Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti

glücklich geahnten, wenn auch zurecht gemachten Stoff Gestalt geworden, einem Stoff, der eine frauliche Hand suchte: Die Leiden eines Kindes. Es war ein viel- versprechender A'l.lftakt zu einer großen Oper, den Romanen aus der Zeit der öster- reichischen Gegenreformation, der Zeit des Gegensatzes •der zwei Glauben, der nicht durch Gewalt, sondern nur durch Liebe überwunden werden wollte. Merkwürdig, daß gerade katholische Blätter sich ablehnend oder kritisch verhielten 45 . Die „Neue Freie Presse" hingegen beurteilte das Werk positiv als Ausdruck einer Toleranz {23. Februar 1902) und R. M. Meyer, der ,seinerzeit sehr bekannte Berliner Literarhistoriker, schrieb in seiner „Deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts" {1901, S. 508), das Buch sei „die reife Frucht ,der so lange dürr gebliebenen katholischen Belletristik". Es war das Werk einer 28jährigen, und tiefer Blickende erkannten in der Zartheit und kundigen Zeichnung des Kindes, aber a'l.lCh in Gefühlser.güssen und Darstellung von Grausamem ,den Ausdruck einer weiblichen Seele. Drei große Romane, der dritte dreibändig, geschaffen in einem Zeitraum von kaum einem Jahrzehnt, das war an sich schon rein arbeitsmäßig eine achtbare Leistung. Denn wie schon beim „Meinrad" galt es, ,sich mit den geschichtlichen Verhältntssen vertraut iu machen, Luft und Last des Zeitalters LS ich so anzueignen, ,daß man darin lebte und aus ihm heraus zu schreiben imstande war. ,,Jesse und Maria", ein Roman aus dem Donaulande (1906), ,,Die arme Margaret" {1909), ein Volksroman aus dem alten Steyr, ,,Stephana Schwertner" mit den ,drei Teilen: ,,Unter dem Richter von Steyr", ,,Das Geheimnis des Königs", ,,Jungfrau und Martyrin" (1912 bis 1914), das ergab zusammen über zweieinhalbtausend Seiten. Hatte sich schon der „Meinrad" in zwei Teile gegliedert, was durch ,die Handlungs- führung bedingt war, so teilte sich „Jesse und Maria" auch äußerlich in zwei Bände, da der Umfang für einen Band zu groß war. Mit diesem Roman gab Handel-Mazzetti ihr erstes großes reifes Werk, und für viele ist es ihre größte Leistung geblieben. Das Buch führt in die Zeit der Glaubenskämpfe im Donauland 1658 und viele Kapitel werden durch genaue Zeitangaben ·eingeleitet. Das Geschehen drängt sich zusammen, was ein viel bunteres und doch einheitlicheres Bild gibt als der 11 Meinr.ad". Der Roman er- schien zunächst in der erst kurz vorher von Karl Muth ins Leben gerufenen vornehmen katholischen Zeitschrift „Hochland" {1904 bis 1906) und 1906 in Buchform. Er er- reichte von allen Werken der Dichterin die höchste Auflagenzahl. Bei einem ihrer mehrfachen Sommeraufenthalte in M·ar ia Taferl oberhalb von Krumm- nußbaum an der Donau stieß Handel-Mazzetti beim Stöbern im Pfarrarchiv auf Akten über die Geschichte des Gnadenbildes auf dem Taferlberg, die Entstehung der ,,Neuen Kirchfahrt auf dem Berge zum Täferle betreffend". Gemäß der 11 Vernem- mung .der Zeugen über die bey Crumpnußbaurnb in Pechlinger Pfarr entstandene Neue Kirchfarth von alters hero zum Täfele genant" wurden 40 Zeugen ein- vernommen von ·einem fürstbischöflichen Regensburger Förster Alexander Schin- nagel, der an ,schwerer Melancholie litt, beim Pechlarner Schulmeister und Bild- schnitzer Franz Meuß ein Holzbild der schmerzhaften Muttergottes bestellte, wie er im dritten Jahr eine Stimme hörte: Alexander, nimm dieses Bild und trng es zum Tafele hinauf und setz es in die Eiche! Er habe so gethan und alsobald ,sei sein Leiden ver- schwunden. Das Wunder wurde bekannt und die Andacht wuchs von Tag zu Tag. Aber auch Widerspruch, Feinde Mariae seien aufgestanden, die der Wallfahrt ent- gegen wirkten, deren Wirken aber Gott zu Schanden machte 46 . Im Stammbuch des Georg Ferdinand v. Velderndorff war zudem etwas Weniges über Jesse v. Velderndorff zu finden. Der Name von Je51ses Gegnerin Maria stand in der Meßstiftung als Maria Margarethe Schinnagelin, geb. Aichingerin. Die Örtlichkeiten waren der Dichterin bekannt und vertraut. Ein Porträt des Försters Schinnagel hing im unbenützten Chor der P. P. Carmeliter, das Wappen Schinnagels zeigte ein Herz, von drei Nägeln durch- stochen47. Für den Hintergrund des Glaubenszwistes zog die Dichterin Bernhard Raupachs „Evangelisches Österreich" (Hamburg 1732 bis 1741) zu Rate, studierte zahl- reiche gelehrte einschlägige Werke von Loserth, Peinlich, Wiedemann u. a. und für das Velderndorffsche Geschlecht auf Krummnußbaum den Stammbaum. Denn sie wollte streng geschichtlich vorgehen und schreibt daher über den „Je515e" : ,,Ich habe viel gewagt, die Zeit streng wahrhaft, ohne Schönfärberei dokumentenmäßig darzustel- len ... Viele werden zögernd fragen .. . Ist es wahr? - Ja, es ist wahr 48 ." Die Gegend 22

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