Festschrift zur Kirchweihe Steyr-Tabor 1975

besprachen Evangelische eine eventuelle Konstituierung einer evang . Gemeinde, die Herren Almeroth, Geiger, Kert und Nitsche waren führend ; der Oö. Zweigverein des Gustav-Adolf-Vereines stel lte 1873 in Hal lstatt auf fünf Jahre je 100 f l zur Besoldung eines Geistlichen in Aussicht. Der evang . Oberkirchenrat in Wien hat mit Erlaß vom 23. Oktober 1875 über die Superintendentur und das Seniorat in Wallern besch lossen , daß sich die Evange- lischen in und um Steyr zu einer selbständigen Gemeinde A. B. konst ituieren dürften . Im Erlaß waren auch die Gren- zen dieser prot. Gemeinde bestimmt, welche die Ge- meindevertretung der bisherigen Muttergemeinde Neu- kematen am 4. April 1875 beschlossen hatte. 1876 fand die erste Gemeindeversammlung zur Wahl des ersten Presbyteriums statt. Am 18. November 1877 hielt der erste evang. Pfarrer Steyrs seit 1624, Karl Fr e y I e r, se ine Antrittspredigt, welche auch im Druck erschien. Frey- ler wurde mit Erlaß des Justizministeriums vom 28. März 1878 zum evang. Strafhausgeistlichen in Garsten bestimmt und über Statthalterei-Erlaß vom 22. Mai 1878 auch zum Mitglied des Steyrer Stadtschulrates ernannt. Auch Wa id- hofen/ Ybbs mußte von Steyr aus kirchlich betreut wer- den . 1878 und noch lange Jahre später wurden dort jähr- l ich vier prot. Gottesdienste abgehalten, 1896 erstmals acht. Erst Jahre später gelang die Loslösung Waidhofens. Zuerst hat die Steyrer Gemeinde mit einem behelfsmäßigen Betsaal im Haus Gleinker Gasse Nr. 29 ihr Auslangen f inden müssen . Bemerkenswert ist das Detail , daß zu seiner Adaptierung Katholiken von Steyr 35 fl spendeten . Der Ankauf des Hauses bescherte der Gemeinde neben Realitätenbesitz aber auch Schulden , die nur langsam abgetragen we rden konnten ; noch 1897 hatte man 2788 f l Schulden. 1878 war ein Jahr besonderer Aktivität : da fanden die erste Konfirmation und der erste Religionsunterricht (für 15 Schüler und im Realschulgebäude) statt. In der Presby- ter-Sitzung vom 23. November 1878 wurde auf Antrag des Presbyteriums vom 11 . Oktober 1878 die Gründung eines Kirchenbau-Vereines beschlossen, doch war vorläufig noch an keinen Kirchenbau zu denken . 1894 spendete der deutsche Kaiser für einen solchen 1000 Mark. Der Ge- meinderat genehmigte am 16. November 1894 den Verkauf von 2771 m 2 Baugrund . Der evang . Oberkirchenrat in Wien rief die österreichischen prot. Gemeinden mit Erlaß vom 1. April 1896 zu einer „ allgemeinen Liebessteuer " für den Steyrer evang . Kirchenbau auf. Am Dessauer evangelischen Konzil von 1896 stiftete der Gustav-Adolf-Verein über Für- sprache von Schulrat Dr. R. Hempel (t1896 Leipzig) die Summe von 19.000 Mark als Hauptl iebesgabe für diesen Bau . So konnte die evangelische Kirche in der Nähe des Bahnhofes nach Plänen von L. Schoene (Wien) 1897/98 zügig erbaut werden , das Pfarrhaus etwa gleichzeitig . Das stürzte die evang. Gemeinde in neue Schulden. Mannig- fache Schwierigkeiten innerhalb der Gemeinde verursach- ten die am 18. Dezember 1904 erfolgte Ankündigung des Rücktrittes von Presbyterium und Pfarrer Dr. Seile, der am 1. Juli 1905 die Pfarrstelle zugunsten der von Alt- Aussee aufgab. Gerade hier lassen Zahlen einige bedeutsame Einblicke zu . Zuerst die Übertritte von der kath . Kirche zum Pro- testantismus : 1877-80 : 0, 0, 2, 1 1881-90: 4, 1, 3, 0, 0, 1, 1, 0, 2, 0 1891-1900 : 2, 1, 0, 1, 1, 4, 1, 2, 19, 12 1901-10: 2, 10 8, 0, 9, 6, 5, 17, 22, 14 1911-20: 8, 13, 20, 24, 21, 10, 14, 18, 27, 52 1921-30: 93, 59, 75, 66, 149, 105, 202, 117, 125, ? Der Höhepunkt dieser Bewegung kam in den Jahren 1934 und 1935, als etwa 1000 Menschen zum Protestantismus übertraten. v ergleichsweise sehr gering die Rücktritte oder