Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti

connais la famille ." (S. 600 f.) Und er stellt hernach vor: ,,Voyez Mlle de Handel, . .. dj,e eine große ist die Mutter ... et l' autre la blonde c'est la tante ..." Die geschichtliche Aura wird weitgehend durch die Sprache verstärkt. Handel-Mazzclti gebraucht eine Sprache, die ,sie aus Urkunden und Chroniken speist und an der Ieben- den Mundart in einer Wei·se or-ientiert, daß man die Lcistung, trotz gelegentlicher klei- ner Entgleisungen, bewundern muß. Gewiß erschwert der häufige Wechsel zwischen gegenwärtiger Spriache und Sprache der Vergangenheit oft di,e Lektüre, zumal selten Erläuterungen beigegeben werden, besonder,s für den Nicht-Österreicher. Hat doch schon J. Rodenberg gelegentlich des Abdrucks der „Armen Margaret" in der Berliner 11 Deutschen Rundschau" manche Erklärung erbeten. Aber diese Sprache wird zum Boll- werk gegen Banalitäten, in ihr ist •schon die Hälfte der Wirkung begründet 138 • Gewiß stieß die -sprachliche Wiedergabe auf manche Schwierigkeiten, aber es handelte sich ja auch nicht um wissenschaftliche Präzision, ,sondern um Färbung und Annäherung, wo- bei freilich .schon die Transskription Schwierigkeiten bereitete 139 • Gelegentlich ver- wertet .sie ja echte Dokumente wie den Brief ,der Gräfin Leuwenhaupt über den Tod Patkuls 140 • Aber ,sie vermag früheres Deut,sch täuschend ähnlich zu schreiben 141 • Sie lernt für ihre Zwecke Mundarten wie fremde Sprachen 142 , al6 sie den Schaupl,atz ihrer Romane mit dem „Rosenwunder" und „Frau Maria" außerhalb Österreichs verlegt. In der „Waxenber.gerin" und „Graf Reicharid" läßt sie ihre Aloysia waschechte Mühl- viertler Mundart sprechen, so daß Mere de Jonghen in den Stoßseufzer ausbrkht: „Das Deutsch, das Deutsch!" Einige von Reichards Mannen reden in der Mundart von Helmonsödt (135 Gf. Reichard I, 261), andre wieder pfälzisch. Und wenn die Mundart Derbheiten liebt, wird ihre Wiedergabe nicht gescheut 143 • Daß die Transskription mundartlicher Formen manchmal fehlgeht, wird man gern entschuldigen 144 . - Das Über-handnehmen von Diminutiven in den letzten Romanen (Schon Brüderlein und Schwesterlein, 5. 35, ,,Reverende Mere liebt die Diminutive und hat dies, _glaube ich, mit den meisten Klosterfrauen gemein".) bringt eine übertriebene Verzärtelung mit sich, besonderis bei Zeichnung der Mädchen, hängt aber vielleicht mit der märchen- haften Atmosphäre dieser Romane zusammen, obwohl ,sie •auch schon früher begegnet (Arme Margaret: Wolfikindi) . So wird Mariechen trotz ihrer 19 Jahre in „Frau Maria" fast immer „das Kind" genannt. Die Hilfe archaisierender Sprachformen fehlt natürlich in den Gegenwartsromanen, und Handel-Mazzetti hat das selbst als eine Art Mangel empfunden, als sie zu M. v. Ebner-Eschenbach sagte: ,,Mir liegt, glaube ich, das Modeme nicht", und sie gesteht: ,,Die moderne Sprache beengt mich" 145 • Sie spürt selber: ,,Modemes Milieu muß ich aus freier Hand schildern, sonst wird es zu massiv, d. h . im Stil vergriffen 146 • An ihrer Vorliebe für Marter- und Greuelszenen hat man vielfach Anstand genommen . Sie ,selbst führt diese Einstellung auf Jugendeindrücke zurück, die Erzählung der Leiden Christi in den Vj,sionen der Anna Katharina Emerich, wie ,sie Clemens Brentano aufgezeichnet hat, ferner auf Berichte über Stigmatisierte wie Maria v. Mörl in Kaltem, von der zwei Nonnen im St. Pöltener Kloster aus eigener Anschauung zu berichten wußten. Gewiß haben solche Marterszenen auch in barocker Kunst, besonders in Gemälden, ihr Vorbild, ebenso im Passionsspiel volkstümlicher Art, aber auch im barocken Drama, den Märty11erstücken, wie von Gryphius „Katharina von Georgien", im Jesuitendriama, bei Ca1deron. Auch die Geistlichen Übungen des Ignatius v. Loyola geben Anweisung zu einem rechten Nacherleben der Passion des Herrn. Dechant Dobner in Maria Taf,erl ,sagt ihr einmal, ein Mann würde solche -Marterszenen mit drei Strichen oder mit einem Hieb abtun 147 • ,,Sie aber müssen da lang erzählen, weil Ihr weibliches Herz jeden Ihrer leidenden Heroen gar so bemitleidet und dieses Mitleid auch auf den Leser recht eindrucksvoll übertragen will." Wiederholt bezeichnet Hiandeil-Mazzetti ihre Gestalten selbst al,s Märtyrer 148 • Vor allem aber liebt sie Hinweise und Vergleiche mit der Pa,ssion Chösti 149 • Schon im "Meinrad" steht Edwin vor seinem gefolterten Vater und hält ihn für den Heiland am Kreuz (S. 455). Die Passionserzählung wir,d Leitbild für „Jesse", ,,Stephana", den „Deutschen Helden", ,,Sand", ,,Fmu Mar-ia" und noch 11 Graf Reichar-d". Als Mar-ia ihren Mann überredet, das Gnadenbild nicht zu verraten, wie Petrus den Herrn verraten hat, kräht der Hahn 150 • Nach Marias Bemerkung, .sie werde von ihrem Vetter in Krems noch Geld bekommen, womit die Forderungen J esses erfüllt werden 45 könnten, kräht der Hahn zum zweitenmail. Der I. Teil des 11 Jesse" schließt mit der

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