Zwanzig Jahre Röda

ren von Bertold Brecht-Gedichten, gefolgt von einer end- losen Exegese. Beim Symposium herrschte strengste Hut- pflicht – keine Ahnung warum, aber sie wurde unerbittlich durchgesetzt. Das Bonifatius-Symposium war das Hochfest des Absurden, das mit allergrößter Ernsthaftigkeit und Be- triebsamkeit begangen wurde – somit ein würdiger Reprä- sentant dieser HYVE-Jahre. Durch eine schöne Parallelität war die HYVE umgeben vom röda, so wie ein Teenager-Zimmer vom Elternhaus umge- ben ist. Das röda war der Wirkungsbereich der „Großen“, wo eine verhältnismäßige Seriosität gefordert war, und die HYVE-Mannschaft hatte eine pubertäre Freude daran, innerhalb des röda eine Art subversive Substruktur zu bil- den. Teilweise war das freilich aus der Not geboren – nie- mand hätte genug Geld gehabt um die röda-Veranstaltun- gen ganz offiziell zu besuchen, daher musste man eben auf krummen Wegen in den Veranstaltungssaal gelangen. Sehr beliebt war die Ausrede, dass man eben nur schnell aufs Klo müsse – die Toiletten befanden sich im Bezahl- bereich, aber man musste die HYVE-Leute wohl über übel regelmäßig dorthin durchlassen. Das wurde besonders bei externen Veranstaltern zelebriert, die teilweise die HYVE- Leute nicht kannten und entsprechend erstaunt waren über dieses wunderliche Volk, das alle zehn Minuten Rich- tung Toilette durchhuscht. Oder, noch unterhaltsamer, bei Veranstaltern die die HYVE-Bagage sehr gut kannten und sich zur Wehr setzten, so wie Matteo Savio mit seinem „Let there be Rock“, der die Leute aufs Klo begleitete und „beaufsichtigte“, oder irgendwann dazu überging, Pfand- gegenstände an der Kasse zu verlangen. Mit besonderer Heimtücke verlangte er, dass man ihm das Dosenbier als Pfand lassen musste: Wenn man am Klo trödelte oder in Wahrheit im Veranstaltungssaal tanzte, wurde inzwischen das Bier warm. Einmal im Jahr durfte die HYVE ganz offi- ziell das röda übernehmen und den HYVE-Ball abhalten. Mit einem Ball hatte das freilich wenig zu tun. Highlights waren die Mitternachtseinlagen mit bombastischen Ver- kleidungen (unübertroffen: Thomas Treml als Dampfeisen- bahn) und der anschließende Wetttanz-Marathon, mit dem dämonischen David Aberl in der Jury, der einen Tänzer nach dem anderen unter irgendwelchen windigen Grün- den aus dem Wettbewerb warf (wer zu tanzen aufhörte, schied aus – es konnte Stunden dauern, bis es einen Sieger gab). Aber auch wenn die HYVE-Mannschaft eine gewis- se kindliche Freude daran hatte, die „Großen“ aus dem röda ein bisschen aufzuziehen, war sie natürlich sofort da wenn es hart auf hart ging. Im Sommer 2002 waren wir zur Stelle als es darum ging, den Schlamm aus dem röda zurück auf den Flussgrund zu schaufeln und das röda (und die HYVE) möglichst schnell besser und schöner wieder in Betrieb nehmen zu können. Was geblieben ist von den HYVE-Jahren? Eine Souveränität des Umgangs, ein Bewusstsein des „Es ist egal, was du hast, es zählt wie du bist“. In der HYVE wäre es undenkbar gewesen, die anderen mit Markenkleidung oder solchen Dingen beeindrucken zu wollen – das ist etwas, das man ins „richtige“ Leben mitnehmen kann. Geblieben ist die Fähigkeit zur Improvisation, die wunderlichsten und bom- bastischsten Dinge mehr oder weniger aus nichts herzu- stellen. Soll heißen: Man passt die Umstände dem Leben an und richtet nicht das Leben nach den Umständen aus. Und geblieben ist die Liebe zu paradoxen Interventionen und zu Unsinn aller Art – natürlich immer mit der gebüh- renden Ernsthaftigkeit betrieben. Und nur für den Fall, dass eine Amtsperson diesen Text liest: Aus den HYVE-Jungs und -Mädels sind allesamt brave Staatsbürger und Säulen der Gesellschaft geworden. Wir sind Anwälte, Ärzte, Ingenieure, Politiker, Wissenschafter und nicht zuletzt fürsorgliche Eltern für unsere Kinder. Trotzdem ists vielleicht ganz gut, dass nie ein Beamter ge- kommen ist um zu sehen, was in diesem Jugendzentrum eigentlich so gemacht wird. Ich bekam in einer kritischen Phase meines Lebens mit der HYVE genau jenen Freiraum, zu dem ich passte wie die Faust aufs Auge – dafür bin ich sehr dankbar. Die HYVE nimmt in den Erinnerungen an meine Teenager- Jahre einen zentralen Platz ein und ich habe keine Vor- stellung wie mein Leben ohne HYVE hätte aussehen sol- len. Oder was die jungen Menschen von heute so ma- chen sollen mit ihrem Leben, ohne HYVE. Man muss es in aller Deutlichkeit sagen: Eine Jugend ohne HYVE ist möglich, aber sinnlos. z Bonifatius-Symposium 2002. Von links: Stefan „Stonie“ Steiner, der Autor, Peter „Dr. Dr.“ Oser und Markus „Max“ Hauser 149

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2