Austritte in die katholische Kirche: 1880: 1, 1890 : 1, 1891 : 2, 1892: 1, 1896: 3 , 1898: 2, 1900 : 1, 1902: 2, 1903: 3, 1904 : 1, 1907: 2, 1913 : 7, 1914: 2. - Sonstige Zahlen sind mir nicht bekannt. Auch hier wollen wir kurz der Pfarrer gedenken. Nach Karl Fr e y I er (1877-82) war die Gemeinde bis 1888 ver- wa ist. Sie wurde in dieser Zeit von Linz und Gallneu- kirchen aus betreut. Nach der Pfarrerwahl vom 11 . Novem- ber 1888 wurde A. Kotschy (t 1890) am 17. Februar 1889 in se in Amt eingeführt. Ihm folgte der am 22. Februar 189'1 eingeführte R. John e, diesem am 15. Dezember 1895 E. St ö k 1, diesem Dr. Friedrich Se 11e am 8. Mai 1902. Nach dessen Abgang am 1. Juli 1905 beschloß das Presby- terium am 6. Juli 1905, die Pfarrstelle erst nach erfolgter Einführung der prot. Kirchensteuer zu besetzen , doch wurde mit Otto W a i t k a t (zum Pfarrer gewählt am 29. April 1906) der Gemeinde wieder ein Pastor gegeben . Am 5. Juli 1913 verließ er Steyr. Es folgte ihm W. F I e i s c h- m an n (27. Jänner 1888 - 16. April 19'46) , über Wahl vom 19. April 1914. Um 1936 waren 9/10 der Mitglieder der prot. Gemeinde übergetretene aus der kath . Kirche. Nach Fleischmanns Tod wurde Franz M ü 11 e r (geb. 1915) am 1. Dezember 1946 Pfarrer in Steyr ; er ging 1967 nach Bad Ischl. Seit 1S68 ist Manfred D o p p I i n g er (geb. 1928) Pfarrer. Der Anteil der Protestanten ist besonders in Münichholz hoch (1959: 10,4 Prozent der Bevölkerung) . Hier wurde daher eine Tochterpfarre errichtet, der 1960-65 Josef Such an e k (1907 - 65) vorstand , 1966- 68 Manfred D o p p I in g er, 1970/71 Kurt Wien in g er, seit 1972 Karl-Heinz Na g 1. Mit 19'72 ist Münichholz selbständig . f. Die altkatholische Bewegung Im Anschluß an das Erste Vatikanische Konzil 1869/70 und die Verkündigung des Dogmas der päpstl ichen Un- fehlbarkeit in feierlichen ex-cathedra-Lehrentscheidungen in Glaubens- und Sittensachen war unter der Bezeichnung „Altkatholiken " eine Gruppe meist sehr gelehrter und engagierter Persönlichkeiten aus der Kirche ausgetreten. Die Bewegung fand rasch Anklang in Steyr. 1872 bildete sich hier eine altkatholische Gemeinde. Am 9. März 1872 wurde der erste altkatholische Leichenkondukt gehalten . Dr. Brader wurde zur Abhaltung altkath. Gottesdienste der Ratssaal überlassen! Die höchste Zahl von Anhängern war schnell erreicht und wurde auf 300 geschätzt. Der überwiegende Teil waren Fabrlksarbeiter. Die '.liberale Seite zeigte schnell Sympathie für die Bewegung. Der katholikenfeindliche Alpen-Bote ergriff Partei für die Alt- kathol iken , nicht zuletzt dank der journalistischen Tätig- keit eines gewissen Alo is An t o n. Dieser erregte sehr viel Aufsehen . In Steyr 1824 geboren und 1850 zum Prie- ster geweiht, wurde ihm für eine (unbedeutende) Chronik von Steyr das Ehrenbürgerrecht verliehen . Nachdem er einige Jahre in Steyr und Sarmingstein als Priester tätig war, verzichtete er mit 8. November 1896 auf seine geist- l ichen Funkt ionen und ging nach Wien-Penzing. 1871 wurde er Führer des Wiener Altkatholizismus und wirkte als solcher bis zu seinem Tod am 9. Juni 1878. Die Altkatholiken unterhielten gute Beziehungen zu den Protestanten. Zu einer altkatholischen Taufe am 7. Okto- ber 1878 etwa stel lte der evang . Pfarrer Freyler „ bereit- willig " das Bethaus zur Verfügung . - Selbst der sozial- demokratische Bürgermeister Josef Wokral war Altkatholik. Der Gemeinderat besch loß bei zwei Gegenstimmen am 11 . April 1932 die Vermietung des ehemaligen Feuerwehr- depots Eisenstraße Nr. 3 an die altkatholische Kirchen- gemeinde in Linz, vom 15. April 1932 angefangen . Größere Bedeutung hat die Bewegung in Steyr indes nicht erlangt. 13

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