100 JAHRE FACHSCHULE - 100 JAHRE METALLGESTALTUNG Mit der Errichtung einer Fachschule für Eisen-Industrie in Steyr am 8. Februar 1874 hat es angefangen: Das anbrechende Industriezeitalter forderte es geradezu heraus. „Nach dem vorliegenden Schulstatute bezweckte der an der Schule zu erteilende Unterricht a) die fachliche Heranbildung von Arbeitskräften für die Eisen- und Stahl-Industrie von Steyr und Umgebung b) die zeitgemäße Fortbildung der mit der Eisen-Industrie sich beschäftigenden Gewerbsleute von Steyr. "* ) Es kommt nicht von ungefähr, daß es außer den technischen Fächern auch Schönschreiben, Modellieren und Freihandzeichnen gab. Das große Bedürfnis der damaligen Zeit war es, dem Handwerker und Arbeiter neue formale Möglichkeiten zu bieten. Der rasche Zusammenbruch der Kultur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwang die Menschen, neue Wege zu suchen. Biedermeierzeit und Klassizismus wurden um 1860 wegen ihrer Schlichtheit und Anspruchslosigkeit so verachtet, daß man es nicht in Betracht zog, an ihrer Formenwelt wieder anzuknüpfen. Fabrikanten, Künstler und ästhetische Kreise suchten fieberhaft nach Heilmitteln. Da man sich selbst und der eigenen Zeit nichts Gutes mehr 7utrnute, wandte man sich hilfesuchend an die Vergangenheit. Im Jahre 1852 wurde in London das erste Kunstgewerbemuseum gegründet. 1863 folgte das österreichische Museum für Kunst und Industrie in Wien. Das dort gesammelte Prunk- und Schaugerät sollte der lndu52 strie und dem Handwerk als Vorbild dienen. Das Stilchaos in Industrie und Handwerk war vollkommen. So unangenehm sich diese imitierte Renaissance formal auch auswirkte - sie war die Geburtsstunde der Kunstgewerbeschulen, auch für unsere Fachschulen für gestaltendes Metallhandwerk. Die Veredelungstechnik an unserer Anstalt war ein erster Schritt dazu. Der künstlerisch feinsinnige Direktor Gustav Ritzinger schuf 1894 eine Lehrstelle für Gravieren und Ziselieren, die mit dem hervorragenden Meister und Künstler Leo Zimpel besetzt wurde. Einen beträchtlichen Aufschwung nahm diese Fachschule unter Reg.-Rat Prof. Hans Gerstmayr. welcher von 19?0-1949 sein ganzes Können der Jugend zur Verfügung stellte. Sein großes Verdienst war die Einführung des künstlerischen Stahlschnittes und des Metalltreibens. 1959 gelang es, die ehemalige Blümelhubervilla als Atelier zu erwerben. Gleichzeitig mit dem Einzug in das neue Haus wurde 1960 die „Fachschule für Gürtler, Gold- und Silberschmiede" gegründet. Die große Schülerzahl und der gute Erfolg beseitigten schnell alle Zweifel an dieser neuen Fachrichtung. Die Fachschulen für gestaltendes Metallhandwerk, Fachschule für Gürtler. Stahlschnitt und Gravur - Fachschule für Gürtler, Gold- und Silberschmiede. das ist das Ergebnis einer 100 Jahre alten Entwicklung - ständigen Bemühens, der Jugend das Beste zu geben - aber auch eines Kampfes um formales Gestalten. Nicht die Vergangenheit ist das Ziel, sondern die Zukunft. Kanne Kupfer, aufgezogen Medaille Kupfer, geprägt Die Grundvoraussetzungen dieses Handwerkes bestehen nicht in einer Musterkollektion erlaubter Formen, sondern in neuen Grundformen unseres menschlichen Verhaltens, gediegenen Könnens und ehrlicher Handwerksarbeit. Friedrich Schatzl *l Bekanntmachung des Bürgermeisters Crammer vom 23. Jänner 1874. ENTWICKLUNG, STAND UND ENDE DER FACHSCHULE FOR STARKSTROMTECHNIK Als der industrielle Josef Werndl 1884 in Steyr die erste elektrotechnische Ausstellung Europas veranstaltete und in seinen Werken die Erzeugung von La_mpen und Motoren aufnahm, plante man an der in Steyr bestehenden Fachschule und Versuchsanstalt für Eisen- und Stahlbearbeitung eine Abteilung für Elektrotechnik einzurichten. Leider scheiterten die Verhandlungen an den finanziellen Schwierigkeiten. Bei der im Jahre 1920 erfolgten Übersiedlung an den heutigen Standort der Schule wurde der reorganisierten Bundeslehranstalt für Eisen- und Stahlbearbeitung eine Abteilung für Elektrotechnik angegliedert und damit ein lange bestehender Plan verwirklicht. Diese berufsbildende Schule für Starkstromtechnik wurde im laufe ihres Bestehens ständig den neuen Erkenntnissen und Erfordernissen der rasch voranschreitenden Technik angepaßt. Bei den immer wieder stattfindenden Klassentreffen der ehemaligen Schüler der Fachschule für Starkstromtechnik in Steyr kann man feststellen. daß der größte Teil der an dieser