesem Zustand geändert und es ist noch immer kein Ende in Sicht. Was sich wie die Geschichte der Eisenstadt Steyr und deren industrieller Vergangenheit liest, ist jedoch auch gleich- zeitig die Geschichte einer in Europa immer größer wer- denden Bewegung zu Beginn der 1990er Jahre, die auch ihren Weg nach Steyr fand. TECHNO, RAVE, LOVE, PEACE & UNITY – nur um ein paar Stichwörter zu nennen, wurden zu Synonymen ganzer Jugendgenerationen. Doch wie und wo entstand diese Bewegung? Ab Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die synthetische Klangerzeugung intensiver erforscht und weiterentwickelt. Kunstprojekte und Bands wie „Kraftwerk“ leisteten mit ihrem Minimal- sound Pionierarbeit im Bereich der elektronischen Musik und neuartige, bislang ungehörte Klänge entstanden und etablierten sich langsam. Diese „neue“ Art von Musik wurde auch in Amerika, vor allem in Städten wie Detroit wahrgenommen, weiterentwickelt und das Schlagwort „Techno“ fand zum ersten Mal in der uns heute noch be- kannten Form seine Verwendung. Techno, ursprünglich nicht als Dance Music, sondern vielmehr als „Futuristic Statement“ angedacht, verband im Laufe der Zeit den musikalischen Anspruch mit den inhaltlichen Elementen der damaligen House/Acidhouse und Gayszene. Kreiert von Menschen, die anders waren – groß gezogen von Menschen, welche anders sein wollten, verbreitete sich diese Bewegung in Europa im Laufe der 90er Jahre wie ein Lauffeuer und wurde zum Massenphänomen. Steyr – Fortgehverhalten in dieser Stadt Auch die Stadt Steyr wurde Teil dieser Bewegung. Doch bevor ich mich hiermit genauer befasse, möchte ich das Fortgehverhalten seit Beginn der 1990er Jahre in Steyr et- was genauer beleuchten und analysieren. Steyr und fortgehen war schon immer so eine Sache. An- spruchsvolle Discos oder Clubs gab es nicht. Die „Monte­ video Bar“ am Stadtplatz, die zu Beginn der 90er Jahre den Ansprüchen eines Clubs noch am ehesten gerecht wurde, konnte sich langfristig nicht durchsetzen und schloss schon nach ein paar Jahren ihre Pforten. Die Discothek „Six Pence“ im Nachbarort Wolfern war für viele Musikhörer, die an- spruchsvolleren Sound suchten, seit vielen Jahren das Wohnzimmer am Wochenende. Ausgestattet mit einem der besten Soundsysteme des ganzen Landes kann man durchaus von ersten Prägungen in Richtung Clubkultur und elektronischer Musik sprechen. Auch wenn der Fokus nicht rein auf elektronischer Musik lag, wurden in unseren Breitengraden erstmals typische Merkmale eines Club­ abends kombiniert. Diese waren Top Soundsystem, DJs die ihr Handwerk verstanden – DJ Monder sei hier erwäh- nenswert, Musikimporte meist in Form von Remixen im 12-Inch-Format. Aufgrund der abgeschotteten Lage der Stadt Steyr ohne Autobahnanschluss war es seit jeher so, dass kaum musik­ begeisterte Hörer aus anderen Städten wie Linz oder Wels, den Weg nach Steyr fanden. So gesehen hat es wohl nie- mand mit Geschäftssinn für wichtig empfunden, Steyr mit einem qualitativ hochwertigen Club, der seinem Namen gerecht wird und über längere Zeit auch wirtschaftlich funktionieren kann, auszustatten. Elektronische Musikgeschichte der letzten 25 Jahre in und rund um Steyr von Michael Gelsinger 218

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