Amtsblatt 1898/32 der Bezirkshauptmannschaft Steyr vom 11. August 1898

3 tretung der §§ 8b und 45 des Gesetzes vom 29. Februar 1880, Nr. 35 R.=G.=Bl., erhobenen Anklag; freigesprochen wurden, und mit den Urtheilen des k. k. Kreis als Be¬ rufungsgerichtes in Olmütz vom 7. December 1897, Z. 13.160, und vom 31. December 1897, Z. 13.161, womit die gegen die obigen Urtheile eingebrachte Be¬ rufung des öffentlichen Anklägers zurückgewiesen wird, wurde das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 2, 223 und 238 St.=G. und der §§ 8b und 45 des Gesetzes vom 29. Februar 1880, Nr. 35 R.=G.=Bl., verletzt. Gründe: Nach Inhalt der Acten beider Instanzen der Straf¬ sachen gegen Jakob Coufal und Franz Funk wegen der im § 45 des Gesetzes vom 29. Februar 1880, Nr. 35 R.=G.= Bl., resp. Art. I des Gesetzes vom 24. Mai 1882, Nr. 51 R.=G.=Bl., bezeichneten Uebertretung brachten Jakob Coufal aus Celschowitz und Franz Funk aus Stinau am 13. Sep¬ tember 1897 je ein zum Schlachten bestimmtes lebendes Kalb auf den allwöchentlich in der Stadt Proßnitz abge¬ haltenen Fleischmarkt. Die Kälber waren wohl mit von den Gemeindeämtern Celschowitz, beziehentlich Stinau aus¬ gefertigten Fleischcertificaten, jedoch nicht mit Viehpässen gedeckt. Aus diesem Anlasse wegen der in den §§ 8b und 45 des Gesetzes vom 29. Februar 1880, Nr. 35 R.=G.=Bl., bezeichneten Uebertretung zur Verantwortung gezogen, wur¬ den Jakob Coufal und Franz Funk mit den Urtheilen des k. k. Bezirksgerichtes Proßnitz vom 4. November 1897 Z. 6511 und 6516, von der Anklage freigesprochen, weil die Bestimmungen des § 8 des Thierseuchengesetzes auf zum Schlachten bestimmte Kälber unter 6 Monaten nicht anwendbar seien und die Kälber auch nicht auf einen Vieh¬ markt, sondern auf einen Fleischmarkt aufgetrieben wurden. Die gegen dieses Urtheil vom öffentlichen Ankläger erhobene Berufung wies das k. k. Kreis= als Berufungs¬ gericht in Olmütz mit den Urtheilen vom 7. December 1897 Z. 13.160, und vom 31. December 1897, Z. 13.161, zurück. Es anerkannte zwar, dass die von Jakob Coufal und Franz Funk auf den Markt getriebenen Kälber mit Viehpässen zu decken waren, schloss aber doloses Zuwiderhandeln der Angeklagten gegen die Bestimmungen des Thierseuchen¬ gesetzes aus, weil dieselben, mit Fleischcertificaten versehen, in denen der gesunde Zustand der Kälber bestätigt werde, in dem Irrthume befangen waren, sie hätten durch Bei¬ bringung der Certificate an Stelle der Viehpässe dem Geiste des Gesetzes Genüge gethan. Die Urtheile beider Instanzen beruhen jedoch auf irriger Anwendung des Gesetzes. Es kann zunächst nicht zweifelhaft sein, dass die Aus¬ nahmsbestimmung des § 8 des Thierseuchengesetzes sich nur auf Kälber bezieht, die unmittelbar zum Schlachten von ihrem Standorte an einen anderen Ort abgetrieben werden. Dies geht aus dem Gegensatze hervor, in den im Gesetze „Rindvieh jeden Alters“, welches auf Vieh¬ märkten oder Auctionen gebracht wird, zu solchem Rindvieh gestellt erscheint, welches aus „Anlass des Wechsels des Standortes in einen anderen über 10 Kilometer entfernten Ort abgetrieben wird.