125 Jahre Allgemeiner Turnverein Steyr 1861-1986

Mens Sana in corpore sano Feuerrede anläßlich der Sonnwendfeier 1986 Wir haben uns heute hier eingefunden, um das Fest der Sommersonnenwende zu feiern, oder das Fest der Mittsommernacht, wie die Nordländer sagen. Die Sonne, deren wärmender Kraft wir ailes Leben auf dieser Erde verdanken, hat für dieses Jahr ihren höchsten Stand erreicht, die Zeit der Blüte geht in die Zeit der Reife über. Dem längsten Tag und der kürzesten Nacht werden nun wieder kür zere Tage und längere Nächte folgen; der Höhepunkt ist gleichzeitig der Beginn des Abstieges. Trotzdem feiern die Menschen seit Jahrtausenden diese Mittsommernacht, sie feiern den Abschied von der Biüte ohne Wehmut, weil ja auch die Zeit der Reife ihre schönen Seiten hat und auf ein neues Frühjahr hoffen läßt. Es ist dies Aus druck einer positiven Grundeinsteilung, die über dem Erinnern an das Gestern und dem Denken an das Morgen nicht auf das Leben im Heute vergißt. Ich glaube, daß in einer Zeit und in einem Land, wo die Menschen zwischen Ver gangenheitsbewältigung und Zukunftsangst hin und her hetzen, ein Aufruf zu mehr Gegenwartsbezug und zu mehr Lebensfreude wohi angebracht ist. Es ist Mode geworden, sich und seinen Mitmenschen das Leben mit wilder Aufgeregt heit über Nebensachen und mit dauernder Schwarzmalerei zu vergällen. Oft werden dabei die wirklich wichtigen Dinge übersehen und vor wirklichem Leid werden die Augen geschlossen. In der Turnergemeinschaft ist nicht Platz für solche Abartigkeiten. „Mens sana in corpore sano" - schon die alten Römer haben den gesunden Geist in einem ge sunden Körper angesiedelt. Und ein gesunder Geist ist ein lebensbejahender Geist, der Kraft und Wissen aus der Vergangenheit schöpft, um die Gegenwart zu bewältigen und die Zukunft zu planen. In ihm verbinden sich Offenheit und Gläubigkeit mit Verstand, aber nicht mit jenem kalten, berechnenden Verstand des Intellektuellen, sondern mit dem, was wir von alters her zu Recht als „gesun den Hausverstand" bezeichnen. Dieser gesunde Hausverstand hilft uns auch, das Wahre und das Gute zu erken nen und uns ihm zuzuwenden. Schon PLATO hat das Gute schlechthin als das Vernünftige bezeichnet und man kann ihm dabei durchaus folgen. Es ist einfach vernünftig, sich seinen Mitmenschen gegenüber stets so zu verhalten, wie wir wünschen, selber behandelt zu werden. Das ist kein Schutz davor, belogen, be trogen oder verletzt zu werden, aber es ist eine notwendige Vorleistung. Würde sie von allen erbracht, wir hätten das Paradies auf Erden. Aus Lebensbejahung, Offenheit, gesundem Hausverstand und sittlicher Verant wortung erwächst schließlich das Bekenntnis zur Wahrheit, zur Toleranz und zur Humanität. Unvereinbar damit sind Vorurteile, pauschale Abwertungen oder Ver dächtigungen. Besonders gefährlich wird es, wenn diese Methoden in der Politik eingesetzt werden, um die Menschen zu emotionaiisieren, wie es heute so schön heißt. Lassen wir uns nicht emotionaiisieren, lassen wir nicht zu, daß mit unseren Gefühlen Politik gemacht wird!

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