Zwanzig Jahre Röda

Das Jugendzentrum hyve Um die letzte Jahrtausendwende befand sich einige Jah- re lang im Jugendzentrum HYVE der Mittelpunkt meiner Lebensinteressen. Nicht im Sinn des amtlichen Melde­ wesens vielleicht, aber viel hätte nicht gefehlt und es wäre angebracht gewesen mich von Amts wegen im Elternhaus ab- und stattdessen in der HYVE anzumelden. Es war die Zeit vor den Mobiltelefonen, aber es wäre auch sinnlos gewesen sich fürs Wochenende in der HYVE zu ver- abreden – so selbstverständlich war es, dass man einander dort Freitag- und Samstagabends treffen würden. Es ist schwer zu sagen, was in der HYVE eigentlich ge- macht worden wäre – meistens überhaupt nichts, wäre wohl die korrekte Antwort. Das klingt wenig spektakulär, aber genau das war das Besondere an der HYVE, dass sie im umfassendsten Wortsinn ein Freiraum war. Zunächst (und am wichtigsten) natürlich ein Freiraum im finanziel- len Sinn. In die HYVE konnte man ohne einen Schilling in der Tasche kommen und zum Gegenwert von 100 Schilling (50 Schilling für Dosenbier, Chips und eine Wurstsemmel vom Meindl, und nochmal 50 Schilling für weitere Dosen- biere, um irgendwelche Schnorrer durchzufüttern) konnte man den Abend ziemlich feudal begehen. Die HYVE war aber auch ein Freiraum im organisatorischen Sinn: Dort wurde einem nichts vorgesetzt und nichts geboten, es gab keine Workshops und keine Tischfußball-Turniere wie in anderen Jugendzentren, und es gab auch keine Sozial­ arbeiter die kommen und einen blöd anlabern. Die HYVE konnte sehr viel sein, aber man musste sich eben selbst darum kümmern – das war das Großartige. Erinnerungen sind heikel, besonders wenn sie die Vergan- genheit betreffen. Im milden Licht der Abendsonne sehen die Dinge anders aus als zu Mittag, wenn grelles Licht auch starke Schlagschatten wirft. Aber was soll man ma- chen: Ich habe die HYVE-Jahre als sehr schöne, sehr ent- spannte Zeit in Erinnerung, ohne große Katastrophen und Skandale. Letztlich waren wir allesamt recht brave Jungs und Mädels, die keine richtigen Probleme hatten und sich daher umso hingebungsvoller den Nichtigkeiten widmen konnten. Das scheint mir ein Charakteristikum dieser Jah- re zu sein: Die Hingabe und die Ernsthaftigkeit, mit der man sich dem Unfug widmete. Was wir für eine Energie aufbrachten, um zur Dekoration des Laubhüttenfestes Äste und Zweige herbeizuschaffen – man kann wirklich nur den Kopf schütteln. Die HYVE war egalitär, aber im Sinne einer Meritokratie. Jeder konnte kommen und es war egal, was oder wer er ist oder was und wieviel er hat. Das heißt aber nicht, dass jeder tun und lassen konnte, was er wollte – ganz im Gegenteil. Du willst ohne Hut ins Bonifatius-Symposium? Sicher nicht! Du nimmst einfach ein Dosenbier aus dem Kühlschrank, nur weil alle anderen das tun? Sicher nicht! Die Meriten der HYVE-Meritokratie waren freilich nicht durch irgendwas erworben, sondern einfach ersessen – wer länger und öfter da war, hatte mehr zu sagen, so wie das auch in jedem Vorstadtbeisl funktioniert. Mit dem Unterschied, dass in der HYVE mit den Jahren ein buntes und komplexes Soziotop erblühte, in dem sich ein Haufen Leute jahrelang erfolgreich damit unterhielt, die Grenzen von Kreativität, gutem Geschmack, Trinkfestigkeit und un- gebührlichem Verhalten auszuloten. Im HYVE-Jahr gab es viele Fixpunkte. Das Laubhüttenfest, den Tag des Brotes, den kollektiven Geburtstag. Jeden Freitag- und Samstagabend die moralische Minute, in der Dr. Dr. Oser vor sich hin schwadronierte. Den HYVE-Ball. Und als unbestrittenen Höhepunkt des Jahres: Das Boni- fatius-Symposium. Wochenlang wurde das Symposium vorbereitet. Dekoration, Sitzpläne, Speisekarte, detail- liertes Programm. Man wundert sich, wie schnell etwas zur Tradition werden kann. Mir kommt es vor als hätte ich dutzende Male in der HYVE-Küche Melonenstücke in die Bonifatius-Bowle geschnitten, während die restliche HYVE-Besucherschaft „Ohne Melone! Ohne Melone!“ skandiert, um ihrem Wunsch nach melonenfreier Bowle Nachdruck zu verleihen. Was da für Reden geschwungen wurden! Bruno Feigl als Plenarvortragender, beim Rezitie- z Der Autor mit Peter „Dr. Dr.“ Oser beim Bonifatius-Symposium 2002 von Christoph Aistleitner 148

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