Amtsblatt der Stadt Steyr 1997/6

Gesund ·,leiben Wt;; den Verantwortung für die Gesundheit übernehmen Macht Schule krank? Zeit ein massives Problem hat. Allein das Wis- sen um den erwähnten Zusammenhang hat den Konflikt mit der Lehrerin entschärft. Nicht unwichtiges Detail am Rande: Auch die Lehre- rin hat eine Tochter im gleichen Alter, mit der sie von Zeit zu Zeit große Schwierigkeiten hat. Auch hier bestätigt sich die systemische Sicht von Schule. Lisa ist 8 und ein ausgesprochen lebendiges Kind. Normalerweise, denn in den letzten Wo- chen hat sich einiges verändert. Immer vor Schultagen schläft sie unruhig, will am Morgen nicht aus dem Bett, wirkt blaß und klagt immer öfter über Bauchschmerzen. Die Eltern sind ratlos. Eine ärztliche Untersuchung bringt kei- nen konkreten Hinweis auf ein organisches Leiden, und auch die besorgten Versuche der Mutter, in einem Gespräch „etwas herauszube- kommen", verlaufen im Sand. „Schulprobleme" haben viele Gesichter. Von scheinbar ganz normalen Lernschwierigkeiten bis zum Selbstmordversuch, vom oft nicht ernst genommenen Bauchweh bis zum Drogenpro- blem reicht da die Palette. Vom „Leiden an der Schule" ist die Rede, von „Schulangst" oder ganz einfach von der tödlichen Langeweile, die bereits den Volksschülern den Spaß am Lernen und Unterricht raubt. „Geht es Ihnen gut oder haben Sie ein Kind in der Schule?" Nichts drückt deutlicher das Un- behagen vieler Erwachsener mit der Institution Schule aus, als dieser immer wieder gehörte, alte Stehsatz. Aber auch die Lehrer leiden an der Schule. In kaum einer anderen Berufsgrup- pe ist laut diverser Untersuchungen der Anteil der psychosomatischen Beschwerden so hoch wie bei den Lehrern. Die Auseinandersetzung mit den - laut allgemeinen Aussagen - immer schwieriger werdenden Schülerinnen und Schü- lern treibt viele von ihnen in die Resignation. Das Schlagwort vom „Burn out-Syndrom" macht die Runde. Schule • ein Spiegel der Gesell schaft Trotzdem, auch wenn des öfteren behauptet wird, daß das „wirkliche Leben" vor den Schultoren halt macht, Schule existiert nicht im luftleeren Raum, sie ist und bleibt ein Spiegel unserer Gesellschaft. Mehr noch - Kinder spü- ren viel eher die Widersprüche, die uns umge- ben; sie reagieren wie Seismografen auch auf die Brüche und Erschütterungen, die wir Er- wachsene oft nicht wahrhaben wo llen. Das Problem mit diesen Reaktionen, die nicht selten in den oben erwähnten „Schulproble- men" ihren Ausdruck finden, ist allerdings, daß sie von denen, die normalerweise damit konfrontiert sind, schwer richtig zu deuten und zuzuordnen sind. Lehrer sind oft zu sehr und 24/180 ausschließlich mit der Vermittlung von Wissen beschäftigt und übersehen dabei, daß das Nichtansprechen von Problemen gerade auch den Wissenserwerb behindert. Eltern finden oft kaum Zeit, sich mit ihren „schwierigen" Kin- dern auseinanderzusetzen. Dazu kommt, daß Lehrer wie Eltern oft selbst Teil des Problems sind und sich gerade deshalb schwer tun, Lösungsansätze zu erkennen. Ganz zu schwei- gen von den Schülern, die sich als die Betrof- fensten oft sehr selten über ihre Reaktionen im klaren sind. Hilfe von außen scheint daher in vielen Fällen angebracht. Schule - ein vernetztes System In der therapeutischen Arbeit mit den Betroffe- nen wird deutlich, daß sogenannte „Schulpro- bleme" oft sehr komplexe Ursachen haben und weit über Schule (im Sinne von Unterrichts- arbeit) hinausgehen. So wird zum Beispiel nie- mand