100 Jahre Vereinsdruckerei
und waren aus ihrer inneren Situation heraus nicht in der Lage, d ie „sozia le Fra- ge" zu lösen. Die Libera len waren die Großbürgerlichen, die Kapitalbesitzer, die Fabri ksherren. Es gab woh l libera le Po liti ker, d ie d ie Patronanz über d ie Grün- dung von Arbeitervere inen übernah- men, deren Zweck es war, d ie wirtschaft li- che Si tuation und den Wissensstand der Arbeiter zu heben, - und die es mit dieser Gesinnung zweifel los ehrlich meinten. Aber ba ld äußerten die rad ika- len Arbeiter den Verdacht, d ie Li bera len woll ten sie nu r fü r ihre Ges innung „ve rein- nahmen"; sie sagten sich von dem libe- ralen Gönnertum, für das sie nur ein „An- hängsel und Spielzeug" waren, los. Als dann d ie Arbe itervere ine den 10-Stun- den-Tag, Überstundenentl oh nung und poli t ische Mitbesti mmung durch das a ll - gemeine Wah lrecht verlangten, kam es zum völligen Bruch mit den Libera len, d ie solche Forderungen a ls unstatthafte Ein- g ri ffe in die Rechte des freien Unterneh- mertums bet rachteten . In Steyr wu rde im Jahre 1869ein Arbeiter- Bildungsverein gegründet, der die be- hördliche Genehmigung unter der Auf- lage erh ie lt, daß er sich weder mit Re li - g ion noch mit Po liti k befasse. Im Ja hre 1881 wurde d ieser Vere in a ufgelöst, wo- bei ihm behörd li cherse its das ganze „Sündenregister" vorgeha lten wurde. Bei den Vere insversammlungen waren so- zia le Forderungen, Ausbeutung und wel tanschau liche Themen zur Sprache gekommen, - es hat a lso ,Verräter" ge- geben, die der Zensur haargenau mit- tei lten, was im Verein vorg ing . Die Sozial istische Partei in Steyr sieht das Jahr 1887 a ls das eigentli c he Jahr ihrer Entste hung an; sie ist al so heuer hundert Jahre a lt. In d iesem Ja hr wurde der recht- lic he Bestand e ines Arbeiter-Lese-und Gesangvereins, was ohne Zweifel eine Tarnbezeichnung war, von der k.u .k.Statt- ha ltere i genehmigt. Auc h d ie Sozia ldemokra ti sche Bewe- gung befand sich in e inem Di lemma, das sich verschiedentlich recht skurril äu- ßerte. Einersei ts gab es Juden, die von den Libera len und den Konservat iven a ls solche auch beschimpft wurden, aber a lsFühre r derArbeite rbewegung a uftra - ten; andere rse its bek lagten sich d ie Ar- beiter über die Ausbeutung durch d ie ,,jüdischen Kapita listen" in den Fabriken. Noch in der Zwischenkriegszeit waren d ie „Bankjuden" abschreckende Popan- zen a uf Wahl f lugblä ttern der Sozialde- mokraten . Nach den „Ma igesetzen" des Jahres 1868, die von den Libera len gegen den Widerstand der Konservativen durchge- bracht worden waren, waren d ie Libe ra - len in e inem Ta ume l d er Begeiste rung: Die Grundschule wurde vom Staat über- nommen, d ie „confess ione lle Schu le" war endgü ltig zu Fal l gebracht, die „Su- premie" der Kirche gebrochen; erl aubt wa r nunmehr auch eine zivi le Ehesch lie- 6 ßung, ferners durfte der Staatsbürger jetzt ab dem 14. Lebensjahr entsche i- den, ob er sich zu einem Re ligionsbe- kenntn is entschloß oder „konfessionslos" leben wo ll te. DIE CHRISTLICHEN ARBEITERVEREINE Der Klerus der katholischen Kirche, in der Bevölkerung noch immer stärker veran- kert a lsdie Liberalen , sah in den „Maige- setzen" e inen offenen Bruch des Konkor- dats vom Jahre 1855, das der Kirche das Unterrichts- und Erziehungsrecht an den Volksschu len übertragen hatte, und ging zum offenen Widerstand über. Der streitbare Bischof Franz Joseph Rudig ier von Li nz gab zu Ostern 1869einen Hirten - b ri ef he rau s, dessen Äußerungen ihm 14 Tage Arrest e intrugen; e r wurde al ler- dings vom Ka iser begnadigt . Der Unmut zog sich über Jahre hin, und noch im Jänner 1887 wetterte die „Steyrer Zeitung" : ,,Einer der Hauptpunkte, um welc hen der heftigste Kampf der katholisch-konservativen Männer ge- gen die jüd isch-libera le Partei geführt wi rd, ist die confessionslose Schu le, mit welc he r der Libera lismus Österreich be- schenkt ha t ... " ,, DIE SOZIALEFRAGE" Die Maigesetze 1868 waren der eigentli- che An laß, daß sich das kathol isch- konservat ive Lager zusammensch loß und Maßnahmen setzte, d ie für d ie wei - tere Zukunft von großer Wirkung waren. Im Jahre 1869 wurde