Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti
muß, so bleibt daneben Schillers „Tell" und die unterschiedliche Bewertung des Mordes als soldatische Pflicht oder als gemeine Untat (Parricidaszene bei Schiller) entscheidend. Neben Schiller, des,sen „Kindsmörderin" noch für das späte Gedicht auf die wegen Hochverrats hingerichtete „Renate v. Natzmer" als Vorbild diente, und neben Motiven des Volksliedes und der Volksballade ist es vor allem noch Bürgers „Lenore", die ihr immer wieder im Ohr !dingt. Und in den späteren Romanen dringen immer stärker Märchenzüge hervor, nachdem ,schon während ,der Arbeit am „Jesse" der französische Märchenerzähler Perrault gelesen wurde 124 • Nelas Schicksal selbst ist weitgehend dem Märchen nachgebildet, vor allem dem Aschenbrödel. Bei der Hollän- derin Madama Koning und ihrem Sohn spielt sie ,sich .als :Kammermädchen auf und nennt sich nach Perrault Tatamouche, Szenen, die zu den entzückendsten necki,sch- schelmischen gehören, die Handel-Mazzetti je geschrieben hat. Auch einige weitere Szenen mit Graf Reichard in Linz zählen noch ,dazu. In „Ribas Briefen" spielt Rita in einer Liebhaberaufführung von Schillers „Räubern" die Amalia. Es gibt nun kaum einen Roman von Handel-Mazzetti, in dem nicht eine Theateraufführung oder Ähnliches vorkommt 125 • Diese Spiele ,sind von der Dichterin größtenteils im Stil der Zeit erfunden. Im „Meinrad" wird Simon Rettenpachers Tausendjahrspiel von der Gründung Kremsmünsters „Callirhoes et Theophobi amores" durch Schüler aufgeführt, in Berlin sieht Edwin eine Hamletaufführung. In Krems- münster darf Edwin nur mitspielen, wenn er den katholischen Gottesdienst besucht hat, was ihn in Zwiespalt mit seiner Glaubensüberzeugung bringt. Edwin erinnert sich aber auch an eine Tartuffe-Aufführung im väterlichen Schloß, wo Va'1entini, der spätere Verräter, mitgespielt hat. Die Aufführung eines „Joseph in Ägypten" durch Jesse entlarvt den tiefen Haß Jesses gegen die katholische Kirche. Beim Schulmeister Meuß werden Kastenbilder vorgeführt: Adam und Eva (Jesse II, 190), Kain und Abel (195), Melchisdech, Zacharias, dem der Engel die Geburt des Johannes verkündet, wozu Meuß die Erklärungen spricht, und zum Schluß die Weihnachtskrippe, vor der ein paar als Engel verkleidete Schulbuben „in dulci jubilo" singen. Maria Schinnagel muß dabei an Jes,se im Kerker denken. Im Kremser Jesuitenkloster aber wir,d zum Xaveritag beziehun&sreich eine Tragödie aufgeführt „De captivitate et morte Mariae Stuardae reginae". Im „Deutschen Helden" entspricht der Theateraufführung die Feier im Invalidenhaus (S. 184 ff.). Im „Rosenwunder" .steHt Sand mit Else Walch, nachdem sie bereits als Werther und als getreuer Eckart aufgetreten und noch eine Begleiterin Maria Stuarts dargestellt hatte, ein lebendes Bild nach ,der Legende von der hl. Elisabeth: ,,Das Rosenwunder" 126 • Dabei ent.steht zwischen den beiden ein Streit, auch kommen sie bald in böswilliges Gerede, das ihnen zum Verhängnis werden soll. Die Wohltätigkeitsvorstellung der hl. Cäcilia im Kloster von St. Pölten dient dazu, den zweifelnden Vater Walch von der Unberührtheit ,seiner Tochter zu überzeugen (II, 342 ff.). Werden schon hier die Theateraufführungen zu wichtigen Motiven, so in gleicher Art das „Spiel von den zehn Jungfrauen" in „Frau Maria" vor König August, da,s dem König zur Mahnung dienen soll, ihn aber nur erbost. Bez,iehungsreich wie dieses Spiel, das so böse Folgen hat, ist auch die Aufführung des „Alexius"-Spieles in „Graf Reichard" im Wiener Ursulinenkloster, bei dem die kleine verwaiste Cornelia de Vry den heimkehrenden verlassenen Alexius spielt. Es wird zum Ausgangspunkt ihres Hasses gegen den jungen 20jährigen Reicharid, der sich .abfällig über Protestanten und Kalviner äußert und damit Nela ins Herz trifft, da ja ihr Vater, der vor Wien ,sein Leben für das Christentum geopfert hat, Kalviner war 127 • Reichard selber aber ist, wi e erzählt wird, bei den Linzer Jesuiten in einer Aloysius-Komödie aufgetreten (III, 126). So spielen Theateraufführungen, der Barockzeit entsprechend, bei Handel-Mazzetti fast die Rolle, die man dem Schützenfest bei Gottfried Keller und der Landpartie bei Th. Fontane zugeschrieben hat. Ihre dramatische Komposition spürt jeder, einige Romane könnte man geradezu nach Akten und Szenen gliedern, vor allem „Die arme Margaret" und den „Deutschen Helden", weniger schon „Günthers Tod". Bei anderen wird durch breitere Ausführung von Episoden die ,dramatische Struktur etwas verdeckt. Im „Jesse" ist sie noch deutHch zu sehen, Spiel und Gegenspiel, auch in „Stephana Schwertner", ja selbst im „Sand", in „Frau Maria" und sogar in „Graf Reichard". überall ist eindeutig ein Höhepunkt und ein Umschlag zu finden und vielfach eine Gruppierung der Gestalten nach deut- 43 liehen Gegensätzen. Dramatisch bewegt sich die Erzählung oft bis in die erregte Aus-
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