Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti
Frau, all das ist zweifellos Probe einer großen Meisterschaft in Konzentration, Span- nung, ja dramatischer Zuspitzung. Den Romanschluß hätte das Stück aber wohl gestört und wurde daher klugerweise herausgenommen. Aber Günther meldet sich nochmals, er :ist nicht abgetan und vergessen. Jedoch nach- dem die Dichterin zur Einsicht gekommen, daß ,sie als Frau wegen ,seiner Liederlichkeit ihn nicht zum Helden eines ganzen Romans machen könne, hat ,sie, was ihr am Herzen lag, die Einkehr GünthePs auf dem Sterbebett, in einer Weise erzählt, die sie Legende nannte, die man aber bess·er als „Erzählung" bezeichnen wird (,,Günthers Tod"). Der todkranke Günther zieht dem Kind einer polnischen Bettlerin einen Dorn aus dem Füßchen, die Frau erscheint ihm in seinen Fieberphantasien dann als Madonna, also bleibt eigentlich alles im irdischen Bereich, entgegen der echten Form der Legende. Der arme Günther übt nur, entgegen ·seiner hartherzigen Umgebung, Barmherzigkeit. Auch die satanischen Erscheinungen, die Günther bedrängen, werden zu Phantasien, nirgends ist ihre Wirklichkeit betont. So wiPd der ,sterbende Günther im Ringen mit seinen Dämonen einem rauschenden Tauffest in der guten Gesellschaft Jenas gegen- übergestellt. Wieder gliedert sich die Erzähl:ung in fünf Abschnitte, .die aLs Szenen gelten können. füs dieser Günther-Plan endlich Gestalt annehmen konnte, waren aber sieben Jahre ver~angen. Bei einem Besuch des Stiftes St. Florian hatte ein Gobelin im Prinz-Eugen-Zimmer eine Szene angeregt. Ein liebliches Mädchen daraus erhält von der Dichterin den Namen Liese! und bald ist ihre Geschichte erfunden. Sie sollte die Nichte einer Jenenser Dottoressa -sein, ihre Mutter hat einen Kriegsmann geheiratet, der ein Slavonier war und katholisch dazu. Die Mutter ,starb, der Kriegsmann, der unter Prinz Eugen diente, läßt das Kind in einem Stift für adelige Mädchen in Unteröster- reich erziehen, wofür der Prinz Eugen aufkommt. Denn der Vater fällt vor Belgrad. Lies] wird bei den Englischen Fräulein in St. Pölten bis zum 15. Jahr ,ausgebildet, dann von ihrem Onkel, einem Professor, nach Jena geholt, wo sie nun allerhand Dienste zu leisten hat. Ihr früher Tod erst offenbart dem Arzt ihre innere Größe. Diese Lies! hätte zunächst im Günther-Plan eine Rolle spielen sollen: Rettung, Entsündigung durch ein reines Kind, wie im „Armen Heinrich". Aber die Gestalt der Lies! entschwand und wurde zur E1se Walch im Sand-Roman 85 • Im Riahmen des Günther-Planes aber wird sie ersetzt durch Mariechen von Bronnen, die •sich des kranken Dichters annimmt, so- weit sie kann, und dann die Schu1d, die sie Günther gegenüber durch Mangel an Barmherzigkeit auf sich geladen zu haben ,glaubt, durch ihren Eintritt in das geist- liche Stift zu Quedlinburg sühnen will. Das ist das Bindeglied zwischen „Günthers Tod" und „Frau MaTia", die also auch wieder zusammengehören. In ihrem Mädchen- tagebuch, einem reizenden Stück, hat sie die tiefen Eindrücke fes tgehalten, die ihr die Begegnung mit Günther gemacht hat. Und Günthers Gestalt gei>stert ver-schiedent- lich durch den ,dreibändigen Roman aus dem Beginn des 18. Jahrhunderts, ,,Frau Maria", den manche a1s das größte Werk der Dichterin gefeiert haben. Es ist ein breites Gemälde aus spätbarocker Zeit, das hier aufgerollt wird. August der Starke, König von Polen, kommt als Schutzherr ,des Stiftes nach Quedlinburg und wird mit einem Schauspiel von den klugen und törichten Jungfoauen begrüßt, wobei ihm Mariechen v. Bronnen auffällt, um die er sich bemüht. Die Herzogin Äbt,i15sin Elisabeth ermöglicht im Hinblick auf politische Umstände ein Stelldichein, bei dem aber die fascheinung des verstorbenen Günther, gewLs·sernnaßen als Schutzgeist Mariechens, den letzten Schritt verhindert (II, 115) . Der fahrende Buchhändler Schubarth, ebenfalls ein Schlesier wie Günther, dünkt sie wie eine neue Verkörperung des toten Dichtens und sie nimmt •sich seiner und seines Kindes an. AJs er, weil er ausgewiesen wurde, auf die Herzogin einen Mordanschlag macht, wi-rft 1 sich Mariechen dazwischen und wird tödlich verwundet. Der zum Tode verurteilte Schubarth wird auf Grund alten deutschen Rechtes durch Mariechen gerettet, indem sie ihn auf ihrem Sterbebett heiratet, nachdem sie wie Schubarth selbst katholisch geworden ist . Er wird dann von Soldaten König A:ugusts getötet, seines Kindes aber nimmt sich die Äbtissin an. Mariechen ist ein herzensgutes, schlichtes Mädchen. Sie will eine Gottesbraut sein und opfert sich nur für Schubarth-Günther 1 auf. Vielfach ,abgestuft ist die Reihe der Klosterinsassen von der selbstbewußten, fast männlichen Äbtissin Elisaibeth über die von König August verlassene Aurora v. Königsmarck zu ver.schiedenen weiteren Stifts- 35 damen. Buntes Geschehen wie die Theateraufführung, das Schützenfest wird mit ge-
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