der „Katholische Volksverein" gegründet, der bereits 1884 den Liberalen im Landtag d ie Mehrheit abnahm. Im selben Jahr entstand das ,, Lin zer Vo lksb latt" a lsSprachrohr der Ka - tholiken. In Steyr wu rde Anfang 1876 d ie „Steyrer Zeitung" gegründet, - ebenfa lls a ls Sprachrohr der katholisch-konserva- ti ven Bevölkerungstei le gegenüber den Li bera len, d ie damals die Stadtverwal- tung, e inen erheblichen Te il der bürgerl i- c hen Wirtschaft und mit Josef Wernd l auch d ie Waffenfabrik, den g rößten Wirt- schaftskörper der Stadt, beherrschten. Schon im Jahre 1875 wurde in Steyr e in „Katholischer Arbeiterverein", der erste d ieser Art in Oberösterreic h, gegründet, und d ieser ha t sic h, obwohl e r den Schi - kanen der li bera len Bürgerli c hen ausge- setzt war, als Vorläufer der christlichen Gewerkschaftsbewegung behauptet. Die Schikanen bestanden unter ande- rem darin, daß Gastwirte, die dem Ka- tholischen Arbeiterverein Versammlun- gen ermögl ichten, mit Boykott bedroht wurden . Mit den christ lichen Arbeitervereinen ist d ie Kirche frühzeitig in das soziale Pro- b lem e ingestiegen. Wäh rend es aber das vordring li c he Anliegen der Kirc he war, d ie Arbei te r im Glauben und in der Kirchentreue zu e rha lten , war d ie sozial- demokratische Bewegung von Anfang an auf eine kämpferische Position zur Er- zwingung sozia ler Rechte e ingestel lt und fand daher im neuen Industriepro leta- riat mehr Zulauf. Papst Leo XIII. äußerte sich am 17. Okto- ber 1887 an läßlich einer Audienz für e inen Pilgerzug im Vatikan: ,,Denn in d ieser Regene rat ion, in d iese r Rückkehr zu den ch ristli chen Prinzip ien, zu den Leh- ren der Kirche, liegt e inzig und a llein die Lösung der soc ia len Frage. Stets und zu al len Zeithen hat sich ja die Kirche um das Sch icksal der Armen und der arbei- tenden Classen angenommen ... Ande- rersei ts hat es d ie Kirche nie unter lassen, d ie Re ichen und d ie Mächtigen daran zu erinnern, daß sie verpflichtet sind, ihren Brüdern, die niederen Standes sind, beizustehen und in ihnen stets den Menschen und Chr isten zu a c hten .. Las- set Euch indeß, geli ebte Söhne, nicht ver- führen durch t rügerische Versprechun- gen der Apostel der Gottlosigkeit und der Lüge. Sie werden mit täuschenden Scheingründen zu Euch kommen, und sich durch Schmeicheleien Mühe ge- ben, Euch von der Kirche und der Übung relig iöser Pflichten abzuziehen ... Im Ge- gentheile, geliebte Söhne, bleibt Gott und seiner Kirche treu . " Die arbeitenden Menschen „niederen Standes" vertrauten jedoch wen ig dar- auf, daß ihnen d ie Herrschenden durch Ermahnungen zu ch ri stlicher Nächsten- liebe mehr Rechte, mehr Einkommen zu- gestehen würden, und sch lossen sich in der Mehrheit den kämpferischen - und auch kirchenfeind lichen - Ideen des Ka rl Marx und des Fr ied ri ch Engels an. DIE SENSATION: EINE HINRICHTUNG Auch vor hundertJahren hatten die Leute ihre Sensatio nen . Am 24. Mä rz 1887 wur- den zwei Raubmörder aus dem Mühl - vierte l, ein Ochsenhändler und e in Mau- rer, zum Tode verurteilt. Im Jahre 1886war in Steyr ein Todesurteil durch Erhängen vo ll streckt worden. Am 1. Oktober 1887 wurde in der Fronfeste von Neuti tschein, Mähren, der sechsfache Raubmörder Schimak vom Scharfri c hter Seyfried durch Erhängen hingerichtet. Kennzeichnend für die weltanschaul i- che Auseinandersetzungen jener Zeit ist es, daß auch solche Ere ignisse pole- misch „ausgewertet" wurden. Schimak war näml ic h unbußfertig und mi t gottes- lästerlichen Beschimpfungen zum Gal- gen geschri tten , und der Kooperator Pawlik, der ihm re lig iösen Trost zuspre- chen wol lte, beklagte sich nachmals in einem Zeitungsberi cht: ,,Le ider hatte der Verb recher durch Lektüre darwinisti- scher und anderer kirchenfeindlicher Schr itten jedes religiöse, ja menschliche Gefüh l ver loren. In sich und den Mitmen- schen sah e r, w ie e r selber sagte, nur bes- ser entw ic ke lte Thie re - überzeugt, daß keine natürli che Kratt, weder Gott noch Geist existiere. Schimak b rachte die Leh- ren Darw in's und Büchner's practisch bis in die letzten Konsequenzen zur Ausfüh- rung ..."
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