Schule ausgebildeten Fachkräfte wichtige Funktionen in der Wirtschaft unseres Landes erfüllt. Sie sind in der Industrie, den Kraft- und Umspannwerken und im Gewerbe tätig. Viele haben einen Meisterbetrieb übernommen oder neu gegründet. Man kann in Geprächen mit den heute im Berufsleben stehenden ehemaligen Schülern und deren Vorgesetzten feststellen. daß die Fachschule für Starkstromtechnik in Steyr ihre Aufgabe bestens erfüllte. Bei der gesamtschulischen Betrachtung ergibt sich an der Höheren Technischen Bundeslehranstalt Steyr, daß die Fachschule für Starkstromtechnik sehr intensiv mit den anderen Abteilungen dieser Lehranstalt verbunden ist. Dies ist auf die langjährige Reifung des Lehrprogrammes für die praktische Ausbildung der Schüler sämtlicher Fachrichtungen zurückzuführen. Auf Grund der Zusammenarbeit aller Abteilungen besteht ein äußerst homogener Arbeitsablauf im produktiven Werkstättenunterricht. In den Abteilungen für Maschinenbau werden im Rahmen des Lehrprogrammes unter anderem Drehmaschinen und Tischbohrmaschinen angefertigt, die von der Abteilung für Starkstromtechnik mit Antriebsmotoren, Schalt- und Steuerungseinrichtungen ausgerüstet werden. Da die Elektroanlagen der HTBL-Steyr in der Größenordnung derjenigen eines mittleren Industriebetriebes liegen und zusätzlich auch die Anlagen des Internates zu betreuen sind, ergibt sich die Möglichkeit. den produktiven Werkstättenunterricht für die auszubildenden Starkstromtechniker sehr praxisbezogen aufzubauen. Außerdem wird durch diese Schülerarbeiten der Unterrichtsbetrieb der gesamten Lehranstalt erleichtert und gefördert, da Ausfallzeiten der elektrischen Einrichtungen durch diese Selbsthilfe auf ein Minimum eingeschränkt werden. Durch diesen produktiv aufgebauten Werkstättenunterricht werden beträchtliche finanzielle Mittel gespart, die zur Anschaffung von Unterrichtsbehelfen und zur modernen Ausstattung der Schule verwendet werden. Durch einen neuen Organisationsplan wurde die Schließung der Fachschule für Starkstromtechnik in Steyr festgelegt und dafür die Führung einer Höheren Abteilung für Nachrichtentechnik und Eektronik angeordnet. Ab dem Schuljahr 1972/73 wurde mit dem Auslauten der Fachschule für Starkstromtechnik und dem Aufbau einer Höheren Abteilung für Nachrichtentechnik und Elektronik begonnen. 1976 werden die letzten Starkstromtechniker die Fachschule in Steyr verlassen und damit eine länger als ein halbes Jahrhundert bestehende Ausbildungsstätte ihre Tätigkeit beenden. Die Wirtschaft unseres Landes braucht heute wie früher Energietechniker, eine Bezeichnung die an Stelle des früheren .,Starkstromtechnikers" getreten ist. Diesem Bedarf müssen nun andere Ausbildungsstätten verstärkt ihr Augenmerk zuwenden. um die Lücke, die durch die Schließung der Fachschule für Starkstromtechnik in Steyr entsteht, zu schließen. Vom heutigen Energietechniker wird gefordert, daß er sein Wissen auch auf das Gebiet der Nachrichtentechnik, früher ..Schwachstromtechnik" genannt ausweitet. Für Nachrichtentechniker, die von der HTL in das Berufsleben eintreten, gilt das gleiche in umgekehrter Richtung. Auf Grund dieser Erfordernisse können die in Steyr bestehenden Einrichtungen der Fachschule für Starkstromtechnik in einem reduzierten Ausmaß für den Unterricht an der Höheren Abteilung für Nachrichtentechnik und Elektronik eingesetzt werden und nach einer möglichst kurz zu haltenden Umstellungszeit annähernd ebenso effektiv wie bisher die Ausbildung unserer Schüler fördern. Ebenso ist zu hoffen. daß auch nach erfolgter Umstellung der homogene Arbeitsablauf zwischen den verschiedenen Fachrichtungen in einem möglichst großen Ausmaß im produktiven Werkstättenunterricht erhalten bleibt. Bei gutem Willen aller an dieser Umstellung Beteiligten müßte es möglich sein, durch die neue Höhere Abteilung für Nachrichtentechnik und Elektronik den anderen Fachrichtungen im Hause eine Unterstützung begrenzten Ausmaßes in energietechnischen Belangen zu sichern und dadurch die durch die Schließung der Fachschule für Starkstromtechnik auf diesem Gebiet zu erwartenden Schwierigkeiten zu reduzieren. Für die auszubildenden Nachrichtentechniker wäre damit die von der Wirtschaft geforderte Ausweitung ihres Wissens auf das Gebiet der Energietechnik im praktischen Bereich gegeben. Leopold Czihak 53
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