Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti

einandersetzung im Dialog, .sogar in der „erlebten Rede", im sogenannten „inneren Monolog" 128. Manche Motive erinnern an etwas fragwürdige Theatertechnik, an Bühnentricks, so etwa di<e Verkleidungen, Mißverständnisse (z. B. ,,Frau Maria" I, 558). Stephana als Mönch verkleidet geht zum Pestkranken, Else Walch verkleidet sich als Burschenschafter und besucht den verurteilten Sand im Kerker. Oder : Der Jesuit P. Harras kommt trotz Verbot wieder nach Quedlinburg zurück 129 . Die Äbtissin belauscht in „Frau Maria" zwei Männer im Kirchenschiff, ,den Jesuiten Harra.s und den Superintendenten, eine der beliebten Horchszenen 130 . Ihre wohlgegliederten Szenen lesen sich oft wie Bühnenauftritte. Daß Handel- Mazzetti dennoch nicht nach dem Lorbeer -der Bühne griff, trotz ihrer früheren ,dramati- schen Versuche, hängt mit mancherlei Umständen zusammen. Es ge1ang ihr auch nicht, die „Arme Margaret" für eine Oper herzurichten, .sie lieferte nur den Text zu einem letzten Akt, der manche Bühnenschwierigkeit offenbart. Schon „fahrlässig getötet" oder „Der Verräter" zeigte eine ,dr,amatische Gliederung nach Szenen. Immer handelt es sich um gespannte Gegensätzlichkeit, die zur Aus- einandersetzung drängt, niemals um den ruhigen Fluß des epischen Romans. Und daß manche ihrer Romane, eigentlich alle, in Gerichtsprozesse münden, erischeint wesens- bedingt. Der Gerichtsprozeß als eine der Urformen des Dramas verrät die ·dramatische Konzeption. Daher aber auch die Bemühung, -das Geschehen sich objektiv darstellen zu lassen. Der durchaus szenisch gebaute Roman der Handel wird dramatisch geführt, er steigert sich in Rede und Gegenrede und immer wird auf ein Ergebnis hin gezielt. Die Handlung ist oft sehr konzentriert, so daß -sie mei-st in einer kurzen Zeit ab- läuft131. Der Romantypus bleibt sich fast immer gleich. Ihre Romane sind eigentlich zum Roman ausgebaute Großlegenden. Ihre Heldinnen - sie sind fast alle blond, wie ,sie -selbst war - sind ,durchwegs junge, oft noch kindliche Mädchen, verheiratet ist nur Maria Schinnagel (,,Jesse"), die aber auch ins Kloster gehen wollte, und die „Arme Margaret". Stephana ist der Typus der Gottesbr:aut, die von irdischer Liebe nichts wis·sen wi,ll 132 . Rita, Else Walch (,,Rosen- wunder), Marie v. Bronnen (,,Günthers Tod", ,,Frau MariJa"), die Waxenbergerin, schließlich dais halbe Kind Cornelia de Vry mit ihren 14 bis 15 Jahren, sie alle sind junge, unberührte Geschöpfe, die dalS Leben noch gar nicht kennen. Sie kommen vom Kloster oder seiner Sphäre und bleiben darin. Dazu gehören bis zu gewissem Grad auch einige der Quedlinburger Stiftsdamen, freilich mit verischiedener Schattierung. Da- gegen zeichnet Handel-Mazzetti nur wenig Männer, ,die sich Gott weihten, und das sind immer Priester. Wie das Rita-Erlebnis im Mittelpunkt ihres Schaffens steht, so bleibt auch die Gestalt des jungfräulichen Mädchens ihr eigentliches Problem, von der Brautmystik des Hohen Liedes her gesehen 133 . Marie v. Bronnen wird jungfräuliche Frau und mit Schubarth und dessen Kind zusammen Wird einmal von der HI. Familie gesprochen 134 . Zu literari<schen Vorbi1dern, die hier im einzelnen nicht angeführt werden können (so oben Schiller!) kommen als Modelle oft Personen aus ihrer nächsten Verwandt- schaft und Umgebung in Frage 135 . Und immer wieder gebraucht sie Namen von Zeit- genossen aus ihrer näheren Lebenssphäre, ohne deshalb auch den Charakter mit- zuübernehmen, so zum Beiispiel viele Namen aus ihrer Steyrer Zeit in ihren Steyrer Romanen 136 , und die Uste ließe sich noch fortsetzen 137 . In „Ritas Briefen" zitiert sich Handel-Mazzetti einmal sogar -selbst, als Rita über den Besuch einer literarischen Vorlesung katholischer Schriftsteller im Kaufmännischen Verein berichtet und neben Franz Eichert, Richard v. Kralik und Karl Domanig Handel-Mazzetti auch s>ich selbst nennen läßt. Der begleitende Professor Brasey erläutert: ,,Attention! Voila les trois etoiles de l' Autriche Catholique lettree, Eichert le Veuillot, Kralik le Montalembert et Domanig le Beranger autrichien" (S. 599). ,,Dann las eine Dame ,in Trauer etwas vor, aus ihrem neuen Roman, es kam darin ein lieber Bub vor, der -aber prot,estanti-sch ist, und ein Pater, der ,so gut für ihn i•st im Kloster. Da'5 alles war vor vielen hundert Jah- ren. Dann kommt ein Bischof und mahnt die Mönche, sie sollen mit dem Buben lieb sein und ihn nicht zwingen, katholisch zu werden, es würde schon noch geschehen, was des Herrn Wille sei. Einmal kommt vor, daß ein Mönch dem Buben sagt, wenn er Theater spielt mit den Klosterschülern, da verleugnet er ja -doch seine protestantische Religion nicht, ebensoweni<g wie ein Jud getauft wird, wenn er einmal im Regen ausgeht." Und Professor Brasey erklärt wieder : ,,Attention! C'est la quatrieme etoile, qui commence a poindre, c' est la Baronne de Handel-Mazzetti, dont je 44

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