“ Steht nun fest, dass im vorliegenden Falle die Kälber auf den Proßnitzer Wochenmarkt getrieben wurden, so ist schon damit die Verpflichtung, sie mit Vieh¬ pässen zu decken, gegeben. Dass der Markt als „Fleischmarkt bezeichnet wird, kann hieran nichts ändern. Dem hiefür maßgebenden ge¬ meinen Sprachgebrauche zufolge gilt als „Markt jede all¬ mein zugängliche, an einen bestimmten Ort und eine be¬ stimmte Zeit geknüpfte Zusammenkunft von Feilbietenden und Kauflustigen zum Zwecke von Geschäftsabschlüssen. Wird hiebei — wenn auch nur nebenbei und in zweiter Linie¬ — als Gegenstand des Marktverkehres lebendes Vieh aus¬ geboten und gekauft, so wird eben hiedurch der Markt zum Viehmarkte (vorliegend zum Stechviehmarkte) im Sinne des Thierseuchengesetzes. Es sind damit jene Bedingungen ge¬ geschlossen, die die im § 8 des Gesetzes vorgeschriebenen Vorsichten erheischen, nämlich Auftrieb von Vieh verschie¬ dener Provenienz, gegenseitiger Contact desselben und die hiedurch, sowie durch etwa nachfolgende Berührung des vom Markte wieder abgetriebenen Viehes mit anderem Vieh her¬ beigeführte Möglichkeit der Verschleppung von Krankheits¬ keimen. Sobald also Kälber unter 6 Monaten Gegenstände irgend eines Marktes werden, unterliegen sie den Bestim¬ mungen des ersten Absatzes des § 8 b des Thierseuchengesetzes ausnahmlos, zumal ja überdies die Möglichkeit nicht aus¬ zuschließen ist, dass der Käufer sie nicht der Schlachtung, sondern einem anderen Zwecke zuführt, oder dass sie un¬ verkauft den Rückweg vom Markte antreten müssen. Die Anschauung des ersten Richters verstößt somit gegen das Gesetz. Allein auch das Berufungsgericht irrt, wenn es zum Delictsthatbestandes des § 45 des Thierseuchengesetzes doloses Zuwiderhandeln fordert und die Angeklagten wegen des über die rechtliche Bedeutung des Fleischcertificates unter¬ laufenen Irrthumes entschuldigt. — Culposes Thun genügt zur Herstellung des Delictsthatbestandes des § 45 des Thier¬ seuchengesetzes. Das die Kälber deckende gemeindeämtliche Fleischcertificat aber konnte die gesetzlich vorgeschriebenen Viehpässe nicht ersetzen. Abgesehen davon, dass das den Acten der Strafsache gegen Jakob Coufal allegierte Cer¬ tificat eine Bestätigung über den Gesundheitszustand des Kalbes gar nicht enthält — denn die betreffende Rubrik ist nicht sachgemäß ausgefüllt — handelt es sich beim Auf¬ triebe von Vieh auf Märkte nicht bloß um die Gesundheit des aufgetriebenen Viehes, sondern auch um dessen unver¬ dächtige Provenienz. Dafür aber, ob am Standorte des Viehes oder in dessen Umgebung keine ansteckende Thierkrankheit herrsche, bot das Certificat keine Gewähr. Es entsprach somit seinem Inhalte nach keineswegs den Erfordernissen eines Viehpasses und konnte als solcher nicht gelten. Die Unkenntnis der Bestimmungen des Thier¬ euchengesetzes endlich vermag die Angeklagten nicht zu recht¬ fertigen. Dass für den Auftrieb der Kälber die Beibrin¬ gung von Viehpässen vorgeschrieben sei, hatten sie zu wissen; ein in dieser Beziehung auf ihrer Seite etwa obwaltender Irrthum wirkt als aufliegender Rechtsirrthum (Unkenntnis der Bestimmungen eines strafrechtlichen Nebengesetzes) keines¬ wegs strafausschließend gemäß § 26 St.=G.; es kommt vielmehr der in den §§ 233 und 238 St.=G. ausgesprochene Grundsatz, dass Unkenntnis des Strafgesetzes nicht ent¬ schuldige, vorliegend zu voller Geltung. Es war daher die erfolgte Gesetzesverletzung auszu¬ sprechen. Der Oberste Gerichts= und Cassationshof. Wien, am 3. Mai 1889. Stremayr m. p. Pachner m. p. Für die richtige Abschrift! Wien, am 30. Juni 1898. Der Expedits=Director im k. k. Ministerium des Innern: Fromm m. p. Steyr, am 5. August 1898.

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