100 Jahre Vereinsdruckerei

Standesvertretung gedacht waren, son- dern als weiterer Wahlkörper im Abge- ordnetenhaus. Ein gewisser Riesmann er- klärte, die österreichische Arbeiterschaft sei gegen den Gesetzesentwurf und wü r- de im Falle einer Genehmigung Wahl - enthaltung üben. Auf parlamentari - schem Wege werde der Sozialismus nicht gelöst; kein überzeugungstreuer Arbeiter würde sich herbeilassen, in den Arbeiterkammern einen ,Wu rstel" zu ma- chen . Sch ließlich beantragte der radi- kale Riesmann eine Resolution, in der es hieß: ,,In Erwägung, daß die bestehen- den traurigen Verhältni sse der Lohnar- beiter durch die privatcapitalistische Production erzeugt wu rden; in Erwä- gung, daß die Arbeiterkammern den Wünschen der Arbeiter nicht entspre- chen, erklärt die Versamm lung, daß die einzig mögliche Besserung der Zustände durch eine radicale Umänderung der pri vatcapitalistischen Production her- beigeführt werden muß. Alle anderen Versuche, auch das allgemeine Wahl- recht, sind nur Versuche, die Arbeiter von ihremWege abzulenken und auf den un- fruchtbaren Boden des Parlamentaris- mus zu locken ." Bei der Debatte ent- standen handgreifliche Tumulte, denn die Gemäßigten meinten, mit Zähigkeit und Ausdauer wä re mehr zu erreichen als durch scharfe Worte. Die Resolu- tion Riesmanns wurde jedoch mit Mehr- he it angemommen - ein denkwürdiger Hinweis darauf, daß sic h bereits eine Entwicklung zum Radikalismus an- bahnte, als man den Privatkapitalisten Josef Werndl noch ,,Vater der Arbeiter" nannte. LAMBERG OHNE FÜRSTENTITEL Karl Lamberg, der zweitgeborene Sohn des Fürsten Gustav Joachim, der im Jah- re 1862 als Besitzer der Fideicommiß- Herrschaft Steyr gestorben war, verlor durch Entscheidung des k.k. Verwa l- tungsgerichtshofes am 4. Februar 1887 endgültig einen Prozeß, den er um se i- nen Fürstentitel führte. 1707 waren die Grafen Lamberg in den erblichen Für- stenstand erhoben worden; dabei ging es nicht nur um den rühmlichen Titel, son- der nach dem Kurienwahlrechtauch um einen erblichen Sitz im Herrenhaus des Reichsrates. Der k.k. Verwa ltungsge- richtshof hatte die „oberste Adelsbehör- de" im Innenmini ster ium zu Rate gezo- gen und entschieden, daß sich der Fidei - commiß und der Fürstentitel nur auf den Primogenitus (den Erstgeborenen) be- ziehen; der erstgeborene Sohn des letz- ten Fürsten, Gustav Wilhelm, war 1886 gestorben, damit wäre der Fürstentitel erloschen . Seither waren die „Lamber- ger" wieder Grafen, ohne Anrecht auf einen Sitz im Reichsrat. Und was tat sich noch anno 1887? Der Gemeinderat genehmigte entgegen den Protesten 200.000 Sch illing für den Kasernenbau. In die Kaserne, heute e in Teil der HTL Steyr im Schlüsselhof, zog im Jahre darauf das 3. Feldjäger- Dir !lJcrnbl'f~e QiUa. - 2. Der L?auplplaß . - 5. 2lm sjufannnen~iiB bn !Enn s unb bl.'r Steyr. D 011 ~er ~usftellung i11 St eyr. Unsäglich stolz war Steyr im Jahre 1884 auf die Weltausstellung, in der auch die neueste Entwicklung auf dem Gebiet der Elektrizitätswirtschaft gezeigt wurde. Josef Werndl hatte in Zwischenbrücken nicht nur das erste Flußkraftwerk der Welt errichtet, er war auch die treibende Kraft dafür, daß Steyr - als erste Stadt überhaupt- vom Bahnhof bis zur Prome- nade eine elektrische Straßenbeleuchtung bekam, - eine wahre Attraktion für die heimi- sche Bevölkerung und die Besucher der Weltausstellung. Josef Werndl hatte die Erzeugung von Maschinen und Zubehör der Elektrizitätstechnik ins Firmenprogramm aufgenommen, doch wurde diese Produktionssparte nach dessen Tod - leider - wieder fallengelassen. Bataillon ein. Der Bau des neugotischen Stadtpfarrturmsging dank der Spenden aus der Bevölkerung rasch voran (der barocke Turmaufbau war 1876 abge- brannt). Die Geburts- und Namenstage der kaiserlichen Familie wurden mit untertänigen Grußadressen und Festgot- tesdiensten in den Kirchen begangen. Kaiser Franz Josef selbst nahm im Som- mer und im Herbst mit großer Befriedi- gung an den Manövern in Mähren und in Ungarn teil und fuhr am 15. Oktober nach Bad Ischl, um sich von der Kaiserin Elisabeth zu verabsch ieden, die wieder einmal unter dem Reisetrieb litt und die Koffer für einen längeren Aufenthalt in Triest und an der Adria gepackt hatte. So ze igt sich, gesamt gesehen, daß sich historische Fakten und Entwicklungen, wie wir im Rückblick betrachten, erst im Kennenlernen der politischen, sozialen und geistigen Ursachen erklärbar ma- chen . In hundert Jahren hat sich vieles gewandelt: Dieses Säku lum war wohl das Jahrhundert der größten Verände- rungen seit Bestehen der Menschheit. 11

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