Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti
Inzwi>schen hat die Dichterin das 50. Lebensjahr erreicht. Damit pflegt nun aber auch ein Wandel nicht nur im Leben, sondern auch im Schaffen verbunden zu sein. Sie verläßt nun Linz nur mehr auf kurze Zeit, .sie beginnt sich abzuschließen und immer mehr einzuspinnen. Liebe Vertnaute werden ihr durch den Tod entrissen und lassen sie allein. War sie schon öfter zu mehrteiligen Werken geneigt, denn wenn auch der „Meinrad" äußerlich in einem Band untergebracht wurde, innerlich waren es doch zwei - , ,,Jesse" erschien gleich in zwei Bänden, ,,Stephana" wuchs sich zu drei aus, so bringt das beginnende Alter nun wenn auch nicht ein Ve11siegen der künstlerischen Kräfte, so doch eine Wandlung, ein leichtes Erschlaffen, das sich in einer breiteren, vielfach ruhigeren Darstellung gegenüber der dramatisch bewegten Aufgipfelung früherer Zeiten bemerkbar macht. Alle Romane von der Sand-Trilogie -angefangen, sind nun umfangreiche dreibändige Werke geworden, bei denen zuweilen auch die Zeiterstreckung sich erweitert, wenngleich die entscheidenden Szenen sich immer noch ballen und oft auf Tage ZU!sammendrängen. Und nun ereignet sich etwas Merkwürdiges, was die Dichterin in ihrer höchst aufschlußreichen Einleitung zu „Günthers Tod" (1928) berichtet. Wieder, zum letzten Mal, zur Sommerfrische in Maria Taferl, ringt sie mit der Idee, den Dichter des ausgehenden Barocks, Johann Christian Günther, zum Helden eines Romanes zu machen. Da ist es ihr in einer Nacht, als ob Günther ,selbst, der Schlemmer, der Trunkenbold, der lasterhafte, liederliche Mensch ihr erschiene und sie von diesem Plan abmahne, der Stoff sei für sie nicht geeignet, und ,sie auf ,anderes verweise: Schwester, laß den Tod dem Tod! Lass·e Günthern ruh'n in Grüften! Singe Deutschlands Morgenroth, Sing die Kraft aus Hermanns Hüften. Sing die Unschuld teut,scher Söhne, jungen Baum in frischem Saft, Daß der Bilder Reizung wecke neue Kraft und Heldenschaft7 5 . Damit sieht sie ,sich hingewiesen auf einen Stoff, der der Verherrlichung Deutschlands, des darniederliegenden diene. Und sie verfällt bei der Lektüre von Wolfgang MenzeF 6 auf die nationale Erhebung und ,die Niederringung Napoleons in den Befreiungs- kriegen, auf die burschenschaftliche Bewegung und einen ihrer Gegner, den Literaten August v. Kotzebue, von dem es hieß, daß er in ausländischem Sold stehe 77 • Wie nun nach dem ersten Weltkrieg mehrfach politische Morde verübt wurden, wie in Wien Hugo Bettauer ,so ,den Tod fand, so hat der protestantische Theologe und Burschenschafter Karl Ludwig Sand, auf den sie bei der Vorbereitung auf Ritas Ver- mächtnis gestoßen war 78 , den als unsittlich empfundenen Schriftsteller Kotzebue ermordet. Das wurde nun da-s geschichtliche Gerüst, um das der neue dreibändige Roman geschrieben wurde: ,,Da•s Rosenwunder"; ,,Deutsche Passion"; ,,Das Blut- zeugnis" (1925 bis 1927), auch dieses Werk zuerst einbändig geplant und ·schließlich auf drei Bände angewachsen, wie die „Stephana" 79 • Und hier wird es nun deutlich, daß das Historische für Handel-Mazzetti nur Mittel zum Zweck ist, um ihre Ideen ver- körpern zu können. Man hat das Buch einen unhistorischen Mstorischen Roman ge- nannt, denn die eigentliche Handlung ist wieder frei erfunden, stellt aber doch eine historisch bekannte Gestalt, den Burschenschafter Sand, dar, der seinen Mord durch Tod von Henkershand sühnt, ein Problem des „Deutschen Helden", das nochmals aufgegr.Hfen wird. Wohl begegnen auch noch einige andere geschichtlich erfaßbare Figuren, aber alles übrige ist Dichtung. Erste Quelle für den Sand wird ein Artikel aus dem alten Brockhaus-Lexikon vom Jahre 1836 80 , dazu kommen Pläne, alte Druckwerke über die Universität Jena, zwei Festschriften von 1858, die die Dichte11in von dem damaligen Inhaber der alten Frommannschen Buchhandlung erhält, des weiteren der Neudruck der Schmelzelschen Chronik von Devrient, Vopelius (Jena 1908), Macklot ,sowie Kügelgens Erinnerungen über die Attitüden der Mme Hendel-Schütz 81 • Die Gestalt Sands wird immer noch im Hinblick auf Günther umris•sen, wie überhaupt viele Fäden von dem geplanten Günther-Roman zu Sand führen 82 bis ins Formale hinein. So hält sich naturgemäß auch die Handlung nur in ganz großen Zügen an die Wirk- lichkeit der Geschichte. Der Kern i!st ja wieder, man möchte sagen, berechtigte Untat und ihre gerichtliche Verurteilung und Ahndung, wie seit „Jesse" immer bei Handel- Mazzetti. Aber das eigentliche Thema ,i,st die Bekehrung Sands, der Tod der jungfräu- lichen Else Walch, deren Beziehungen zu Sand verdächtigt und mißdeutet werden, und ihr Sterben, das zum Opfertod erhoben und mit der Glorie des Martyriums umgeben 33 wird, wie ,das „Stephanas". Ve11geblich hat sie versucht, ihn von dem geplanten Mord
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