Amtsblatt der Stadt Steyr 1998/6

Gesundbleiben werden Verantwortung für die Gesundheit übernehmen Der Kreuzschmerz schmerzen? Wenn der Patient zu mir kommt, gehe ich nach folgendem Untersuchungs- schema vor: Haben Sie Rückenschmerzen? Wenn ja, dann gehören Sie zu den 80 °/o der österr. Bevölke- rung, die mindestens einmal in ihrem Leben von Rückenschmerzen geplagt wird. Es muß betont werden, daß nicht jeder Rücken- schmerz ursächlich mit der Wirbelsäule in Ver- bindung steht. Erkrankungen innerer Organe, wie z.B. der Nieren, des Magens, der Blase oder der Eierstöcke, können ebenfalls zu Kreuz- schmerzen führen. Hier muß selbstverständlich der Arzt die Ursache abklären, damit eine ge- zielte Behandlung erfolgen kann. In den meisten Fällen aber sind Rückenschmer- zen die Antwort des Körpers auf längere oder ständige Fehlbeanspruchung durch schlechte Haltungsgewohnheiten oder einseitige Bela- stung. Jedes Kleinkind weiß instinktiv, wie es sich richtig halten und bewegen muß. Dieses natürliche Haltungsgefühl geht im Laufe des Erwachsenwerdens verloren, z.B. durch stun- denlanges, gekrümmtes Sitzen und jahrelanges, falsches Heben. Der menschliche Körper kom- pensiert lange Zeit diese Fehlbeanspruchung, sodaß wir über Jahre hinweg gar nicht gemel- det bekommen, was falsch am „Heben aus dem Kreuz" oder am „gekrümmten Sitzen" ist, ob- wohl sich in dieser Zeit schädliche Einflüsse summiert haben und eines Tages plötzlich schmerzhaft bewußt werden. Treten diese Beschwerden sozusagen aus heite- rem Himmel auf, erkennen wir den Zusam- menhang zwischen Schmerz und schlechter Haltung nkht, da man ja über Jahrzehnte trotz dieser Haltung keine Schmerzen hatte. Der jetzt plötzlich auftretende Schmerz erscheint uns daher nicht logisch. Wenn jetzt die Muskeln zu schmerzen begin- nen und der Arzt eine Bandscheibenschädi- gung oder Gelenkveränderung festgestellt hat, erwartet man sich eine schnelle Abhilfe, was nur in seltenen Fällen möglich ist. Jetzt ist es höchste Zeit, mit einer aktiven Therapie zu be- ginnen. Das Ziel der Behandlung besteht darin, die Schmerzen zu lindern, jahrelange falsche Bewegungsmuster abzubauen, jene Muskeln, die sehr lange inaktiv waren, zu trainieren, und solche, die aufgrund der Inaktivität verkürzt sind, zu dehnen. ·--ein starkes Stück Stadt Wirbelsäule und Bandscheibe - was ist das? Die Wirbelsäule besteht aus 7Halswirbeln, 12 Brustwirbeln und 5 Lendenwirbeln. Zwischen den Wirbelkörpern liegen die Bandscheiben. Diese bestehen aus einem weichen (gallertarti- gen) Kern und einem festen (faserigen) äuße- ren Ring. Bänder und Muskeln bilden eine ak- tive und passive Funktionseinheit. Dieses fein aufeinander abgestimmte System befindet sich in einem Zustand der Balance, wenn die Hal- tung „aufgerichtet" ist. Jede langanhaltende Beugung der Wirbelsäule belastet Bänder, Bandscheiben und Wirbelge- lenke und bringt die Muskulatur aus dem Gleichgewicht. Ganze Muskelgruppen verspan- nen sich, andere werden schwach. Der Band- scheibenkern hat bei der Vorwärtsbeugung der Wirbelsäule die Tendenz, nach hinten auszu- weichen, ähnlich wie beim Druck auf eine wei- che Zwetschke, wo man den Kern herausdrük- ken kann. Dieses Wandern des Kerns nach hinten passiert immer dann , wenn Sie über längere Zeit Arbeiten mit vornübergeneigtem Oberkörper ausführen. Der Schmerz, den man beim Wiederaufrichten verspürt, ist sicher vie- len von Ihnen bekannt. Der gefährlichste Aus- löser jedoch für einen Bandscheibenvorfall ist jene Bewegung, wenn Sie zusätzlich noch die Wirbelsäule drehen, zur Seite neigen und gleichzeitig eine Last heben. Selbsthilfe und Fremdhilfe Die Selbsthilfe bei akuten Kreuzschmerzen wird zunächst das Ziel haben, den Schmerz zu lindern. Als Betroffener merkt man sehr rasch, welche Körperhaltung Erleichterung bringt, und welche Bewegungen den Schmerz verstär- ken. Bei Rückenschmerzen sollte also alles ver- mieden werden, was zu einer Verschlimmerung der Beschwerden führt. Insbesondere ist dies langes Sitzen, langes Autofahren, arbeiten in vornübergeneigter Haltung, etwa im Garten, und das Heben und Tragen von schweren Ge- genständen. Fremdhilfe Was macht nun der Physiotherapeut bei Kreuz- 1. Wie ist die aktuelle Haltung? 2. Wie bewegen sich die Gelenke: zu wenig, normal, zu viel? 3. Wie ist die Stabilität der Wirbelsäule? 4. In welchem Zustand sind die Muskeln? Ha- ben sie eine normale Länge? Sind sie ver- kürzt, verspannt oder zu schwach? 5. Wie ist die Koordination des Patienten? 6. Wie bewegt sich der Patient - z.B. in ungün- stigen Bewegungsmustern? Nimmt er aus Unkenntnis ständig eine Fehlhaltung ein? Nach dieser Untersuchung werden gemeinsam mit dem Patienten Behandlungsrichtlinien auf- gestellt. A) Instruktion: Der Patient wird angewiesen und geschult, wie er heben soll und welche Tätigkeiten und Bewegungsmuster schäd- lich bzw. unschädlich sind. B) Stabilität - Muskelkräftigung - Koordinati- on: Muskeln, die der Wirbelsäule Schutz geben, werden rückenschonend koordiniert und gekräftigt. C) Muskeldehnung: Verkürzte Muskeln wer- den gedehnt, um das natürliche Muskel- gleichgewicht wieder herzustellen. D) Mobilisation: Werden bei der Erstuntersu- chung Wirbelsäulensegmente gefunden, die zu wenig beweglich sind, werden diese mo- bilisiert, um die optimale Bewegungs- möglichkeit der gesamten Wirbelsäule wie- der zu erreichen. Der Patient befindet sich so lange in physiothe- rapeutischer Behandlung, bis er weitgehend be- schwerdefrei ist, und ich ihn so motivieren konnte, daß er das spezifisch auf ihn abge- stimmte Übungsprogramm selbständig zu Hau- se durchführt. Nur wenn der Patient die Eigenverantwort- lichkeit für seinen Rücken übernimmt und ihm seine Hal- tung wichtig wird, kann er ein weitgehend be- schwerdefreies Alltagsleben füh- ren. Marianne Fuchs (Diplomierte Physiotherapeutin) 27/183

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