Amtsblatt der Stadt Steyr 2001/1
Gesundbleiben erden Verantwortung für die Gesundheit übernehmen Die Feldenkrais®-Methode Eine Chance auf ein glückliches und erfülltes Leben ,,Erst wenn wir wissen, was wir tun, können wir tun, was wir wollen." Wir Menschen unterscheiden uns von den mei- sten Tieren durch den Besitz zweier bemer- kenswerter Fähigkeiten: Die eine ist die Fähig- keit zu lernen, die andere ist Bewusstheit. Wenn ein Menschenkind geboren wird, kann es - bis auf einige angeborene Reflexe, wie z. B. das Saugen - praktisch nichts. Genau genom- men ist es ein hilfloses, nahezu blindes, bewe- gungsarmes „Hör-Riechti er". Doch gerade die- ses „Nichtkönnen" schafft die perfekte Grund- lage für individuelles Lernen und menschliche Entwicklung. In Abhängigkeit von Genetik, ge- sundheitlichen und sozialen Faktoren lernt je- der Mensch, sämtliche menschlichen Funktio- nen mehr oder weniger oder gar nicht zu be- herrschen. Doch wir leben in einer Zeit, in der Äußerlich- keiten und materielle Dinge über innere Werte, Menschlichkeit und Ethik dominieren. Im Zuge dieser menschenfeindlichen Entwicklung ist uns die lustvolle Fähigkeit zu lernen abhanden gekommen. Wir haben größtenteils verlernt, unseren Körper, unser wahres Wesen und un- seren persönlichen Lebenssinn zu spüren. Oft sind wir, ohne es zu wissen, in gewohnten Bewegungsmustern und ungesunden Verhal- tensweisen gefangen, und die Angst vor Verän- derung lässt gerne „alles beim Alten". Erst wenn Schmerzen und Leid uns wachrütteln, merken wir, dass es längst an der Zeit ist, eine Standort-Bestimmung durchzuführen. Mitten im Zweiten Weltkrieg gebar Dr. Moshe Feldenkrais (1904 - 1984), ein Mensch mit scharfsinniger Genialität und ungeheurer Ener- gie, die Idee, dass durch Körpererfahrung und Körperbewusstsein Selbstverwirklichung und Glück gefunden werden können. Sein Ziel war es, seinen Schülern das Höchstmaß ihrer eige- nen Möglichkeiten durch die Macht ihres Gei- stes zugänglich zu machen . .. Alles Leben ist Bewegung. Be- weglicher werden bedeutet le- bendiger werden ." Dr. Feldenkrais war Forscher, Physiker und Judomeister. Eine schwere Knieverletzung zwang ihn sehr früh, sich intensiv mit sich selbst und den Bewegungsabläufen des menschlichen Körpers auseinander zu setzen. Seiner Ansicht nach gibt es vier menschliche Hauptfunktionen: Denken, Sinnesempfin- dung, Fühlen und Bewegung. Keine dieser Elementarfunktionen kann ohne Mitbeein- flussung der anderen verändert werden. Bewe- gung schien für Dr. Feldenkrais der Schlüssel zum Leben zu sein. Durch Einflüsse von östlichen und westlichen Philosophien, vor allem aber durch die moder- ne Wissenschaft, entwickelte er eine Methode, die in umfassendem Sinn eine Möglichkeit zu Selbsthilfe und Selbsterziehung über den Weg der Körpererfahrung ist. Die Feldenkrais-Me- thode ist ein sanfter Weg, sich selbst und sei- nen Körper durch spielerische Bewegung ken- nen zu lernen. Sie hilft, gewohnte Bewegungs- muster und festgefahrene Verhaltensweisen, die Schmerzen und Unglücklichsein verursa- chen können, zu erkennen und sie dadurch zu verändern. Die Feldenkrais-Methode kann auf zwei Wegen erfahren werden: in der Gruppenarbeit und in Einzelstunden. ..Der Weg ist das Ziel" „Bewusstheit durch Bewegung" nennt sich die Gruppenarbeit. Hier motiviert