100 Jahre Vereinsdruckerei

Die „großen Projekte\\ in Steyr Die „großen Projekte", die im Jahre 1887 Tagesgespräch in Steyr waren und die Stadtverwal tung das ganze Jahr hin- durch beschäftigten, waren d ie Errich- tung der Steyrtalbahn und der Bau der Kaserne. Dazu kam eine bedrohliche Situation in der Steyrer Waffenfabrik, denn Josef Werndl hafte dem k.u.k. Kriegsministeri- um mit dem Mannlicher 86 e in ganz mo- dernes Repetiergewehr vorgelegt, aber die Regierung in Budapest weigerte sich, dieses Gewehr auch für die Honved-Armee zu übernehmen, und ver- handelte bereits mit der Berliner „Juden- firma" Löwe & Comp. über die Errichtung einer eigenen Gewehrfabrik in Budapest STEYR LEBT VON WAFFEN Die Bevölkerung in Steyr ze igte sich beun- ruhigt, einerseits wegen der drohenden ungarischen Konkurren z, andererseits, weil sich ein „Konsortium aus Preußen" am Ankauf der Werndl'schen Waffenfa- brik sehr interessiert zeigte. Die „Steyrer Zeitung" schrieb am 19. Juni 1887: ,,Wir setzen von dem stets bewährten Patriotis- mus der hiesigen Waffenfabr ik voraus, daß sie auf diese Anträge nicht einge- hen werde und unserem Staate ein patriotisches Unternehmen gewahrt bleibe. Am 7. Juli 1887 hieß es dann: ,,Unserer Stadt ist in diesen Tagen der eminent dro- henden Gefahr, daß mit Hilfe der ungari - schen Regierung eine große Concur- renz-Waffenfabrik in Budapest durch Ausländer errichtet werde, glücklicher- weise entgangen." Die Ungarn hatten ihre Pläne zwar noch nicht aufgegeben, doch der Reichs- kriegsminister Graf Bylandt-Rheidt, der als exzellenter Waffentechniker galt, hat sic h 1887 mit allem Nachdruck für das Mannlicher-Repetiergewehr, Ka liber 8 mm, e ingesetzt; dieses Gewehr wä re in zahlreichen Schußtests erprobt wo rden , ermögliche dem Soldaten das Mittra- gen einer größeren Munitionsmenge, - und wirke außerdem durch das kleinkali- brige Stahlmantelgeschoß „bei Verwun- dungen im Kriege humaner" als das Hartbleigeschoß mit 10-mm-Kaliber, das die Ungarn in Budapest we iterproduzie- ren wo llten . Zur Bewaffnung der k.u.k. Armee standen noc h das „Krnka -Geweh r" und andere Modelle zur Debatte. Auch die Preußen wollten mit ihren neuen Karab inern ins Geschäft kommen und machten des- halb Wernd l's Mannlicher-Gewehr schlecht, indem sie es als „kr iegsuntaug- lich" bezeichneten. Jedenfalls war die konsequente Haltung des Reichskriegsministers Bylandt-Rheidt für Steyr von entscheidender Bedeutung. Noch im Jahre 1887 wurden bei Werndl 142.588 Mannlicher-Repetiergewehre für die Ausrüstung der kaiserlichen Trup- pen bestellt. Bei der 18. Generalver- sammlung der österreichischen Waffen- fabri ksgesellschaft am 22. Dezember 1887 berichtete der Verwaltungsrat, daß im Jahre 1887 insgesamt 199.509 Stück „Feuerwaffen" aus alten Bestellungen (davon 55.921 ar-1 ausländische Bestel- ler) ausgeliefert worden seien. Insge- samt betrug die Jahresproduktion der Waffenfabrik in Steyr mit den Neubestel- 22. V,~rschlufi gciiffnct nncl gespannt, volles Magazin I obe rs te Patrone zum Einführen in den Lauf be re it. 8 23. Verschluß geschlossen und zum Ahfeuorn bereit; das lc>ero Magazin ist hin- ausgefall en. lungen in diesemJahre 1,100.000 „Feuer- waffen", von denen über eine Million ans Ausland gingen. Die Massenproduktion für die k.u.k. Armee lieferst an; es mußten neue Ha llen gebaut, neue Maschinen angeschaffi werden. In der Fo lge wurde die Wochenproduktion auf 8000 Ge- wehre erhöht. Bis Ende 1987 verl ießen 4,360.000 Gewehre und Karabiner die Werndl-Waffenfabrik. Halb Europa wur- de von Steyr aus mit lnfanteriewaffen ver- sorgt - aber es gab deswegen keinen Krieg. Wohl aber sprach man auch im Jahre 1887 von einer Kriegsgefahr. Vor a llem fürchtete man die „Kriegst rei ber" und die ,,Kriegspartei" in Rußland, die in der Uto- pie einer pans lawistischen Vereinigung die Befreiung der Slawen aus dem ,,Völ- kerkerker" der Habsburger Monarchie erträumten. 27 Jahre später wu rde die Kriegsgefahr bittere Wi rkli c hkeit. Reichskriegsminister Bylandt-Rheidt äu- ßerte sich im Jahre 1887 befriedigt, daß „Österreich in der Gewehrfrage den anderen Militärstaaten um eine große Idee voraus" sei, und verlangte, daß die Armee wegen der „bekannten Welt- lage sogar in kürzester Frist mit einem erprobten Repetiergewehr" ausgerüstet werde. DIE STEYRTALBAHN Noch bevor sie hundert Jahre alt wurde, ist die Steyrtalbahn zu einer Museums- bahn geworden. Aber so wie deren Ein- stellung Proteste auslöste, war auch ihre Entstehung umstritten . Im Steyrer Rathaus herrschte Einigkeit darüber, daß zwi - schen der Rudolfsbahn und der Krems- talbahn , also durch das Steyrtal, eine Verbindung hergestellt we rden müßte. Zunächst dachte man an eine Normal- spurbahn, aber der Oberingenieur Jo- sef Ritter von Wenusch, der bereits die Kremstalbahn erbaut hatte, projektierte im Jahre 1886 auf Schmalspur um, denn das schwierige Gelände erlaube, wie er argumentierte, nur enge Kurvenradien. Wenusch legte der Öffentlichkeit im April 1887 auch eine Rentabilitätsrechnung vor, denn die Steyrtalbahn sollte als Pri- vatunternehmen mit Aktien finanziert werden. Im Juli 1887 führte die Bezirks- hauptmannschaft Steyr eine Trassenrevi- sion durch, schließlich erteilte auch das Eisenbahnmini sterium die Genehmi - ◄ Das Mannlicher-Repetiergewehr aus Steyr mit dem 8-mm-Kaliber, mehrfach verbes- sert, aber schon in der Erstkonstruktion ge- nial, war so revolutionierend, daß es sich gegen stärkste Konkurrenz durchsetzen konnte. Dieses Gewehr war die Standard- waffe der österreichischen Soldaten im Ersten Weltkrieg und auch noch des Bun- desheeres in der Zwischenkriegszeit. Reproduktion nach einer zeitgenössischen Zeichnung (1893).

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