Festschrift zur Kirchweihe Steyr-Tabor 1975

Seit den 1890er-Jahren wurde die liberale Partei mehr und mehr verdrängt durch die „ Deutsche Volksparte i " (ihr Name wechselt, auch „ deutsch-österreich ische Gewer- bepartei " findet sich). Sie hob sich nationalistisch scharf ab gegen Juden und Slawen . 1896 erstmals aufgetreten , konnte sie mit (ungern geleisteter) Hilfe seitens der katho- lisch gesinnten Kreise das Mandat für den Re ichsrat er- ringen . 1898 wurde der Deutsche Volksverein für den 4. 00. Reichsratswahlkreis geschaffen, 1902 die Bundes- gruppe Steyr des Vereines „ Deutscher Bund in Oberöster- reich ". Beiden war das politische „ Chamäleon " , Realschul - professor Leopold Erb, Vorstand . Der in Steyr geborene Geistliche Ludwig Josef Bermann- schläger schrieb eine Tragöd ie in fünf Akten, ,, Deutsch und christlich " , deren Inhalt von der Steyrer Zeitung 1894 Nr. 4 mitgeteilt wurde. Sicher haben die Katho liken auch in Steyr in den nationalistischen Wi rren und Exzessen der ausgehenden Monarch ie das Deutschtum sehr herausge- kehrt , hat es da und dort gedeutschtümelt, aber die lächer- l ichen Exzesse überschwengl ichen Germanen- und Deutsch- tumskultes vollführten doch die Mitbürger im leider auch heute noch nicht ausgestorbenen deutschnationalen Lager. Daß auch kirchliche Kreise weithin befallen waren vom Antisem itismus (aus politischen , nicht so sehr aus rassi- schen Erwägungen) und Feindschaft gegen die Slawen - das darf man leider nicht verschweigen . So warf 1898 die Steyrer Zeitung (Nr. 21) der „ judenliberalen Partei von Steyr " vor, sie sei „ vollständ ig verjudet ". Die l iberale Partei von Steyr sei „ national geschlechtlos, also eigent- lich volksverräterisch , indem sie . . . es veranlaßt, daß Tausende von Tschechen, Po len , Slovaken ihre Etablisse- ments (d . h. die Waffenfabrik) anfüllen ..." Man wollte al so im damaligen Selbstbehauptungskampf der Deutschen in der Monarchie nicht hintanstehen im katholischen Lager. Wir Heutige können uns das nicht mehr leicht vorstellen . Gern schrieb man übrigens den vollen Namen eines sozia- listischen Agitators aus - wie es scheint, recht genüßlich : Moriz Moses Hirsch Arbeite! Donnerkeil. Er wirkte des öfteren in Steyr. Zu den ungeschriebenen Kapiteln Steyrer Stadtgeschichte gehört die Gesch ichte der Arbeiterschaft. Leider! Es wäre hochinteressant, über ihren Werdegang zu erfahren. Sie haben die e instige soziale Schichtung ja vollständig über den Haufen geworfen , dem Bevölkerungsbild ein anderes Gepräge gegeben. Die Werndl 'sche Waffenfabrik begann in den 1860er-Jahren mit ihrem rapiden Aufschwung . Neue Arbeiter mußten eingestellt werden ; oft kamen sie aus dem Raum der heutigen Tschechoslowakei . Das industrielle Zeitalter stellte sich am 26. Jänner 1867 mit einem „ Arbei- terkrawall " bei der Hammermühle ein . Gendarmerie und Militär schritten ein. Der neue Stand der Fabriksarbeiter st ieß bei vielen alteingesessenen Bürgern auf Mißtrauen. Von 1867 bis Anfang der 70er-Jahre herrschte Hochkon- junktur in der Waffenfabrik. Der Chronist Willner schrieb zu 1869: ,,Die aus allen Ländern zusammengest römten Werndlschen Arbeiter, deren Zahl in Steyr allein bereits 1600 beträgt, machen in ihrem Übermuthe viel Wirtshaus- spektakel und sonstige Raufexzesse, weshalb bereits die städtische Polizeiwache von fünf auf sieben Bewaffnete vermehrt werden mußte." Nach Willner schossen damals „ kleine Schenken und Kneipen in großer Zahl empor " und beförderten „nächtliche Unsicherheit und Raufhändel ". Wenngleich das nur Randerscheinungen zum ansonsten harten, ungesicherten und freudlosen Dasein der Prole- tarier waren, so läßt sich denken , daß dieser Zuzug die Situation von Kirche und Seelsorge sehr verschärfen mußte. Viel Aufsehen machte der erste konfessionslose Kondukt eines ungetauften Arbeiterkindes am 25. April 1871 . Trotz der Weigerung des Pfarrers wurde das Kind im Friedhof beerdigt. 