Festschrift zur Kirchweihe Steyr-Tabor 1975

11. Die Kirchen und die Wohlfahrt In alter Zeit war die Caritas und Betätigung aller erdenk- lichen Formen von Nächstenliebe eine Domäne der Kirche. In veränderter Form, auf Vereine und neue Orden ge- stützt, begann um die Mitte des 19. Jahrhunderts allent- halben, auch in Steyr, eine neue große Periode wohltätiger Arbeit. Es begann mit der am 15. Mai 1847 im Exjesuitengebäude geschaffenen K I e i n k i n de r b e w a h ran s t a I t. Der 1847 aktivierte Verein „ Kleinkinderbewahranstalt " fand am 6 . Dezember 1853 die behördliche Genehmigung ; verän- derte Statuten wurden 1877 geschaffen. Die Bewahranstalt wurde schließlich in die Gebäude Wieserfeldplatz 4--6 verlegt. Seit 1875 betreuen Kreuzschwestern diesen Kinder- garten. Die Kleinkinderbewahranstalt wurde 1938 der NS- Volkswohlfahrt einverleibt, doch gelang bereits am 10. Juni 1945 die Wiedereröffnung. Mit Bescheid vom 20. April 1946 konnte der Verein „ Kleinkinderbewahranstalt " erneuert werden; die Pfarrcaritas von St. Michael übernahm die Sorge über die Anstalt. Am 29. November 1973 wurde an- läßlich der Hauptversammlung des Vereines der Verkauf des Hauses Wieserfeldplatz 4--6 genehmigt. Schon im Juni 1973 war der Kindergarten in die nahegelegene Schutzanstalt übersiedelt. Die Kr e u z s c h wes t e r n eröffneten am 4. September 1899 in ihrem Institut in der Berggasse einen weiteren Kindergarten . Dieser wurde ebenfalls 1938 enteignet, im Juni 1945 in der Rudigierschule neu geschaffen und kam 1955 wieder zurück in die Berggasse. 1852 gründete der „ Gesellenvater " ~dolf Kolpin9( auf ei ner Reise nach Österreich den Steyrer G e s e 11e n - v e r e i n. Damals war Kolpings Eintreten für Gesellen und Handwerksburschen eine soziale Großtat ersten Ranges, die Aufsehen und Bewunderung erregte. Der Gemeinderat bewilligte am 7. Oktober 1862 dem Gesellen- verein ein Lokal im Exjesuitengebäude. Am 23. April 1887 ersteigerte der Gesellenverein um 18.000 f l das Gasthaus zum Blauen Bock. Am 1. Juni 1887 beschloß der Schutz- vorstand des Vereins den Ankauf des Reslhauses (Mittere Gasse Nr. 17) um 4700 fl. Nach Abbruch des kleinen Hauses errichtete der Gesellenverein dort sein Ge s e I- I e n haus, welches am 23. September 1888 eingeweiht wurde. Von 1914 bis zum Jänner 1919 war das Haus von Wehrmacht besetzt. 1938 wurde es enteignet, am 3. März 1947 aber zurückgegeben . Vor dem zweiten Weltkrieg war der Saal - 1931 restauriert und damals als „schönster Saa l Steyrs" bezeichnet - Mittelpunkt des reich blühen- den kirchlichen Vereinswesens. Der Gesellenverein , aus den sozialen Nöten des vorigen Jahrhunderts heraus ent- standen, hat seither manches an Bedeutung eingebüßt. 6ald nach Kriegsende war im Kolpinghaus das Colosseum- k ino eröffnet worden . Die „ Sc h u t z ans t a I t " (Anstalt armer Schutzkinder, seit 1945 Kinderheim St. Josef) wurde von Kooperator Wiesinger (t 7. Oktober 1862) gegründet und am 8. De- zember 1857 eröffnet. Am 31. Mai 1863 wurde sie dem Schutz und der Fürsorge des 1850 von Kooperator Aigner gegründeten Kath. F rau e n v e r e i n es der Vorstadt- pfarre St. Michael übergeben. Am 4. August 1864 kamen die drei ersten Ehrwürdigen Schwestern vom HI. Kreuz aus dem Mutterhaus in lngenbohl (Schweiz) nach Steyr und übernahmen die Führung der Schutzanstalt. 1873 kaufte der Frauenverein das Haus Wieserfeld (alte) Nr. 321 um 8300 fl zur Unterbringung der Anstalt. Das um weitere 3000 fl adaptierte Haus wurde am 19. November 1873 geweiht. 1887 wurde der Anstalt um etwa 10.000 fl ein zweites Stockwerk aufgebaut, 1889 das rückwärtige Gebäude errichtet und am 23. März 1890 geweiht. Ein Neubau der Schutzanstalt wurde am 14. Juni 1903 vom Bischoi geweiht. Mit Wirkung vom 10. Juni 1939 wurde das Vermögen des Vereines Katholischer Frauen für Steyr und Umgebung und damit die Schutzanstalt in den Lan- desfürsorgeverband Oberdonau eingewiesen. Das Haus wurde zu einem Gaujugendheim, ab März 1844 diente es als Kaserne für ausländische Luftschutzformationen. 