100 Jahre Vereinsdruckerei

Damit erscheint ein Thema anger issen, das in den zeitgenössischen Polemiken eine große Rolle spie lte: Kirche und Kle- rus wehrten sic h verbissen gegen die „pos itivist ischen Wissenschaften", die sich nur auf die Empirie nachweisbarer Tatsachen stützten, sich zu e iner materia- listischen Weltauffassung bekannten, das Vorhandensein einer unsterblichen Seele a lsbloßes „Pfaffengeschwätz" ab- taten und auch in der Gehirntätigkeit, dem mensch lichen Geist, nur eine Funk- tion rein physiologischer Vorgänge er- b lickten. Dementsprechend leugneten sie auch e inen „Schöpfergott " - mehr noch: sie bezeichneten die Schöpfungs- geschichte als biblischen Unsinn, zuma l die neuen Erkenntni sse in der Evolutions- theor ie besagten, daß sic h das Welta ll , die Erde und auch der Mensch in Jahr- mi llionen erst a llmähl ich entwickelt hatten. In der Konfrontation mit der wissenschaft- lichen Forschung beg ing d ie Kirche e inen nachhaltigen Fehler, der dem Ga lil ei-Irrtum vergleichbar ist. Sie be- harrte auf dem wörtlichen Text der Bibe l, dem „Buch der Wahrheit", und b lieb bei der Auffassu ng, d ie Berichte der Genesis von der Erschaffung der We lt, von Adam und Eva und den viertausend Jahren zwi- schen der Ve rtreibung aus dem Para- dies und der Geburt Jesu wä ren auch eine naturkundliche und hi stor ische Wahrhe it. Nac h den langen Jahrhunderten, in de- nen das Alte Testament wörtlich genom- men wu rde, fiel es den Priestern und den Gläubigen eben schwer, sich im lichte der neuen Wissenschaften zu e iner neuen Deutung durchzur ingen. Heute ist das kein Prob lem mehr, denn die Schöp- fungsgeschichte wird als theologische Aussage über das Wirken Gottes zur Ent- stehung derWelt und des Menschen, ab- gefaßt nach dem Verständnis und der Auffassungskraft der dama ligen Men- schen, gedeutet - und nicht als natur- kundli che Wa hrheit. Vor allem aber konnten sich Kirche und Klerus, ebenso der gläubige Anhang, nic htmitderLehreDarwinsabfinden,wo- nach sich der Mensch aus dem Tierre ich hochentwickelt habe. Die Behauptung, der Mensch stamme - simplifi ziert a us- gesprochen - vom Affen ab, war für sie e in lästerliches Gott losentum, dem sie in der ,,Verteidigung des Glaubens und der Religion" vehement entgegentraten. DER ANTISEMITISMUS Es käme einer Negierung histor ischer Tat- sachen und e ine r andersgearteten Ver- drängung g le ic h,wollte man den Ant ise- mi ti smus, der sich vor hunde rt Jahren austobte und e in markantes Merkma l jener Ze it ist, schweigend übergehen . Im Wiener ,,Vaterland " vom 21. Mai 1887 stand zu lesen: ,,Vor einiger Zeit schon hatten wir die Gelegenheit genommen, auf das überwuchern des jüdischen Eie- ~-ltur in ,116rr~Hrrrr idi . Erst mit dem Auftrag, die kaiserliche Armee mit Mannlicher-Repetiergewehren auszu- rüsten, begann für Steyr ein Wirtschaftsboom, der auch die Erweiterung der Fabriksobjekte im alten „Vogelsong''. also zwischen Steyr-Fluß und Wehrgraben , mit einer damals hoch- modernen technischen Ausstattung möglich machte. mentsan unserer ,Alma Rudolphina' hin- zuweisen. Wir bemerkten damals, daß d ie medic inische Facultät fast gänzl ich, die juridische schon in bedeutendem Maße, dem Judentum ausgeliefert sei- en. Auch in den philosophischen und na- turwissenschaftli chen Lehrfäc hern fin- den w ir e ine Reihe jüdi scher Professoren und nament lich Privatdocenten täth ig . Was wir aber in hohem Maße bedauern müssen, ist, daß jetzt auch die Ge- schichtswissenschaft von jüdischen Do- centen unserer Jugend vermittelt wer- den soll ... und es steht demnächst e ine weitere Invasion von Israeliten fü r d ie hi - storischen Fäche r bevor, nachdem in dem, unter Leitung e inesa usländ ischen Protestanten stehenden ,Institute für österre ichische Geschichtsforschung' eine ganze Re ihe von Juden herangebil - det werden, die demnächst schon um Lehrstühle und Docenturen a n unseren Universitäten competent werden dürf- ten ... Man braucht noch lange kein p ro- fessioneller Ant isemit zu se in, um mit Be- sorgn is der Zukunft einer Universität ent- gegenzusehen, welche die Bestimmung hat, der Jugend des c hri stli chen Volkes die höhere Bi ldung zu vermitteln, und nun von jüdischen Lehrern überfluthet wird ..." Diese Polemik, d ie man heute als antijü- dische Hetze bezeic hnen würde, hatte nicht rassische Gründe, sondern weltan- schau lic he Wurzeln, verbunden mit dem Hinwe is, daß der „gesetzli che Anspruch der Juden auf G le ic hberechti gung" nicht zu e iner „Bevorzugung des jüd i- schen Elements vor dem christ li c hen" ausarten dürfe. Aber es gab auch rassische Vorurtei le. In dem mährischen Dorf Kojetin an der March führte d ie Verdächtigung, d ie dortigen Juden hätten einen Ritua lmord an der 24jährigen Maria Krybus began- gen, im Sommer 1887 zu Exzessen, d ie so arg wu rden, daß d ie Gendarmen die Ju- den verte idigen und von der Schußwaffe Gebrauch machen mußten. Aus Buda- Oers, e inem Vorort der ungarischen Hauptstadt, wurden im Mai 1887 eben- falls „antisemiti sche Unruhen" gemeldet. Dort war es zu einem Aufruhr der heimi - schen Bevölkerung gekommen, we il sich der Kalkofenbes itzer Samuel Pol lak als erster Jude dort niedergelassen hatte, obwoh l es „nie Juden im Ort gegeben habe". Als d ie Bewohner das Haus stür- men wollten, schoß Po ll ak aus dem Fen- ster und tötete e inen Mann; Po llak wurde fast gelyncht, a ls er abgeführt wurde. Eine starke Poli zeimacht aus Budo mußte d ie Ordnung wiederherstellen . Daß die Polemiken vor hundert Jahren so unverhüllt ausgetragen wurden, ist für heutige Vorstel lungen erstaunl ich, ja be- stü rzend, wenn man an die Millionen Opfer der nationalsozialistischen „End lö- sung" denkt, die das Ergebnis des histori - schen, e inst weltanschaulic h untermau- erten Antisem iti smus war. Aber damals trugen die „Antisemiten" noch nicht das Stigma eines teuflischen Massenmor- des. Beide Seiten wä ren wohl zurückha l- tender gewesen, hätten sie a hnen kön- nen, wohin die Entwicklung treibt. Oberösterre ich und auch Steyr waren vor hundert Jahren e in Spiege lbild der a ll - gemeinen Situat ion in den Auseinander- setzungen des Ku lturkampfes und auch der gewa ltigen politi schen und sozialen Umsch ic htung, die sich bere itsabzeich- nete. Sowe it antisemitische Polemiken herangezogen wu rden, waren sie eher ei ne Begleiterscheinung im Kampf zwi- schen Liberalen und Konservativen; im Land ob der Enns gab es kaum tausend ,,Israeliten". 7

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