100 Jahre Vereinsdruckerei

Die Zeit vor hundert Jahren Ein geschichtlicher Rückblick Im Jahre 1887 lebten die Völkerschaften zwischen Vorarlberg und Siebenbür- gen, von Galizien bis zur Küste Dalma- tiens noch in ,,tiefster Monarch ie" unter der Herrschaft seiner Majestät des Kai - sers Franz Josef 1. Und es herrschte auch „tiefster Friede", denn zwischen 1859 und 1914 gab es keinen Krieg. Sogar die Ungarn, die dem Habsburgerkaiser, der zugleich König von Ungarn war, häufig genug Schwierigkeiten bereiteten, be- zeichnen auch in ihrer heutigen Ge- schichtsschreibung diese Epoche noch a ls die „Fr iedenszeit" Ähn lic h der Wachstumsg läubigkeit der Jahre nach 1950 waren auch die letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts vom Rausch eines bis dahin ungeahnten Aufschwungs geprägt. Es war die „Grün- derzeit", in der sich die Metropolen mit historisierenden Prestigebauten und Prachtstraßen ihr heutiges Stadtbild gaben, d ie aber auch d ie einförmigen Zinskasernen in den auswuchernden Randbezirken entstehen ließ. Technik und Wissenschaft überstürzten sich mit Erfindungen und neuen Erkenntnissen. Im Zeichen der li bera len Marktwirtschaft wuchsen Handel und Industrie, sie schu- fen auf der e inen Seite durch die unge- hemmte Entfa ltung kapitalistischer Profit- sucht ungeheuren Reichtum, auf der anderen Seite aber das „Proletariat", d ie Masse der abhängigen, rechtlosen Arbeiterschaft. DIE DEUTSCHEN - EINE MINDERHEIT IN DER MONARCH IE Die Wurze ln der poli t ischen und sozia len Konf li kte, d ie in den nachfolgenden Jahrzehnten zu vehementen, teils sogar b lutigen Ausb rüchen geführt haben, so- wie die auseinanderstrebenden Kräfte der nationalistischen Agitationen, die nach dem Ersten Weltkrieg den Zerfal l der Donau-Monarchie bewi rkt haben, liegen in einer Zeit, die nachträglich so fri edl ic h e rsche int, aber bereits völ lig im Wandel begriffen war. Was unsan histori - schen, erschütternden Fakten aus der jüngeren Vergangenheit vor li egt, kann man eigentlich nur begreifen, wenn man die Si tuation durch leuchtet, wie sie vor hundert Jahren bestanden hat. Dar- über hinaus gibt es zur Gegenwart sovie- le erstaunliche Paral lelen, daß man 4 geneigt ist, dem legendären Ben Ak iba recht zu geben, der gesagt hat, es sei al les schon dagewesen. Die Verwaltung der österreichisch- ungarischen Monarchie lei stete in der statistischen Bestandsaufnahme schon vor hundert Jahren vorbildlic he Arbeit, daher liegen ver läßli che Unterlagen vor. Österreich-Ungarn mit Bosnien zäh lte damals 43,680.000 Einwohner. Von diesen waren: 10,960 000 Deutsche 5,720.000 Tschechen, Mähren und Slowaken 7,508.000 Ungarn 4,879.000 Serben und Kroaten 3,900.000 Polen 3,668.000 Ruthenen 2,940.000 Rumänen 1,325.000 Slowenen 729.000 Italiener Die Gesamtzahl der Slawen wu rde mit 21,540.000 ermittelt. Sie stellten somit fast die Hälfte der Einwohnerzah l. Dage- gen waren die Deutschen mit 25, 1 Pro- zent nur eine Minderheit in der Donau- Monarchie. Auch nach der Re ligionszugehörigkeit liegen genaue Zahlen vor. So gab es 28,740 000 römisch-kath. Ch ri sten 4,025.000 evangelische Ch ri sten 3,885.000 griechisch-orientalische Christen 1,920.000 Israeliten 532 .000 Mohammedaner 41.000 Konfessionslose od .andere Die Friedensstärke des kaiserlich-könig- lic hen Heeres betrug 432.000 Mann und 26.900 Offiziere. Im Mobilisierungsfall sollten 1,830.000 Mann und 45.000 Offi- ziere, dazu 5,000.000 Mann im Land- sturm, unter Waffen gestellt werden. Die Ausrüstung dieserArmee hatte vor allem für Steyr wirtschaftli che Bedeutung. Die Situation, die sich in diesen nüchter- nen Zah len darstel lt, hatte größte Aus- wi rkungen auf die pol it ische, sozia le und aUch weltanschauliche Entwicklung. Das dama ls noch gü ltige Kurienwahl- recht vertei lte Macht und Einfl uß einsei- t ig und schloß weite Te il e der Bevölke- rung von der Mitbestimmung aus. Der Reichsrath in Österreich bestand aus dem Herrenhaus und dem Abgeordne- tenhaus. Dem Herrenhaus gehörten die DR. FRIEDRICH STEINBOCK Seit 1952 Mitarbeiter der „Steyrer Zei- tung·: Seit 1961 Chefredakteur, Ver- lagsleiter und Geschäftsführer der Vereinsdruckerei Steyr Außerberufliche Hobbies: Literatur- und Kunstgeschichte Indogermanische Sprachforschung Historische Wissenschaften großjährigen Prinzen des kaiserlichen Hauses, 67 erbliche Mitglieder (F idei - Kommiß-Besitzer). 18 Kirchenfürsten und 124 auf Lebenszeit ernannte Mi tglieder an. Die 353 Ve rtreter im Abgeordneten- haus kamen aus vier lnteressensgrup- pen: Großgrundbesitz; Städte, Märkte und Industrieorte; Handels- und Gewer- bekammern; Landgemeinden. Der Reichstag in Ungarn mit dem Mag- naten haus und dem Abgeordneten- haus hatte eine ähnliche Struktur. ,, LIBERAL:' GEGEN „KLERIKAL" Nach den Freiheiten,die von der bürger- lichen Revolution des Jahres 1848 für d ie unbehinderte Entfaltung von Persön lich- keit, Gesinnung, Weltanschauung, Wirt- schaft, Wissenschaft und Forschung er- kämpft worden waren, war der Liberalis- mus zur bestimmenden Geisteshaltung geworden .Getragen wurde die liberale Gesinnung von Angehörigen der Intelli - genzberufe, vom vermögenden Bürger- tum, von den „Freigeistern", die die „Su- premie" der angestammten kirchlich- re ligiösen Bevormundung ablehnten, von Phi losophen und Wissenschaftlern, die mit der „positivisti schen" Lehrmei - nung auch den Materialismus a ls Welt- anschauung begründeten, sowie kämpferischen Atheisten, die in Kirche und Religion ein letztes Bollwerk der Volksverdummung sahen. Über das Wah lrecht beherrschten die Liberalen die Gesetzgebung und die Obrigkeit sowie über das „jüdische Element" auch einen e rheblichen Teil der Tagespresse, des Großkapitals und der Industrie. Die Libera len bezogen die Freiheiten, die sie p ri esen, vor allem auf die eigene Gesinnung und unterdrückten geistige und soziale Strömungen, die ihnen ge- fähr lich werden konnten, mit einer rigo-

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