Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti
Dort wo der Zeiten Eigensinn Die Brücke des Trajan zertrümmert, Dort wirf die Augen vor dich hin, Dort merke, was so ,schwärmt und ,schimmert; Es rauscht wie Panzer und Gewehr. Es ist ein römisch Geisterheer, Es sind die Seelen alter Helden; Sie kommen, deinen Mut zu sehn, Und werden, was durch dich geschehn, Der Ewigkeit voraus vermelden. Und da verrät eine Stelle in der Einleitung zu „Günthers Tod" 89 weitere Zusammen- hänge. ,,Glühend hat Jokai in seinem Goldmenschen die Porta ferrea geschildert, ich lese diese Schilderung der serbischen Donau nie ohne das Gefühl: solche ve11schwende- rische Pracht hat mein Kapitel der Donaufahrt Marias nicht 90 • - Aber mir ist, neben den knappen Sätzen Günthe11s verblaßt selbst Jokais Farbenrausch. Wozu Jokai mehrere Seiten Schilderung braucht, das sagt Günther mit wenigen scheinbar achtlos hingeworfenen Sätzen. J.st das Eiserne Tor, das Morgen- und Abendland trennt, ein- gerannt, dann gibt es kein Stambul mehr. Man muß diese Verse Wort für Wort ge- nießen wie köstlichen Wein: ,Dort wo der Zeiten Eigensinn ...' Die Kraft des Dichtel"S steigert sich, Luft und Wasiser füllen sich mit schimmernden Schatten gerüsteter römischer Krieger, das Brausen und Rauschen der durch Fel<sen sich zwängenden Donau, die hier ihre größte Tiefe hat, wird zum Anrücken der gespenstischen Kohorten Trajans; Eugens göttliche Größe zwingt hier längst zu Staub zerfallene Helden empor aus der Unterwelt; wer war größer, wir oder Eugen?" So geriet Handel-Mazzetti von J. Chr. Günther und •seinem Gedicht auf den Frieden von Pas.sarowitz (1718) auf die Kämpfe gegen ,die Türken, mit denen sie sich schon während des Aufenthaltes in Maria Taferl 1921 beschäftigt hatte, indem sie Erinnerungen an Kaiser Leopold I. und Siegestrophäen aus den Türkenkriegen besichtigte 91 • Und so führte der Plan zu einem Günther-Roman nicht nur zu „Sand", sondern auch zur Günther-Novelle, zu ,,Frau Maria", zur „Waxenberger.in" und zu „Graf Reichard". Die Thematik .der Gottesbraut stellte sich mit der Zeichnung des Klosterleberu; neuer- dings ein. Cornelia, ein frecher, 15jähriger Fratz, der manche Züg,e aus der eigenen Jugend; eit der Dichterin zeigt, reift erst zur Liebe heran und stirbt schließlich eben- falls ein Art Opfertod für Reichard. Der Zwist zwischen Vater und Sohn war sicher- lich durch Günthers Lebensschicksal nahegelegt, die Türkenfrage kilang bereits in der „Stephana" an, was wieder zeigt, wie manche Motive bei Handel-Mazzetti konstant sind und sie immer wieder bedrängen. An einer Stelle gedenkt .sie sogar eines ihrer mütterlichen Vorfahr.en, indem sie von dem Städtchen Esse.g 92 einen geschichtlichen Rückblick gibt: ,,Den Herzschlag aber erlitt es (das Städtchen Esseg), a1s 1526 der Sultan Soliman fast über die ganze ungarische fade die Fahne des Propheten flattern ließ, als der ungarische König Ludwig Jagello bei Mohacs fiel, im Sumpfwas,ser er- trank, so inbrünstig ihn Peter Csergheö von Nemes-Tacskand mit starken Armen umschloß, den königlichen Jüngling zu retten strebte." Natürlich erstreckt sich auch die Handlung von „Graf Reichard" über längere Zeit, wenngleich Band I etwa vier und Band II etwa drei Tage umfaßt. Auch verlangte die Arbeit an diesem Werk mehr Zeit 93 • Das erste Kapitel wuroe schon 1935 kurz nach Erscheinen der „Waxen- bergerin" konzipiert, der I. Band, im Herbst 1938 nach öfter unterbrochener Arbeit fertiggestellt, erschien zu Weihnachten 1939, der II. Band, 1939 ausgearbeitet, erschien mit der Jahreszahl 1940 vor Weihnachten 1939, der III. Band forderte 17 Monate unausgesetzter Arbeit 1940 und 1941, durfte aber dann nicht mehr erscheinen. Er ist datiert mit 19. August 1941, dem 250. Gedächtnistag der Schlacht von Szaiankamen, kam aber erst 1949 zunächst in Luzern und in einer gekürzten Ausgabe für Österreich in Wien 1950 heraus. Es ist begreiflich, daß bei dieser Erscheinung,sart trotz so man- cher Zeitbezüge das Buch kaum mehr wirkte. Es traf auf eine Zeit, die .s-ich nach Frieden sehnte, und auf ein neues Geschlecht, das mit anderen Probl.emen zu ringen hatte. Damit hat Handel-Mazzetti ihre dichterische Tätigkeit im Alter von 70 Jahren im wesentlichen abgeschlossen. Denn das nicht ganz vollendete Gedicht auf ein Mädchen 38
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