der Feldenkrais- lehrer verbal zur Erforschung verschiedenster Bewegungsabläufe aus dem täglichen Leben, z. B. drehen, rollen, bücken, gehen etc. Während der Schüler sich langsam und ohne Anstren- gung bewegen lernt, stellt er sich stets die we- sentliche Frage: ,,Wie tue ich etwas, und nicht, wo komme ich damit hin". Durch diesen Pro- zess schärft er seine Aufmerksamkeit, schult seine Körperempfindung und erlangt so einen höheren Bewusstheitsgrad. Der Schüler er- kennt zunächst seine gewohnten Bewegungs- muster und lernt anschließend, unbrauchbare zu eliminieren und neue Möglichkeiten zu inte- grieren. Am Ende hat er die Freiheit, aus den unterschiedlichen Alternativen zu wählen, und findet größere Leichtigkeit im Tun. Während der Einzelstunden, auch „Funktiona- le Integration" genannt, findet zwischen Leh- rer und Schüler eine Art nonverbale Kommuni- kation statt. Der Feldenkraislehrer berührt und bewegt den Schüler sanft und behutsam, wobei von diesem nicht Passivität, sondern aktive Teilnahme durch Achtsamkeit und Körperge- wahrsein gewünscht wird. Auch hier „erspürt" der Schüler, diesmal durch die Hände des Leh- rers, seine gewohnten Muster und lernt, diese - durch Anbieten anderer Varianten - zu verän- dern. Wichtig ist, dass der Lehrer den Lernen- den nicht „pusht", sondern ihn dort abholt, wo er sich seinem Entwicklungsstand gemäß befin- det. Das Gelernte sollte vom Schüler gewollt und gebraucht werden, um es sinnvoll in sein Leben integrieren zu können. Die Feldenkrais-Methode ist eine ganzheitliche, bewegungsorientierte Lernmethode und er- reicht dadurch ein breitgefächertes Spektrum von Interessenten. Sie spricht Menschen an, die an persönlichem Wachstum und am Lernen interessiert sind. Sie kann Menschen helfen, die sich durch Schmerzen des Bewegungsappa- rates beeinträchtigt fühlen oder aufgrund funk- tioneller bzw. neurologischer Störungen an ei- nem Bewegungsdefizit leiden. Doch auch Men- schen aus dem Bereich der Künste und dem Leistungssport können mit Hilfe dieser Metho- de zu größerer Anmut und Effektivität in der Bewegung gelangen. ,,Werde, was du bist" Jeder Mensch handelt gemäß seinem Selbst- bild. Viele Menschen gehen mit verinnerlichten Glaubenssätzen durchs Leben, z. B. ,,das Leben ist schwer"; ,,je mehr ich mich anstrenge, umso erfolgreicher und beliebter werde ich sein". Der Eigenwert misst sich an der selbst erbrachten Leistung. Es sind Gläubenssätze, die von Autoritäten in der Kindheit übernommen werden, bis man tatsächlich glaubt, es seien die eigenen. Im spä- teren Leben ist es oft schwer, sich unter all die- sen aufgesetzten Masken selbst zu finden. Des- halb misst die Feldenkrais-Methode der Kor- rektur des Selbstbildes und der Selbsterziehung die größte Rolle im Leben eines Menschen bei. Bewusst zu sein bedeutet einerseits, die Frei- heit zu wählen, andererseits Verantwortung für sich, seinen Körper und sein Handeln zu über- nehmen. Hat man einmal das Selbststudium aufgenommen und wirk- lich begriffen, wie man funktioniert, ist das Ge- heimnis gelöst. Der Lohn für diese Mühe ist ein harmonisches Miteinander von Kör- per, Seele und Geist. Dr. Karin Kittinger <Ärztin für Allgemeinmedizin und Dipl. Feldenkraislehrerin) ...ein starkes Stück Stadt 29
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