100 Jahre Höhere Technische Bundeslehranstalt

tj +il/ ----.............. 0mor)( Abb. 3 0, =p Abb. 4 84 terbewußtsein des Ingenieurs eingepflanzt. Mit diesen gefährlichen Vorstellungen aufzuräumen ist die Absicht dieser Abhandlung. Sehr oft werden nämlich in der einschlägigen Literatur die Hauptspannungslinien (HSLn) ') als Kraftlinien eines Kraftflusses gedeutet, der gewissermaßen die äußeren Kräfte in das Innere weiterleitet. Man darf sich nicht wundern, wenn dabei der i. a. völlig falsche Eindruck entsteht oder sogar absichtlich erweckt wird, daß sich beispielsweise aus einem Zusammendrängen der HSLn ein dem Kraftfluß entsprechender Anstieg der Spannung ergeben müßte. Einige typische Fälle beweisen jedoch sofort das Gegenteil. Abb. 3 zeigt den durch Eigengewicht verursachten, einachsigen Spannungszustand in einem prismatischen Stab. Die Druckspannungen wachsen dabei linear, ob wo h I die „Kanalbreite" zwischen den HSLn unverändert bleibt! Abb. 4 zeigt die mittels der AIRYschen Spannungsfunktion berechnete Druckspannungsverteilung in einem Rohr bei Belastung durch hydrostatischen Außendruck p. Die HSLn verlaufen radial bzw. kreisförmig. Für die Ta n g e n t i a 1 - Spannungen läßt sich der Kraftflußbegriff allenfalls anwenden und ein Anwachsen derselben mit Annäherung an die Rohrinnenwand durch eine abnehmende Kanalbreite veranschaulichen, wie dies aus der Abbildung ersichtlich ist. Jedoch ist der Kraftfluß für die r ad i a I ver laufenden Druckspannungen unhaltbar, da die Kanalbreite abnimmt, demnach die Spannungen gegen den lnnrand ansteigen müßten (Linie !:>J , während sie in Wirklichkeit, völlig abweichend davon auf Null absinken (Linie a). Für das gesamte HSLn-Feld ist also auch hier die Flußvorstellung unmöglich. Die Unhaltbarkeit des Kraftflußbegriffes in der Festigkeitslehre resultiert aus der Tatsache, daß die Kontinuitätsgleichung des Kraftflusses rr. ds korist für das gesamte Trajektorienfeld - also beide Trajektorienscharen gleichzeitig - nur in gewissen Sonderfällen mit den unerläßlichen Gleichgewichtsbed;ngungen am Körperelement zu vereinuaren und daher auch nur in wenigen Ausnahmsfällen gültig ist. 1. SONDERFALL: Die HSLn verlaufen parallel und die Hauptspannungen o, und '" sind konstant. Dem entspricht der völlig triviale Fall zweiachsiger Belastung gemäß Abb. 5, der natürlich auch den Fall einachsiger Belastung bei Verschwinden einer der beiden Hauptspannungen einschließt. ~ G-, G-, p . --+-- . Abb. 5 2. SONDERFALL: Eine der beiden Hauptspannungen verschwindet im gesamten Spannungsfeld i d e n t i s c h, so daß an jedem Element ein bloß einachsiger Spannungszustand besteht. Abb. 6 zeigt, daß bei Gültigkeit der Flußgleichung rr. ds Abb. 6 F Abb. 7 konst, aus welcher gleich große Elementarkräfte f\. F an den zugehörigen Flächenelemente folgen, nur dann Gleichgewicht in <J.)-Richtung möglich ist, wenn keine von rr, herrührenden Kraftkomponenten in diese Richtung fallen, was nur für rr, = Null zutrifft. Beispiele hiefür sind der triviale Spannungszustand in einem einachsig belasteten Zug- oder Druckstab sowie der „strahlige" Spannungszustand in einer unendlichen Halbebene mit Randlast F gemäß Abb. 7, wie er näherungsweise bei HERTZscher Walzenpressung auftritt. Die HSLn für er, gehen radial vom Kraftangriff aus, wobei der Wert der Spannung für r konst sinusförmigen Verlauf zeigt. Konzentrische Halbkreise würden den Richtungen der zweiten Hauptspannung "' entsprechen, die jedoch in diesem Fall überall verschwindet. Man sieht also, daß alle Belastungsfälle, auf die der Flußbegriff allenfalls anwendbar wäre, so einfach beschaffen sind, daß eine Heranziehung des Kraftflußbegriffes gar nicht dafürsteht, umsomehr, als bei komplizierteren Fällen seine Verwendung absolut versagt und jeder Berechtigung entbehrt. überdies läßt sich der Verlauf der HSLn dabei nur selten und mit ungewöhnlichem rechnerischen Aufwand oder durch sehr komplizierte Auswertung beispielsweise spannungsoptischer Versuche genügend genau bestimmen, stellenweise sogar nur vermuten. Das Vorhandensein eines HSLn-Netzes sagt aber i m m er noch nichts über die jeweilige G r ö ß e der betreffenden Spannungen aus! Ein zusammendrängen der Linien kann, m u ß aber nicht eine Spannungszunahme bedeuten. Auch das Gegenteil kann der Fall sein. Das „Rohr"-Beispiel zeigt eindringlich, wie gefährlich Schlußfolgerungen sein können, die sich aus nicht berechtigter Verwendung der Fluß-Vorstellung anbieten. Wie leichtfertig bisweilen im Schrifttum über Festigkeitslehre von den „Kraftlinien" Gebrauch gemacht wird, zeigen die Abbildungen 8 und 9, die sich bedauerlicherweise in einem namhaften Buch über Maschinenelemente finden. Die in beiden Bildern ersichtlichen Abb. 8 1 1 b. 85

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