Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti

,,Die arme M,argaret" ist das straffste, geschlossenste und wirk·samste Buch Handel- Mazzettis, de!>sen fast männliche Wucht auch sie später nicht mehr erreicht hat. Es ist wie ein Drama gebaut, klar, übersichtlich und zie1strebig. Pappenheimer werden nach Steyr verlegt, nachdem der Bauernaufstand von 1626 niedergeschlagen ist, die Führer verurteilt, gehängt und gevierteilt worden sind, unter ihnen auch der gewesene Bauernbundsekretär, der Mann der Margaret Mayr. Sie stammt aus Eferding, ihr Vater ist aus Württemberg zugezogen und Kantor an der Schulkirche geworden (S. 103). Margaret wohnt in einem kleinen Häuschen der oberen Gleinkergasse. Die übermütige Soldateska macht sich breit. Der junge Leutnant Herliberg will ,sich an ,der Witwe vergehen, sie aber verhindert das im letzten Augenblick, indem sie ihm sein Skapulier vor Augen hält. Erschöpft wird sie mit ihrem Kind auf ihrer Flucht von Jakob Zettl aufgefunden und zur Pflege ins Bruder- haus gebracht. Er, der Viertelsmeister, ein strenger Katholik, besteht nun darauf, daß Herliberg der Prozeß gemacht wird. Trotz Margarets Fürbitte wi11d Herliberg verurteilt und durch Spießrutenlauf hingerichtet. Das Haupt des Sterbenden bettet sie in ihren Armen: ,,und den gerichteten Gewalttäter hält das Weib, das er begewalti- gen wollte, tot im Arm". Wie eine Ballade, düster und schwer, in grellen Tönen, bald forti:ssimo, bald pianissimo, werden die Szenen mit reifer Kunst gestaltet, ·die Sprache dröhnt und poltert wie die Soldateska; die Elemente, Unwetter, Gewitter, wirken mit, das beschleunigte Tempo reißt hin, alles spielt ,sich gehetzt, hastig ab, WOZl\1 die Handlungsführung und der dramatische Aufbau Entscheidendes beitragen. Das VI. Kapitel von den 12 des ganzen Buches bringt a1s Höhepunkt die Erhebung der Anklage und die Verhaftung des Täters. Pausenlos rollt nun alles Weitere in drei Tagen ab, ohne jede überflüssige, nur ausmalende Episode. Daß der katholische Pappenheimer seiner Strafe nicht entgeht, dafür sorgt der Katholik Zettl, der in Liebe und Barmherzigkeit die versuchte Untat an Margaret zu einer Angelegenheit christlichen Denkens macht. Schuld hat diesmal der Katholik, nicht die protestantische Witwe eines hingerichteten Aufrührers, auf die alles Licht fällt. Also Gegnerschaft gegen den Katholizismus oder zumindest religiöser Indifferentismus, wie die Formel lautete? Es war wieder ein Verkennen kÜillstlerischer Aufgabe, wenn diese Vorwürfe erhoben wurden; denn darüber wurde ja gar nicht geurteilt, wer nun eigentlich mit seinem Glauben recht habe; es wu11de ja nur dargestellt. Aber solche Darstellung wurde eben mißdeutet. Es ist verständlich, daß ein solches Buch zur Dramatisierung verlockte. Aber die Versuche scheiterten, nicht nur weil sie mit unzulänglichen Kräften unternommen wurden, sondern wohl auch an der Sache selbst. Handel-Mazzetti entwarf sogar eigen- händig eine Opernbearbeitung, von der freilich nur der Schlußakt ausgeführt wurde 58 , dieser zeigt aber schon, daß die Bearbeitung mit den Bühnenanforderungen in Schwie- rigkeit geriet 50 • Wie ein Satyrspiel folgte der Plagiatstreit mit Karl Schönherr, dessen Drama: „Glaube und Heimat" viel Aufsehen erregte; von einem wirklichen Plagiat kann keine Rede sein, wenn auch manche Berührungen aufgezeigt werden konnten. Aber -das war nebensächlich, denn die Thematik war ja ganz verschieden 60 • Inzwischen reifte eine dritte Frucht des Steyrer Aufenthaltes unmittelbar aus der Welt der „Armen Margaret" heran: ,,Stephana Schwertner" (1912 bis 1914). Die erste Idee zu diesem Werk keimte im Sommer 1908, noch vor der Konzeption der „Armen Margaret". Die Ausführung begann im März 1911, der 1. Band wurde September 1912 fertiggestellt; die Arbeit am 2. Band dauerte von November 1912 bis Juni 1913, die am 3. von Juli 1913 bis Juni 1914, im ganzen also 38 Monate. Ursprünglich in einem Band, dann in zwei Teilen geplant, schwoll das Buch schließlich zu drei Bänden mit einem Umfang von 1537 Seiten an. Der erste Teil: ,,Unter dem Richter von Steyr" erschien wieder zue11st in der „Deutschen Rundschau" Jul. Rodenbergs (38/ 8, 1912), die Veröffentlichung mußte aber gegen Ende des 39. Jahrgangs aUls mehreren Gründen unvermittelt abgebrochen wePden (Handel-Mazzetti an J. Rodenberg im Anhang der letzten Fortsetzung). Zugleich erschien der Roman in Buchform 61 • Von nun an wird die Schilderung, die Beschreibung, kurzum das episch erzählerische Element, das früher fast zurückgetreten ist, viel umfangreicher. Di:e Szenen werden eingebettet in eine solche Schilderung, die natürlich auch manches Nebensächliche bringt, und sind darum weitaus nicht mehr so konzentriert, wie das eben besonders in der 26

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