Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti

um Pöchlarn wird Schauplatz jener spannenden Handlung zwischen dem jungen Protestanten Jesse v. Velderndorff und der Katholikin Maria Schinnagel, der Frau des Reg,ensburger Revierförsters Alexander Schinnagel. Dessen Notlage versteht Jesse zur Verbreitung des evangelischen Glaubens zu benützen, bis Maria in Sorge um einen Glaubensabfall ihres Mannes, der sogar das Gnadenbild vom Taferlberg dem kecken Ketzer ausliefern •soll, diesen bei der Reformationskommission in Krems an- zeigt. Jesse wird vor eine Untel"suchungskommis:sion gestellt, bei ,der er sich zu einer Gewalttat hinreißen läßt - er verletzt den Abt von Lilienfeld •schwer - so daß er schließlich zum Tod durch das Schwert verurteilt wird. Maria aber bricht über ihrer Tat reumütig vor dem Bild -der schmerzhaften Muttergottes zusammen, denn das hat sie nicht gewollt. Der Roman spielt in -der Zeit zwischen dem Schmerzensfreitag 1658 und dem 4. Februar 1659, also in der Zeit zwischen zwei Muttergottesfeiertagen, was eine Art leitmotivischen und symboHschen Unterton abgibt 49 • Gegenüber dem „Meinrad" zeigen sich entscheidende Fortschritte in der Konzentrat,ion der Handlung, in einem zielstrebigen Aufbau, der den Leser in heiße Spannung ver- setzt, in der wohl abgewogenen Verteilung der Figuren, .die nicht nach Licht und Schatten einer Partei gezeichnet sind, sondern prägnant und lebensecht wirken, wobei auch manche Nebengestalten wie der derbe Pfarrer Wolf, der treue Lehrer Landesperger usw. unvergeßlich bleiben, ja sogar in den knappen Angaben von Ort und Zeit, die wie Bühnenanweisungen dastehen, aber durchaus zur Vertiefung beitragen. Deutlich sind nun Höhepunkt und Wendung herausgearbeitet, das Ganze von hinreißendem ,dramati- schem Aufbau. Wer bleibt nun Sieger? Keiner der beiden Gegner, weder Jesse, ,der enthauptet wird, noch Maria, die zusammenbricht. Siegerin bleibt aber die Sache Marias, der katholi- sche Glaube, der ja nicht durch sie allein vertreten wird. Es scheint also keine einseitige Parteinahme vorhanden, •solange man nicht bei den Personen der Handlung bleibt. Aber das wurde mißdeutet. Die Dichterin hatte sich, wie eigentlich auch ·schon im „Meinrad", bemüht, objektiv zu erzählen, soweit das eben in der Dichtung möglich ist, aber sie ver- rät doch in zahlreichen Bemerkungen, Wendungen und rhetori-schen Fragen ihre An- teilnahme und untel"drückt eigene Gemütsregungen nicht. Aber war das nicht immer das Vorrecht des Erzählers? Und überdies ,sind manche solcher Bemerkungen aus der Teilnahme und Stellung ihrer Gestalten gesprochen, wodurch eben ,starke Bewegung ausgelöst wird. Die Historiker anerkannten die Erfassung der Zeitumstände, die aber die kulturhistorische Schilderung nie zum Selbstzweck werden ließ, obwohl reiches, ja überreiches Wissen die Dichterin zur Auskramrung ihrer Kenntni,sse hätte verleiten können. Alles Wissen findet ·seinen berechtigten, ,sinnvollen Platz ,und wird nur ,,gelegentlich" geboten, so daß es nie „belehrend" wirkt. Auch die Archaisierung der Sprache, eine Schwierigkeit im historischen Roman, hä!t sich innerhalb gewisser Grenzen. Sie zeigt altertümliche Färbung, ohne aber ins Extrem des Kopierens zu verfallen, wie das etwa E. G. Kolbeneyer tat. Anklänge an die Sprache der Chroniken, orientiert an der lebenden Mundart, zeitgenössischer Protokoll- stil wird angestrebt, Übertreibungen aber vermieden, um die Lektüre nicht unnötig zu er.schweren, so daß eine durchaus persönliche eigenartige Miischung erfolgt. Der eigent- liche Erzähltext aber wil'd davon meist nur wenig berührt, höchstens daß der Satzbau beeinflußt erscheint. Erich Schmidt, der seinerzeit hochgeachtete Berliner Germanist, der eine Zeitlang auch an der Wiener Universität gelehrt hatte, schrieb beim Erschei- nen von „Jesse und Maria" 50 : ,,Durchaus kein Parteigänger ·der vorherl"Schenden Mundart in modernster ,deutscher Prosa, dramatischer oder erzählender, bewundere ich - und darf mir als Schulmeister wie als Halbösterreicher wohl ein Urteil zu- schreiben - die allen Reden verliehene derbe Kraft und saftige Fülle des Dialekts, in dessen Grobheit, ja Unflätigkeit auch die mit jedem Archaiismus, mit lateinischen und welschen Einschlägen der Epoche vertraute Feder tunkt." Mit folgerichtiger Notwendigkeit rollt die Handlung ab, ganz aus der Lage der Zeit und ihrer Menschen und braucht keinerlei Behelfe, wie Mißverständnis,se, ,die später bei Handel-Mazzetti so häufig stören. Es war eine große Tat, die die Dichterin mit einem Schlag in die Reihe der ersten Schriftstellerinnen ihrer Zeit hob. Marie v. Ebner- Eschenbach schrieb huldigend: ,, ... Ich bin voll Bewunderung, die ,das große Talent 23 der Baronin Handel mir einflößt, vor dem ich mich tief beuge . . . Das ganze Werk

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