Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti

Woxindon", ,,Ludus Flavus", ,,Um das Leben einer Königin", vielleicht auch mit seiner ,,Geschichte ,der Katholikenverfolgung in England" von Heinrich VIII. bi'S Jakob 1. beitrugen. Die Prosaerzählungen und Skizzen greifen ,sehr häufig in die Wiener Umwelt, sie sind ja alle erst nach dem Klosterjahr entstanden. ,,Des braven Fiakers Osterfreude" (1893 ?) : ein einfacher, kindlich frommer Mensch macht sich selbst eine Osterfreude, indem er einer Witwe und ihrem Töchter! hilft und sie beschenkt, ohne daß sie er- fahren, wer der Geber ist; eine moralische Kalendergeschichte, die aber gute Beobach- tung des Fiaker-Milieus, auch sprachlich, verrät. Es ist bezeichnend, ·daß der Fiaker das „Neueste Weltblatt", Christoph Schmid, Hoffmann, Alban Stolz, den 11 Chri-st1ichen Sternhimmel" gern liest. Auch ,,'s Enger!" (1896) deutet in diese Richtung, wenn- gleich hier mit dem gutherzigen Sozialisten ein Problem angeschnitten wird und die soziale Note ·sich andeutet. Ihm •steht eine Beamtensfr.au gegenüber, die alles nur aus Eigenliebe tut. Beide bemühen sich um das todkranke 11 Engerl", das den Sozialisten immer zur Religion bekehren möchte. Während alle das Kind verlassen haben, das um die Sterbesakramente gebeten hat, ·stürzt der Sozialist arurs einer Parteiversamm- lung und findet das Mädchen ,sterbend, holt ihm den Priester, wobei er noch in ein Handgemenge mit seinem Parteifreund verwickelt wird. Tödlich verwundet bringt man ihn noch zum „Enger!", wo er mit Gott und Kirche versöhnt stirbt. Reichlich dick auf- getragen, wird doch gezeigt, daß der Sozialist, damals ein Schrecken des Bürgertums, menschlich besser ,sein kann, und leise klingt schon das „Magna res est caritas" an. „Der Stangelberger Poldl" und „Der letzte Wille des Herrn Egler" begegnen sich in der wohltätigen Verfügung eines Testamentes, das Herr Egler für vier arme Waisen- buben und für ein Waisenhaus trifft. Der Stangelberger Po1dl aber gewinnt zur Ze_it der Türkenbelagerung Wiens das Herz des reichen ungläubigen Dr. Merkator, der bei den Kämpfen schwer verwundet wird und den Dank Starhembergs empfängt, den ihm Poldl überbringt; er ,setzt Poldl zu seinem Universalerben ein, und stirbt, nachdem er durch Poldls Fürsorge die Sterbesakramente empfangen hat. „Als die Fr,anzosen nach St. Pölten kamen" (vor 1904) 37 schließt an die Chronik von St. Pölten an. Im Kloster der Englischen Fräulein herrscht große Aufregung, denn man muß die Besatzung über sich ergehen lassen. Einzelne Schwestern sind, wie die Anmerkungen betonen, geschichtliche Gestalten. Aurelia, die allerhand Gutes getan hat, erhält dann von ihrem Vater einen Brief mit der Schilderung der Schlacht von Aspern und des Sieges Erzherzog Karls über Napoleon. Natürlich handelt es sich wiederum um eine moralische Geschichte nach dem Spruch „Gott verläßt die Seinen nicht", aber ,die Erzählung ist flüssig geschrieben und zeigt Ansätze zu individueller Charakteristik, wenn etwa ein französischer Soldat gebrochen deutsch spricht oder die Hausgehilfin Susi sich der Mundart bedient. ,,Fahrlässig .getötet" betont wieder die soziale Note. Ein Arbeiter geht an einem Unfall, den ein reicher Mann verschuldet hat, zugrunde, der Haß der Witwe gegen diesen wird erst begraben, als der reiche Mann schwer krank darniederliegt. Auch „Dora", die Geschichte einer reichen hoch- nasigen Dame, die ZJum Vergnügen für Zeitungen schreibt und einen Roman plant, bringt eine Bekehrung. Dora gerät durch Unvorsichtigkeit in Feuersgefahr, ein Kohlen- träger rettet sie, im Spital geht Dora über Zusprache der Krankenschwester in sich, bereut ihre hochmütige Art und läßt sich endlich dazu herbei, ihrem Retter zu danken. ,,Kleine Opfer" (1901 ?) berührt sich stark mit ,dem Spiel „Ich kauf ein Mohrenkind"; gut gezeichnet i-st die einfache warmherzige alte F11au, zu der sich .das junge Mädchen gern flüchtet. Zum besten aber gehört wohl „Der Verräter" {1902), der das Schicksal Valentinis, der Mac Endoll im „Meinrad" angezeigt hat, zu Ende führt, bis zu seinem Selbstmord wie Judas! Also eine Abspaltung vom Roman, wohl ein später gestrichenes Kapitel. Aus Neid, Eifersucht, Liebe zu Mac Endolls Frau ist er, der im Leben immer nur getreten wur,de, soweit g,ekommen; ein packendes Seelengemälde der wachsenden Angst des Verfolgten, der aber sich selbst nicht enfliehen kann nach dem Motto: Eccl . XI, 3: ,,Si ceciderit lignum ad austrum aut ad aquilonem, in quocumque loco ceciderit, ibi erit." Aber diese Erzählung trug bereits dcrs Merkmal der Reife. Hier handelt es sich nicht mehr um Moralisieren, sondern um Darstellung eines Schicksals. Es ist heute noch staunenswert, wie rnsch der Sprung von den etwas 'schlichten, fast möchte man sagen, simplen Frühgeschichten gelang. Er ging freilich über den zunächst 19 nicht vollendeten Roman „Brüderlein und Schwesterlein", der durchaus noch in der

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