Amtsblatt der Stadt Steyr 1999/12

Gesundbleiben weraen Verantwortung für die Gesundheit übernehmen „Der ganz normale Beziehungswahnsinnu Zwei Menschen setzen sich an einen Tisch, der selbstverständlich hübsch gedeckt ist, und gön- nen sich ein Gespräch. Bisher klingt es doch sehr gut. Schwierigkeiten könnten sich heim- lich einschleichen, wenn es sich bei den beiden Menschen um Menschen unterschiedlichen Ge- schlechts handelt, wenn sie obendrein ein Paar sind und dieses Gespräch sowieso schon lange fiillig ist (denkt sie) oder am besten gar nicht geführt werden sollte (denkt er). Sie geht vielleicht mit diesem Gespräch schon lange schwanger, hat es in Gedanken schon un- zählige Male geführt - soll es doch beziehungs- erhellend sein. Argumentiert, diskutiert - be- spricht sich noch mit ihrer besten Freundin - und bringt sich allmählich mit ihrer geleisteten Vorarbeit schon richtig schön in Schwung. Wa- ren es gerade noch gewisse Dinge, die sie an ihm stören, so stellt sie allmählich die gesamte Beziehung in Frage. Er bekommt unzählige Chancen, doch selbst mit dem Gespräch zu be- ginnen, von dem er gar nicht weiß, daß er es führen soll. Nein, die beiden stehen nicht kurz vor der Scheidung (auch wenn für sie momen- tan der Gedanke gar nicht mehr so erschrek- kend ist) . Es geht einfach darum, was sie Be- ziehungspflege nennt und für ihn eher die Q!ialität einer Fahrt mit der Geisterbahn hat. Hinter jeder Ecke lauert ein Schrecken, dem er sich unvorbereitet ausliefern muß. Das erste Gespenst könnte sein, daß er nie sagt, daß er sie liebt; daß er ihr nie zeigt, daß sie für ihn wichtig ist; daß er für andere Men- schen immer Zeit hat - für sie nie; daß er nie fragt, wie sie sich fühlt - interessiert sich nicht für ihre Gedanken; und außerdem ist er den Kindern ein Vater, der noch sehr, sehr viel zu lernen hat. Er hat natürlich auch ein Gespenst versteckt: Sie zeigt ein geringes - wenn überhaupt - Inter- esse an seiner Arbeit; weiß seine Anstrengun- gen, die Familie zu erhalten, kaum zu schätzen; ist zwar eine hingebungsvolle Mutter - läßt diese Hingabe als Geliebte aber sehr vermis- sen; und kann einfach nicht begreifen, daß er nach einem Arbeitstag Ruhe braucht und vor allem Frieden. Als hätte er nicht schon genug um die Ohren, soll er sich jetzt noch hinsetzen und reden. „Du redest nie mit mir!" - ,,Du willst immer alles zerreden!" Kommt Ihnen das bekannt vor? Die Schreiberin dieser Zeilen windet sich ein wenig, weil sie sich in der dargestellten Frau ein kleines bißchen wiederfindet (aber na- türlich nur ein klitzekleines bißchen). Wenn diese „Generalisierungs-Gespenster" er- scheinen, kann man ihnen kaum etwas entge- gensetzen - obwohl er sich noch bemüht, den genauen Tag und die Stunde seiner letzten Ver- fehlung zu erfragen, was für sie wieder ein Hinweis seiner Unsensibilität ist. Es gibt ja hinreichend Literatur zu dem Thema, daß Frauen und Männer sehr unterschiedlich kommunizieren. Bei meiner Arbeit mit Paaren bestätigt sich dies stets aufs neue. Wir wissen auch, daß eine der Ursachen in der Erziehung zu suchen ist. Männer sind sozusagen zustän- dig für den Hausbau - also die Tätigkeit - und die Frauen für die emotionale Einrichtung des Beziehungshauses. Soweit so klar, wenn nicht die Frauen so gerne umstellen würden. In Partnerschaften weiß jeder, was er fühlt und denkt deshalb oft, daß es der Partner ja