Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti

von ailtem preußischen Adel, ,,Renate von Natzmer", die wegen Hochverrat 1935 durch das Fallbeil hingerichtet wurde, nachdem ihr Gnadengesuch verworfen worden war, kann nur mehr als Abschluß ihrer Dichtung Interesse finden. Zwei preußi6che Damen wurden damal,s hingerichtet, über andere wurden lange Kerkerstrafen ver- hängt. Die eine Dame suchte ihr Verführer zu retten, indem er ihr ,seine Hand - nach altem deutschem Recht - zur Ehe bot. Dieses Recht sei längst veraltet, hieß es, und sie wurde auch hingerichtet. Handel-Mazzetti erhielt durch Zeitungen Kenntnis von den Vorgängen und fühlte sich von diesen Schicksalen so gepackt, daß sie im Anschluß an Schillers Jugendgedicht „Die Kindesmörderin" eine Parodie .schrieb, während sie in den letzten Kriegsmonaten sich zu den Elisabethinen in Linz zurückgezogen hatte 94 . Mit oft fast gleicher Diktion, in gleicher Strophenform, ja Übernahme ,einzelner Verse wird das Schicksal des jungen Mädchens als Monolog vor dem Gang zur Hinrichtung dargestellt, Abschied von der Welt und vom Leben, von Freude und Jugend, Strophe für Strophe im Anschluß an Schillers Vorbild. Nochmals wird eine Todgeweihte in ihrer letzten Stunde gezeichnet, nochmals Schillers Vorbild beschworen, aber diesmal ist es kein Triumph im Tode, keine Todüberwindung in christfühem Glauben, sondern Resignation, Sühne für begangenes Verbrechen. Das getäuschte Mädchen, das der Fremde umgarnte und mit seiner Liebe betrog, v,ergibt im Tode und wiU ihn nicht verfluchen und hassen. Nochmals strömen hier Grundmomente der Dichterin zusam- men: Hinrichtung, wie in fast allen ihren Romanen, ch11istliche Reue und christliches Vertrauen, Schiller, ,der Abgott ihrer Jugend und auch ihres späteren Lebens. So schie- ßen in diesen Strophen, die an -sich künstlerisch nicht viel zu bedeuten haben, nochmals alle Fäden zusammen, wie in einem Strahlenbündel, aufschlußreich dafür, wie Handel- Mazzettis Denken und Fühlen immer um diese Themen kreiste. Doch es war nur mehr ein letztes Glühen. Ihre eigentliche Aufgabe hatte sie längst erfüllt. Wesen und Wirkung Das eigentliche Erlebnis, das E. v. Handel-Mazzetti immer wieder in ihren Werken zu gestalten getrieben wird, war religiöser Art, und zwar der konfessionelle Gegensatz und seine Überwindung .durch Bekehrung, durch Liebe, nicht Liebe ,als Eros, sondern als caritas. Nicht daß sie die Gegensätze zwischen den Konfessionen verw1schen wollte, wie man ihr zeitweise vorwarf, sondern ,sie wollte eine Einigung in Liebe anstreben. Und so schwebt neben dem Satz: ,,Magna res est caritas" ihr als Ziel vor Augen „Ut omnes unum sint". Es war das E:r~leben des Vaterhauses, das nach einer Form suchte, und es war das Klosterjahr in St. Pölten, das ihr die Dichtung a1s diese Form nahelegte. So ist ihr dichterisches Schaffen für sie Gottesdienst geworden und Dienst an den Seelen ihrer Mitmenschen 95 • ,,Kunst von nur menschlicher Schönheit, die nur der Stunde dient, hat in unserer Zeit, wo die höchsten Güter auf ,dem Spiele stehen, eigentlich nur eine beschränkte Daseinsberechtigung." Sie fordert von einem Roman, daß er „das Aufleben Christi in einer verheidnischten christusfremden Welt doku- mentiere". ,,Heute ist Märtyrer, wer gegen den schrecklichen Unglauben das Banner einer positiven chri<stlichen Überzeugung gegen die tierische Gemeinheit, den Schlamm der Unzuchtsliteratur das weiße Labarum Christi zum Licht erhebt." Somit betrachtet sie ihr Schaffen als eine Art innere M]s,sion, die ihr von Gott aufgetragen ist. Immer wieder betont sie, daß sie eine katholische Dichterin sein wolle, und daraus ergeben sich wesentliche Merkmale ihrer Dichtung. Ihre Kunst ist religiös und sittlich bedingt. Das erste ist die Forderung von Glaube und Sittlichkeit. Die Übereinstimmung mit den geschichtlichen Tatsachen ist darum durchaus nicht so aus·schlaggebend, und sie blieb auch nicht immer geschichtsgetreu 96 • In einem Brief weist sie selbst darauf hin, daß ihre tragische Kunst aus dem religiösen Zwiespalt geboren wurde 97 • Aber auch, daß dem Ungläubigen oder Irrgläubigen meist edle Züge verliehen we11den, geht auf Erlebnisse der Kindheit zurück. Natürlich mußte dieser religiöse Konflikt in mensch- lichen Gestalten sichtbar gemacht werden, um künstler1sch wirken zu können. Schon im ersten großen Roman, im „Meinrad", besteht der Gegensatz aber mehr zwischen Glauben und Unglauben, denn Mac Endoll ist Atheist, und in den letzten Romanen 39 erweitert sich das Problem wiederum zum Kampf gegen -die Türken, diie Ungläubigen,

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