Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti
wohnter Kunst vorgeführt, und Gestalten wie der alte Franzmeier, der wegen seines Glaubens aus dem oberösterreichischen Waizenkirchen ausgewandert ist, bleiben un- vergeßlich, und unvergeßlich bleibt vor allem die Totenrede, die er der gestorbenen Maria hält (III, 231). Die weit ausgesponnene Handlung, bei der es ,schließlich doch nur um das Schicksal Mariechens geht, ist zweifellos gegenüber früher gedehnt und mit Episoden angerei- chert, so daß der Umfang auf 1573 Seiten angeschwollen ist. Dais Tempo der Erzählung hat sich verlangsamt, obwohl auch jetzt noch spannende Szenen begegnen wie das Schützenfest, der Verführungsver,such durch König August, da1s Reformationsfest mit dem Attentat auf die Äbtissin und manches andere. Aber die kün6tlerisch eindring- liche Wirkung der früheren Romane stellt sich nicht mehr in -dem Maße wie bisher ein, mag auch „Frau Maria" in gehaltlicher Hinsicht eine Steigerung bedeuten. Wieder ist die Handlungszeit auf eine verhältnismäßig kurze Spanne zusammengedrängt, was einem aber kaum mehr zum Bewußtsein kommt, weil sich das Tempo verlangsamt hat . Die Trilogie wurde im Frühjahr 1928 begonnen und im August 1931 a:bgeschlossen, jeder Band mit einem eigenen Untertitel benannt, wie das ,seit -der „Stephana" immer geschah. Daß der II. Teil: ,,Das Reformationsfest" 1930 erschien, wird Anlaß zur Bemerkung: ,,Im Erinnerungsjahr an die Confessio Augustana" mit dem Beisatz „Ut omnes unum sint". Verbunden damit ist ,der wiederholte Hinweis, daß vieles im Quedlinburger Stiftsleben noch auf alte katholische Zeiten zurückgehe und an sie erinnere, wie ja die Konversion Mariechens auch in diesem Sinne als eine Rückkehr gedacht ist. Denn eine Wiedervereinigung der Kirchen wird ebenso ersehnt 86 wie auch ein eschatologischer Blick in die Zukunft gerichtet wird (II, 392). Die Sprachbeherrschung hat sich noch gehoben, preußisch, sächsi!sch, oberösterreichisch, schlesi<sch, tirolisch findet sich neben polnischen, italienischen und lateinischen Sätzen. Wie immer aber ist die eigentlich historische Epi:sode, die Handel-Mazzetti aufgreift, das Attentat zweier Schuster auf die Äbtissin Hedwig und die Anwendung des deut- schen Rechtes im Fall einer Diebin verschwindend gegenüber dem lebendigen Kolorit einer ganzen Zeit und Welt, wofür natürlich zahlreiche Werke mit ihren Einzelheiten benutzt wurden. Die Haupthandlung aber ist völlig frei erfunden. Und nochmals greift sie in die Lieblin~sepoche des Barock,s zurück. Offenbar ein äußerer Anlaß ließ die Dichterin die Romane „Die Waxenbergerin" und „Graf Reichard" schreiben, ,die ja eigentlich miteinander eine Tetralogie bilden. Den Stoff legte wohl das 250jährige Gedenken an die Türkenbelagerung Wiens von 1683 nahe. Der Na:me ,der ,streitbaren Jungfrau aus Waxenberg im oberösterreichischen Mühl- viertel Aloysia Silbereissin fand sich im Totenbuch des Linzer UI1Sulinenklosters 87 • Das resolute, resche Mädchen, das den Mund, aber auch das Herz auf dem rechten Fleck hat, beherrscht eigentlich das ganze Buch. Noch ist ,sie bei den Ursulinen nicht eingekleidet, -sondern nur a1s Kandidatin tätig, aber sie weiß in den Schreckenstagen der Belagerung Wiens durch die Türken 1683 mit ihrem gesunden Hau.sve11stand und der fest zugreifenden Art zu helfen, zu trösten und den Mut immer wieder aufzurich- ten, wenn andere verzagen wollten. Sie rettet durch ihre Heilkunst - ,sie ist die Tochter eines Apotheke11s - das Leben Ernst Rüdiger v. Starhembergs, ,den ein ver- gifteter Pfeil getroffen hat, sie schützt ihn gegen einen Mordanschia,g, ve11steht aber auch im Kloster durch Rat und Tat zu nützen. Vor allem nimmt •sie sich ,der kleinen verwaisten Cornelia de Vry an, deren Mutter gestorben ist und deren Vater, ein Hugenotte, bei einem Ausfall von den Türken grausam getötet wurde. Sie rettet das Leben vieler Kinder Wiens dadurch, daß sie von einem hochgestellten Gefangenen türkische Büffelkühe fordert, die dann auch wirkilich in die belagerte Stadt geschafft werden, und ,sie weiß sich kühn gegen Ansinnen zu verteidigen, die ihrem Wesen widersprechen. Dabei nimmt sie sich kein Blatt vor den Mund, redet frisch von der Leber weg in ihrer heimischen Mühlviertler Mundart, herzerfrischend und munter, eine der gelungensten volkstümlichen Figuren Handel-Mazzettis, die in manchem etwas an ,die „Stephana" erinnert, wenn sie .auch noch urwüchsiger als diese ist . Und sie gewinnt durch ihre Geradheit alle für sich, nicht nur die Hohen und die Nonnen, sondern ganz besonders die Kinder. Ihre -schlichte Selbstverständlichkeit wirkt er- hebend und beglückend auf ihre Umgebung, ihr gerades, aufrechtes Wesen gewinnt alle für sich, aber auch ihre natürliche Klugheit. Den Grafen Starhemberg rettet sie durch Aussaugen der Wunde, wobei sie den Rest der vergifteten PfeiJlspitze entfernt, 36
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