1874 gab es unter Arbeitern wieder Aufruhr ; 280 Pioniere aus Linz wurden zu seiner Unterdrückung ein- 8 gesetzt. ,, Hat die Waffenfabrik Arbeit, tyrannisiert sie durch ihren Einfluß d ie Stadtbevölkerung, feiert sie, über- schwemmt sie die Stadt mit Bettlern ", schrieb damals ein Chronist. Sozialistisches, lassal le'sches, vielleicht auch marxistisches Ideengut mag in Steyr in den 1870er-Jahren erstmals ver- breitet worden sein . Wir bräuchten dazu noch genauere Untersuchungen. ,, Ein hiesiges Arbeiter-Comite ", schrieb der Alpen-Bote 1874 Nr. 70, ,, hatte für Sonntag nachmit- tags eine Lassalle-Feier in Jordan's Restaurant zu ver- anstalten die Absicht gehabt, welche jedoch behördlich untersagt wurde. Statt dessen producierte sich nachm it- tags im genannten Locale der Gesangverein des Arbeiter- Bi ldungsvereines". Zu Anfang 1881 wurden in Steyr heim- lich sozialistische Flugblätter verteilt. Sie waren mit „An die Arbe iter in Osterreich " betitelt. Auf Initiative eines Wieners namens Bocek fand am 12. März 1881 im Casino eine Sozial istenversammlung statt. Hauptredner war Dio- nys Zinner aus Wien. Die Industrialisierung Steyrs führte zu einer starken Zu - nahme der Bevölkerung . Josef Werndl hatte ein durch- aus patriarchalisches Verständnis se iner Rolle als Haupt der Waffenfabrik. Der liberalen Seite zugetan, hat er sich immerhin mit den Sterbesakramenten versehen lassen . Kirchlich waren die Arbeiter schon in den 1870er-Jahren abständig , was der antiklerikale Alpen-Bote 1878 einmal zu erklären versuchte: ,,Es ist wohl Tatsache, daß vor einigen Jahren die Kirchen von den Arbeitern öfter be- sucht wurden, als jetzt. Dies kommt aber hauptsächlich daher, daß in den Kirchen jetzt außer der geschäftsord- nungsmäßigen Verlesung von Wahl - u. Fastenhirtenbr iefen höchstens noch Po litik getrieben wird , oder es wird über d ie Neuerungen im Staate ordentlich losgedonnert! " Damit hatte der Alpen-Bote al lerdings die nur schwer zu durch- schauende Entfremdung der Arbeiter von der Kirche un- zulänglich erklärt! Man muß aber doch der Wahrheit die Ehre geben und feststellen: Die Besitzenden von einst waren liberal bzw. deutschnational. Das heißt, daß die Kirche tatsächlich - hier und sicher auch anderswo - nicht auf Seite der Bes itzenden stand. Die treue Anhängerschaft in Steyr re krutierte sich aus dem Kl einbürgertum. Und gegen die liberale Bevorzugung der Großindustrie unter Mißachtung des damals oft notleidenden Handwerks ergriff d ie katho- l ische Steyrer Zeitung die Partei der letzteren. So wettert 1886 (Nr. 20) gegen das „ capita listische Ausbeutertum " und zeigt sich dennoch - in anderem Sinn - konser- vativ : ,, Nichts war leichter, als eine Gesetzgebung zu machen, wie die liberale, welche das Handwerk als ver- altet beiseite warf, seine alte, durch Jahrhunderte be- währte Organisation . .. aufhob, an ihre Stelle die schran- kenlose Gewerbefreiheit setzte, ihr die Actien-, Wucher- und sonstige Freiheiten als Gehilfinnen zu r Seite gab und dem Volke zurief: ,So , jetzt sind die Schranken zum Con- currenzkampf um's Dasein geöffnet, nu r los! Moralische Gesetze und Rücks ichten haben in diesem Kampf keine Geltung mehr, hier herrscht nur das freie Walten der Naturgesetze und das Spiel der freien Kräfte '." Ja selbst das sozialdemokratische Steyrer Tagblatt gestand 19'19 in seiner Nr. 242 : ,, . . . haben die Christlichsozialen , na- mentlich in ihrem bäuerlichen Zweige, trotz aller reaktio- nären Gesinnung doch eine gewisse Füh lung mit dem Volk bewahrt. Die ausgesprochene Partei des Großkapitals sind heute die Großdeutschen." 1894 stellten die Sozialisten mit dem Kleidermacher Jo- hann Bresquar und dem Schuhmacher Julius Glöckl erst- mals Kandidaten für die Gemeindestube auf, welche auf- grund eines die etablierten Kreise begünstigenden Wah l- rechtes unterlagen. Erst nach Abänderung des Gemeinde- wahlrechts konnten 1904 sozialistische Gemeinderäte ihren Einzug in die Gemeindestube halten. Übrigens wechselten

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2