Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti

August und an ,die kleine Cornelia vor Starhemberg oder an Steffi vor Händel denken, das junge Mädchen vor dem Mächtigen, die jungfräuliche mulier fortis, wie Agnes vor dem Präfekten, jene Agnes, die immer wieder von der Dichterin gepriesen wird. Und da war noch ein Schauspiel in fünf Akten: ,,Nicht umsonst" (1892, Wien, St. Nobertus Druckerei), dem sogar die Ehre der Veröffentlichung zuteil wurde. Es spielt in Frank- reich 1675 und sein unverkennbares Vorbild ist Schiller. Der ungeschickte Bau - Beginn mit einem Monolog, der dritte Akt bleibt äußerlich - verrät die Anfängerin. Madame de Sevigne, deren Briefe wohl .die Anekdote geliefert haben, hat ,sich vom Hof zurückgezogen, ihre Tochter, Madame Grignan hingegen, ist noch lebenslustig, sie begibt sich auf einer Kahnfahrt leichtsinnig in Lebensgefahr, aus der sie gerade noch gerettet wird. Die Hofgesellschaft sucht gegen sie zu intrigieren, verliert aber das Spiel: Grignan sollte als Verräter beseitigt werden, doch wird er rehabilitiert und seine Frau muß nun nicht Hofdame werden, nachdem sie zunächst die unglücklich ver- heiratete Königin eigensüchtig an ,sich hatte ziehen wollen, die dann aber auf sie ver- zichtet. Das Stück, dessen Thematik nicht ganz klar herauskommt, spielt sich in drei Tagen ab, die gebrachten Opfer waren nicht umsonst. Geschichtliches wird in An- merkungen erläutert und bemerkenswert sind kulturgeschichtliche Details in bezug auf Kostüm, Frisur usw. Der Klostertradition entspricht der Epilog mit Anbetung der Hostie, dem Chor der Seraphim, der Stimme des Herrn, und der Vorführung ver- schiedener Seelen, •eine Nachahmung des Zweiten Faust-Schlus·ses. Die Art dieser Spiele wird, freilich mit gereiftem Kunstverstand, fortgeführt im „Haus der Gräfin Kiesel" (1906) und in „Sophie Barats Werk" (1908) 31 • ,,Das Haus der Gräfin Kiesel", zur Zweihundertjahrf.eier des St. Pöltner Klosters verfaßt, verwertet eine Episode aus dessen Gründungsgeschichte, die Schenkung eines Hauses an den Orden der Englischen Fräulein durch die Gräfin Kiesel, die Kind und Gatten verloren hat und nun durch ihre Schenkung der beengenden Raumnot des Instituts Abhilfe schafft. Kinderszenen, darunter ein Kind, das seine Mutter verloren hat und dessen Vater im Krieg geblieben ist, wie später jene Cornelia de Vry im „Grafen Reichard" . Die Schwester Grasmeyerin von Hötting bei Innsbruck spricht waschechte Tiroler Mundart. Kinderchor und Weihegebet schließen den Rahmen 32 • Zeigt dieses Spiel schon durch seine Entstehungszeit künstlerische Reifung, so ebenfalls die Szenen: ,,Sophie Barat" (1910), wobei schon an die Gestalt der Rita, Handel-MazzeWs katholi- sches Mädchenideal, angeknüpft wird 33 • Gewidmet ist das Spiel als Gedenkblatt zur Seligsprechung der Gründerin von Sacre-Coeur. Die kinderliebende Sophie trennt sich von ihren Angehörigen, um ·sich armer Kinder anzunehmen. Das Mädchen Elmire, dessen Vater auf dem Schafott endete, wird wie Cornelia de Vry ,in „Gmf Reichard" nach dem Tod ihrer Mutter aufgenommen und mit Liebe erzogen. Hier spielt nichts überirdisches mehr sichtbar herein, nur nach ihrer Weihe an das Herz Jesu erscheinen sechs weißgeklei,dete Engel, sonst bleibt alles im irdi•schen Bereich. Sophie aber will selbst eine neue ,geistige Jeanne ,d'Are sein. Doch was bedeuten gegen alle diese Spiele, ,so ,sehr sie unselbständig, angelernt über- nommen erscheinen, bei denen man aber doch eine innere Anteilnahme spürt, was bedeuten diesen gegenüber Versuche im konventionellen Schwank oder Lustspiel, wie „Diogenes" (Werdejahre 1, 89 ff., gedruckt im Wiener Schulfreund, aufgeführt 1904 in einem Verein) oder „Pegasus im Joch" (Werdejahre 1, 1 ff., 1895, gedruckt in der Monatsschrift des Apostolates für christliche Töchter), ja sogar das Missions.spiel „Ich kauf ein Mohrenkind", das eine kleine Erzählung „Kleine Opfer" für die Bühne bearbeitete 34 • Der Katechet wirbt in der Schule für ,den Loskauf von Mohrenkindern. Else findet Verständnis bei ihrer Mutter, aber Wi:der,stand bei ihrem Vater. Sie bringt als Opfer das ihr von den Eltern gegebene Taschengeld, um das sie ein Mohrl loskauft. Wiener Milieu gutbürgerlicher Art, als Gegenstück die arme Frau Bastlop aus Kritzen- dorf, deren Kind erkrankt ist, so daß sie sich in Not befindet - all das leitet zu den frühen Prosageschichten über, die ebenfalls bürgerliche Verhältnisse zu schildern be- müht sind. Die Szene führt dann in das Missionshaus in Algier, wo in größter Not zur rechten Zeit die Hilfe eintrifft. Es ist bemerkenswert, daß sich zu diesen zahlreichen dr,amatischen Probearbeiten, die durch das Klostertheater angeregt waren, auch epische Versuche gesellen, ,die in man- cher Hinsicht die künftige Epikerin vorausahnen lassen. Gewiß sind es vielfach noch 17 unreife Stücke, aber einiges läßt aufhorchen. Leider sind die Datierungen dieser Er-

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