Zwanzig Jahre Röda

Mit der Rückkehr von Mario, der zwischenzeitlich seine ei- gene Werkstatt in Haag betrieben hatte, wuchs die Werk- statt in der Folge beträchtlich an Mensch und Material, junge Schmiede aus der Schule, hochmotiviert die Grenzen des Machbaren auszuloten, befeuerten die neu gebaute XXL-Schmiedeesse und nach hundert Jahren Dornröschen- schlaf war der unnachgibige Sound der Schmiedehämmer wieder Teil der Geräuschkulisse im Wehrgraben. Unter dem Titel „Das Artelier Steyr“ war Mario federführend aktiv bei Schauschmieden und Schmiede- und Schweißworkshops. Gemeinsam mit dem Filmemacher Nikos entstand 2003 ein Filmchen zur Werkstatt, für das sich auch Kulturstadtrat Spanring zu lyrischem Input hinreißen ließ. Brachliegendes Gelände übt naturgemäß eine unwider- stehliche Anziehungskraft auf schöpferische Menschen aus und so darf es nicht weiter verwundern, dass das Gelände, nach dem Auszug der Wohngemeinschaft der „Kripperlbauer-Bande“ aus benachbarter Halle (Hr. Jäger und seine Freunde bastelten dort Jahr und Tag, sofern kein strenger Frost herrschte, am Interier der sogenann- ten „Jäger-Krippe“ am Teufelsbach unterm Tunnel …), Meter für Meter über sich hinauswuchs. Nachdem wir Holz zur Errichtung eines neuen Zaunes zur Verfügung ge- stellt bekommen hatten und fanden, daraus könne man doch noch zusätzlichen Werkstattraum bauen, bezog auch der Töpfer-Lois seine to(e)nen(d)e Heimat am Gaswerk­ gelände. Ausrangierte Lüftungsrohre konnten einen eben- so praktikablen Zaun bilden. Natürlich war das Werkstatt-Kollektiv nicht immer vor Kon- flikten gefeit. Irgendwann wandelte sich daher die Töp- ferei zur Nähwerkstatt mit gärtnerischen Ambitionen. Die Nutzung der Werkstätten war lediglich an eine Mitglied- schaft im röda gebunden, und an einen kleinen Kosten- beitrag, der sehr nachsichtig und eher selten eingehoben, wohl eher als Guten-Willens-Bekundung gewertet werden konnte, war es doch ein No-Budget-Projekt, das, wie ich persönlich vor allem später erkennen musste, dem zum Trotz erstaunliche Möglichkeiten geboten hat. Viele Workshops und Projektarbeiten für und mit ande- ren Vereinen und Initiativen fanden in den Jahren im Gas- werk statt, KünstlerInnen, Hobby-MetallerInnen, Tischler- und TöpferInnen, Menschen, die sich einfach mal einen eigenen Tisch bauen wollten ebenso wie Jungdesigner, die an experimenteller Ladeneinrichtung tüftelten, tra- fen sich und tauschten sich aus, oder machten einfach ihr Ding – von Möbelbau bis Bildhauerei, von Autos flicken über Stahlbau bis Damaszenerschwert, ob Freak-Bike, Raku-Brand-Vase, Upcycling-Tasche, Musikinstrument, Stahlplastik oder Feuershow. Seiltanzen und Bogenschie- ßen, eine Noise-Jam-Session anzetteln, mit dem Tretboot eine Runde drehen, in Feuer oder Wasser schauen oder springen, auf glühendes Eisen hauen und ab und zu mal brennen – innen und außen, Musik, Maschinenlärm und Stille – all das. Stichwort: open space, auch wenn dieser Begriff nur selten in den Mund genommen wurde, hieß es doch eher schlicht: „Gehn ma ins Gaswerk!“ oder: „I geh am Steg“. Ich glaube, die Gaswerkstatt war allem voran auch ein Sozialexperiment. Als relativ loser Anhang des Kulturhau- ses mit minimalst invasivem Reglement, war es immer ein kaum greifbares Gebilde, einerseits Träumeland im Grünen – am Wasser – inmitten der Stadt, eine zwanglose Spielwiese mit der Möglichkeit, dem eigenen kreativen Potenzial Flügel wachsen zu lassen, andererseits auch ein Ort, an dem man sich die Haare gleich in ganzen Büscheln vom Kopf raufen konnte, ob des oftmals überbordenden Wahnsinns. Sicherlich haben wir verabsäumt, kontinuier- lich kollektiven Output zu liefern, wie anfänglich erträumt, doch in offenen Gebilden wie diesem, ist Aktion eben nicht gerade Programm. Allerdings soll das die Relevanz des Ganzen keineswegs schmälern. Sagen wir einfach, die Werkstatt ist aus ihrem ursprüng- lichen Zweck insofern herausgewachsen, als dass sich die Möglichkeit frei veränderlicher Nutzung von naturnahem Raum inmitten der Stadt als Hauptanforderung an das Ge- lände herauskristallisiert hat und der nunmehrige Verlust desselben durchaus beträchtliche Löcher in die Identifi- kationsfähigkeit vieler AkteurInnen/RezipientInnen mit dem „Gretzl“ an sich und der Kultur darüber hinaus ge- rissen hat. Es gab hier also einen Ort, an dem die Fesseln der Regulierung sehr locker lagen. Nur so konnten wir beispielsweise auch einen Badesteg unterhalten, der un- seren Vitamin- und Hormonspiegel stets auf brauchbarem Niveau hielt. z Im Freigelände der Gaswerkstatt t Melted Men, 22. Juni 2006 158

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