schließlich wissen müßte: Es ist wohl klar, daß man vor 15 Jahren aus Liebe geheiratet hat - also braucht man das ja nicht extra zu wieder- holen. Der andere kitzelt und kitzelt und hat dann gar keine Freude, weil er kitzeln mußte, um Bestätigungen zu erhalten. Das ist auch ein Beziehungsgespenst - das „Das mußt du doch wissen-Gespenst" . Eigenartig, wir leben in ei- ner Welt, in der der Informationsfluß unge- mein wichtig ist - in der Partnerschaft schrei- ben wir aber gerne hellseherische Q!ialitäten zu. Es gibt natürlich auch noch das „Sexualmon- ster" , das sich verschiedenartig einsetzen läßt. Viele Männer machen den aktuellen Bezie- hungsstand anhand der Sexualität fest. Wenn die klappt, dann stimmt auch die Beziehung. Die Frauen können sich oftmals nur auf die Se- xualität einlassen, wenn sie das Gefühl haben, daß zuerst der andere Teil der Beziehung stimmt. Und so lassen sie häufig ihrem Partner verschlüsselte Nachrichten über das Bett zu- kommen, z. B. in Form von Verweigerung. Dann gibt es noch das „Du verstehst aber schon gar nichts-Monster" , das sich gerne im Umgang mit Problemen zeigt. Wenn eine Frau ein Problem äußert, dann gibt ihr der Mann häufig zu verstehen, daß nach Sichtung der Fakten zwei bis drei Lösungsmöglichkeiten zur Auswahl stehen. ,,Wo ist jetzt eigentlich das Problem?" Die Frau, die in Wirklichkeit durch- aus in der Lage ist, Lösungen zu finden, möch- te sich nur verstanden fühlen, möchte ihre Seelenlage schildern und Interesse an ihrer Person in dieser Situation spüren. Die sachlich- rationale Ausdrucksweise des Mannes läßt ihre Argumentation häufig wie ein Kartenhaus zu- sammenbrechen, und die emotionale Aus- drucksweise der Frau entpuppt sich für ihn oft- mals als wahres Minenfeld. Ich bin mir darüber schon im klaren, daß ich hier nur einen Teil herausgreife (nämlich den, der mir am h~ufigsten hei meiner Arbeit mit Paaren unterkommt), daß dies nur ein Aus- schnitt sein kann und daß ich damit den un- zähligen Paaren, die sehr gut miteinander kom- munizieren, überhaupt nicht Rechnung trage - die kommen aber auch nicht in Therapie. Wie kann nun ein/e Therapeut/in unter- stützen, wenn das Paar das Gefühl hat, ein- fach nicht mehr miteinander reden zu können? Die/Der Therapeut/in kann mit Übersetzungen aushelfen, kann solange nachfragen, bis die In- formationen, die hinter den Worten liegen, von beiden klar und deutlich verstanden werden. Sie/Er kann helfen, Unterschiede im Sprachli- chen und deren Ursachen aufzuzeigen und kann darauf aufmerksam machen, daß etwas so ausgetragen wird, was eigentlich woanders hingehört. Die/Der Therapeut/in kann helfen, die speziellen Beziehungsmuster zu entdecken; und es gilt auch, die Bereicherungen, die aus der Unterschiedlichkeit heraus entstehen, fin- den zu helfen. Der Partner kann dann wieder anders wahrgenommen werden, wenn eine Sensibilisierung für einander entstehen konnte, wenn es den nötigen Informationsfluß gibt und somit der Raum für Interpretationen viel klei- ner werden kann. Haben diese doch meistens etwas mit uns selbst zu tun, was viele Irrtümer fördert. Wir sind bereit, Fremd- sprachen zu lernen, da- mit wir uns im „Aus- land" sicherer und lust- voller bewegen können - sind nicht auch unse- re Partner immer wieder ein Stück- chen Neuland? Andrea Braunsberger (Psychotherapeutin> 40/424

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2