1945 waren auch Flüchtl inge hier untergebracht. Am 19. Mai 1945 konnte aber die Schutzanstalt wieder ihrer einstigen Bestimmung übergeben und neu eingeweiht werden . Mit Bescheid vom 15. Juli 1947 wurde die Reak- tivierung des Frauenvereines ausgesprochen. Mit dem 5. November 1949 erfolgte die rechtskräftige Rückstellung der Liegenschaften an den Verein. Erst 1965 wurde der Frauenverein aufgelöst. Sein Vermögen fiel statutengemäß der Stadtpfarre St. Michael zu . Seither ist das „Kirchliche Armeninstitut der Stadtpfarre St. Michael " Eigentümer der Schutzanstalt. Bereits 1851 wurde der Verein vom HI. Vinzenz von Paul gegründet, dessen Zweck die „ Unterstützung von Haus- armen ohne Rücksicht auf Confession " war. Er wurde am 9. Juni 1873 behördlich genehmigt ; viele Mitglieder zählte er nicht. Schon vor diesem Verein bestanden viele „ Br u- d er s c h a f t e n" mit religiösen Namen und wohltätiger Zielsetzung gegenseitiger Hilfeleistung ; sie hatten zwar keine kirchliche Bindung, belegen aber schon durch ihre Namen, wie sehr Armen- und Wohlfahrtswesen bis tief ins 19. Jahrhundert Domäne der Kirche war. Kooperator A i g n e r (t 11 . November 1861) von der Vor- stadtpfarre gründete mit Unterstützung von Pfarrer H im- m e I r e i c h und Frau Josefa W e r ,n d 1, der Mutter Josef Werndls, das Waisen haus St. An n a, dessen erster Direktor, Matthias Sc h e i b e n bogen, von 1861 bis zu seinem Tod am 8. August 1910 das Haus leitete. Bischof Rudigier legte am 10. Juni 1860 den Grundstein; am 24. September 1861 konnte das Waisenhaus eingeweiht werden. Seit der Gründung wirkten hier die Barmherzigen Schwestern vom Orden des HI. Vinzenz von Paul. Am 4. Jänner 1879 erfolgte erstmals Volksschulunterricht in der bei St. Anna neuerrichteten Privatschule; 1886 wurde sie zwei- und 1919 dreiklassig . Am 14. Jänner 1924 er- öffneten die Schwestern ein Säuglingsheim im ehemaligen St-Anna-Spital (1916 war ja der große Bau des städt. Krankenhauses errichtet worden) . 1936 wurde das Ende 1934 vom Land Oberösterreich er- worbene ehemalige St-Anna-Spital adaptiert, unter Einbe- ziehung der bisherigen Schule, welche 1925 durch eine Bürgerschule erweitert worden war, umgebaut und zusam- men mit dem neuerrichteten Schulgebäude im September 1936 eröffnet. 1938 mußte das Waisenhaus aufgelöst wer- den , die Schule wurde zu einer öffentlichen Mädchen- hauptschule umgestaltet, die Schwestern mußten das Haus verlassen, es sei denn, sie legten den Schleier ab. Abe r noch 1945 konnten Schul- und Waisenhausbetrieb in der alten Form wieder aufgenommen werden. Sozial wichtig war auch die Ortsgruppe des Verbandes der katholischen Hausgehilfinnen. Seit der Gründung und bis 1929 war Frl. Käthe Brunner deren Vorsteherin . Am 31 . März 1902 weihte Bischof Doppelbauer die neuerrich- tete M a r i e n a n s t a I t , ein Dienstbotenheim am Wieser- feldplatz, das am 1. Oktober 1902 eröffnet wurde. 1936 rcrwarb der Hausgehi lfinnenverband das Haus Wieserfeld- platz Nr. 17, welches von 1938 bis 1947 enteignet war. 1966 erfolgte ein großzügiger Neubau. 1917 wurde die Kath. Frauenorganisation gegründet, die u. a. in der Notzeit der Ersten Republik zeitweise einen ,, Elisabeth-Tisch" für die Kinder Erwerbsloser führte. Am 2. August 1920 war die gründende Versammlung des Kath. Jugend- und Elternvereines „Frohe Jugend", der drei Horte ins Leben rief, die Reithoffer-Wiese von der damaligen Gummifabrik für Spielplatzzwecke erwarb und sogar Schloß Haus im Mühlviertel für Sommerkinder- lager zeitweise in Pacht hatte. Im Februar 1928 etwa zählte 15

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