Zum 100. Geburtstag von Enrica Handel-Mazzetti

Einleitung Enrica v. Handel-Mazzetti hat sich im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts rasch einen großen Leserkreis und ein großes literarisches Ansehen erworben, das freilich keines- wegs unbestritten blieb. Ihre ausgeprägt katholische Weltanschauung, die sie in allen ihren Werken nicht nur zeigte, sondern die den wesentlichen Untergrund für Ge- schehen und Haltung bildete, brachte ihr den Vorwurf der Tendenz ein, während ihr von anderer Seite gerade wieder eine zweideutige, ja modernistische Unparteilichkeit vorgeworfen wurde. So kam sie, ohne es zu wollen, ins Kreuzfeuer der Meinungen und hatte manche bittere Erfahrung auszukosten. Vielleicht hat sie das dazu geführt, ihr katholisches Bekenntnis noch stärker, ja nach Meinung mancher, überstark zu betonen, so daß sie zweifellos an Lesern einbüßte, obwohl sie zeitweilig unstreitig zu den meistgelesenen deutschen Schriftstellerinnen zählte, ja geraume Zeit als die bedeutendste deutsche Dichterin bezeichnet wurde. Sie selbst kann darauf hinweisen, daß ihr Ansehen und die Verbreitung ihrer Werke eine Generation hindurch gedauert habe. Das war die Zeit von 1900 bis etwa 1930. Dann freilich hatte sie nicht nur die Mitte des Lebens überschritten, sondern auch die Höhe ihrer Leistung, wenngleich man deshalb ihre Alterswerke nicht von vornherein ablehnen darf. Aber es war nicht nur ihre Kraft zurückgegangen, es hatte sich auch in ihrer Art manches geändert, so daß sie nicht mehr jene Triumphe feiern konnte, die ihr in den besten Jahren be- schieden waren. Aber das ist Menschenschicksal. Dazu trat aber als zweites der Wandel der Zeit. 1931 hatte ihr Verlag Kösel & Pustet in München zur Feier ihres 60. Geburtstages ein großes Werk, das aus Beiträgen hervorragender Kenner der Dichterin zusammengefügt war, herausgebracht; sie war auch in ihrer Heimat gefeiert worden und zahlreiche Festartikel in Zeitschriften und Zeitungen lassen noch erkennen, welches Echo dieses Fest fand . Mit dem politischen Umschwung durch die Machtergreifung des Nationalsozialismus und durch den Anschluß Österreichs an Großdeutschland war auch für Handel-Mazzetti, die katholische österreichische Aristokratin, eine Wende eingetreten. Ihre Bücher durften bald nicht mehr in den Auslagen der Buchhandlungen gezeigt werden, es durfte für sie nicht geworben werden, und obwohl sie 1941 in die Deutsche Dichter- akademie auf.genommen wurde, ereilte sie das Verbot ihrer Schriften - für einen Schriftsteller das Todesurteil. Zum übrigen wurde auch eine Feier ihres 70 . Geburts- tages verboten, verboten auch Huldigungen und Ähnliches, was ihre Verleger Kösel & Pustet in München in Form von persönlich gehaltenen Briefen, die dann später in einer Broschüre erscheinen sollten, vorgesehen hatten. Die Dichterin zog sich nun ganz ins Privatleben zurück, nachdem von ihrem letzten Roman „Graf Reichard" noch der I. Teil 1939 und der II. 1940 erschienen war. Der Schlußband: ,,Graf Reichard, Held und Heiliger", der für 1941 vorgesehen war, durfte nicht mehr erscheinen und kam erst 1949 überarbeitet im Rex-Verlag in Luzern heraus (Nachwort v. 8. Mai 1949), denn der Verlag Kösel hatte schon früher seine Pforten geschlossen. Inzwischen aber holte man zum 75. Geburtstag die versäumte Feier nach, zu der auch eine Festschrift, gewidmet von der oberösterr-eichischen Landesregierung und der Landeshauptstadt Linz, 1946 erschien. Für den 80. Geburtstag 1951 hatte sich die greise Dichterin jede öffentliche Feier verbeten, doch erschienen in verschiedenen Blättern manche Hinwei,se auf diesen Festtag. Aber es war mittlerweile um die Dichterin still geworden. Hatte man sich schon in den dreißiger Jahren mit ihrem Werk wissenschaftlich zu befassen begonnen, so hat die Linzer bundesstaatliche Studienbibliothek zu früheren Autographen nach dem Tod der Dichterin eine umfassende Sammlung von Material durchgeführt, die vor allem der Umsicht des inzwischen verstorbenen Direktors der Studienbibliothek, Hofr.at Dr. Kurt Vancsa, zu v,erdanken ist und die wertvolle Unterlagen für künftige Stud~en enthält 1 • Es wurden dort neben verschiedenen Ausgaben der Werke vor allem Originalmanuskripte, Briefe, Familienpapiere, Skizzenhefte und zeichnerische Übungen zusammengetragen, dazu die Varianten der Korrekturen, also unentbehrliche Unter- lagen für manche nun erst mögliche wissenschaftliche Untersuchungen. Man kann nur hoffen, daß diese Sammlungen vor allem durch Briefe der Dichterin, die noch verstreut sind (jetzt finden sich hauptsächlich die Briefe der Adressaten), ergänzt werden. 10

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