bestreiten, daß familiäre Schwierigkei- ten, wie Ehekrisen, Krankheit, Tod oder Schei- dung, das Verhalten von Schülern in der Schule entscheidend beeinflussen können. Leistungs- abfall, Aggressivität, Schulschwänzen, .... die Reaktionen können sehr vielfältig sein. Meist sind die Zusammenhänge aber verdeckter und damit schwerer zu erkennen. In dieser Hinsicht ist es hilfreich, Schule als vernetztes - aus El- tern, Lehrern und Schülern bestehendes - Großsystem zu sehen, in dem jede Bewegung eines Beteiligten mehr oder weniger starke Auswirkungen auf andere in diesem Netz hat. Erst un längst hat der Linzer Erziehungswissen- schafter Eder in einer Studie herausgefunden, daß durch gestörte Lehrer-Schüler-Beziehun- gen in einer Klasse das Verhältnis der Schüler untereinander massiv leidet. Damit verbunde- ner sozialer Streß ist dann oft die Ursache für psycho-vegetative Störungen, die beispielsweise in Kopf- oder Bauchweh iluen Ausdruck fin- den. Es geht aber auch komplizierter: Eine Schülerin verweigert in einem bestimmten Fach jede Lei- stung. Sie kommt zu spät in den Unterricht, paßt nicht auf und macht auch keine Haus- übungen. Von der Lehrerin zur Rede gestellt, reagiert sie mit aggressiven Bemerkungen. Die Lehrerin verschärft den Druck, die Auseinan- dersetzung eskaliert .... In einem therapeuti- schen Gespräch mit der Schülerin wird deut- lich, daß sie die Lehrerin „irgendwie" an ihre Mutter erinnert, mit der sie schon seit längerer Schu lprobleme= Beziehungsprobleme Das Bewußtsein um den engen Zusammen- hang von „Ereignissen" in den an der Schul- gemeinschaft beteiligten Gruppen (Eltern, Leh- rer, Schüler) bietet aber auch neue Möglichkei- ten im Umgang mit Schulproblemen und damit neue Ansätze für ihre Lösung. Demnach ist es nicht so wichtig, von welcher Seite an ein Pro- blem herangegangen wird. Ob es die Lehrer sind, die in regelmäßigen Teambesprechungen über ihre Unterrichts- und Erziehungsarbeit re- flektieren, ob die Schüler in eigenen „Klassen- ratssitzungen" ihre Konflikte aufarbeiten, oder ob Eltern in offenen Elternabenden die Mög- lichkeit nützen, miteinander in Kontakt zu kommen - immer wird es positive Auswirkun- gen auf das Erleben von Schule bei jedem ein- zelnen aus den jeweils anderen Gruppen haben. Bei allen genannten „Interventionen" ist die Begleitung durch außerschulische Moderatoren ausgesprochen zweckmäßig. Der vom jeweili- gen Schulgeschehen nicht unmittelbar betroffe- nen Person - und das muß kein Psychothera- peut sein -wird es leichter gelingen, jene At- mosphäre der Offenheit und des Vertrauens zu schaffen, in der sich die Beziehungen der Be- troffenen verbessern können. Denn Schulpro· bleme sind in erster Linie Beziehungsprobleme, und die Verbesserung der Beziehungen ist tat- sächlich der Schlüssel zur Veränderung der Schule. Nicht zu unterschätzen ist auch die Unterrichts- form: Während traditioneller Frontalunterricht die sozialen Konflikte in einer Klasse eher ver- schärft, verbessern kommunikativere, ganzheit- lkh orientiertere Unterrichtsformen (Partner- arbeit, Gruppenarbeit, Offenes Lernen, Projekt- unterricht usw.) das Schulkli- ma und damit auch die Lern- bereitschaft der Kinder und Jugendlieben. Nur eine Schule, in der man sich auch wohlfühlen kann, lei- , stet einen erheblichen Bei- trag zur seelischen und körperlichen Gesund- heit aller Beteiligten. Mag. Georg Neuhauser (Lehrer und Psychotherapeut) ste■r

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