Amtsblatt der Stadt Steyr 1997/5

Gesundbleiben werclen Verantwortung für die Gesundheit übernehmen Mit Kinder- und Jugendlichentherapie zu glücklicheren Lebenswegen Die Unterstützung von Kindern und Jugendli- chen durch die Psychotherapie ermöglicht ih- nen, ihr Leben erfreulicher und zufriedenstel- lender zu gestalten. Doch wie kommt es dazu, daß immer mehr Kinder und jugendliche spezi- elle Begleitung brauchen? Kinderleben ereig- net sich vorwiegend in drei Bereichen: im Kreis der Familie, in der Schule und im Zu- sammensein mit Freunden. Al le drei Gebiete waren in den letzten Jahrzehnten einem großen Wandel unterworfen. Die Großfami lie, bestehend aus drei bis vier Generationen und nicht selten gekennzeichnet durch starre Strukturen, entwickelte sich von einer in vielen Teilen autarken Einheit zum drei bis vier Personen umfassenden Haushalt. Diese nun „kleine Familie" ermöglicht bzw. erfordert die außerhäusliche Berufstätigkeit beider Elternteile zum Erwerb des Lebensunter- haltes. Die Frage, wievielen Kindern in der Fa- milie Platz gegeben werden kann, erfährt da- durch einen geringen Spielraum. Weniger Ge- schwister zu haben, bedeutet für das Kind ei- nerseits unangemessene finanzielle Zuwen- dung, andererseits aber eingeschränkte Lern- möglichkeiten. Hand in Hand verläuft damit ein Wertewandel, verbunden mit neuen Frei- heiten und auch so manchen Bedrohungen. Die Eltern gehen leichter getrennte Wege, und di e Zahl der Scheidungskinder nimmt zu. Die Schule hat sich von einem Ort der fast aus- schließlichen Wissensvermittlung zu einem Platz verändert, an dem daneben auch soziale und emotionale Fähigkeiten entwickelt und eingeübt werden müssen. Fertigkeiten, wie ein erfreuliches Gestalten von Beziehungen, das Einhalten von Regeln, Akzeptieren von Gren- zen, Treffen von Vereinbarungen und Zeigen von Verläßlichkeit, müssen viele Kinder erst mühsam in der Schule lernen . Im Freundeskreis erlebt ein Kind heute oftmals schmerzhafte Abbrüche von Beziehungen, denn durch notwendigen Arbeitsplatzwechsel der Eltern ergibt sich meist auch ein Ortswech- sel. Die erhöhte Mobilität der Familie ist erfor- derlich, um dies zu bewerkstelligen, jedoch macht dies ein Verwurzelt-Sein unmögl ich. Tra- ditionelles, engstirniges Denken und schlechte Vorbilder der Erwachsenen behindern Kinder häufig im interkulturellen Kontakt mit anderen Kindern, z.B. aus fremden Ländern oder aus anderen Schichten. Amtsblatt der Stadt Steyr Aus diesen Gegebenheiten und vielen anderen schwierigen Umständen ist es leicht nachvoll- ziehbar, daß sich bei Kindern und Jugendlichen still und heimlich Fehlentwicklungen einschlei- chen, die ihnen ein gesundes und fröhliches Dasein erschweren bzw. unmöglich machen. Und so kommt es, daß Kinder a) körperliche Symptome entwickeln: z.B. Bett- nässen, Allergien , Appetitlosigkeit oder chroni- sche Schmerzen u.v.m.; b) unter Kontaktschwierigkeiten leiden bzw. Probleme mit der Aggressionsbewältigung ha- ben; c) mit Konzentrationsmangel und den daraus ableitenden Schulschwierigkeiten konfrontiert sind; d) sich einsam und verlassen fühlen , traurig und mutlos oder auch gleichgültig werden und sich mit diversen Drogen zu trösten versuchen. In der Kinder- und Jugendlichen-Psychothera- piestunde nimmt das Kind Kon takt auf mit je- mandem, der bereit ist, es so zu akzeptieren, wie es im Augenblick gerade ist, ohne vorge- faßte Meinungen und Urteile an sie bzw. ihn heranzutragen. Somit kann es eine andere Sei- te von sich zeigen, vielleicht eine sanfte, entge- genkommende Seite, die das Kind seinen El- tern und Lehrern gegenüber nur schwer oder nicht mehr offenbaren kann. Auch ein Kind ist ein vielschichtiges Wesen, das zu vielen verschiedenen Arten des Seins fä- hig ist. Oftmals geht es darum, neben den gu- ten Gefühlen, die sich aus einem gesunden und lebendigen Kontakt und Austausch ergeben, auch die Gefühle, die aus Konflikten entstehen, zu ertragen, wie z.B. Gefühle des Schmerzes und der Traurigkeit, des Ärgers , des Zorns und der Eifersucht. Ein Kind, das sagt: ,,Meine Eltern hören mir einfach nicht zu. Sie wissen nicht mehr, wer ich bin!", ist ein Kind, dessen Gefühle übergangen worden sind. Zu oft haben Eltern keine Ah- nung, was in ihrer Tochter, ihrem Sohn vor- geht. Es gibt unzählige Zugänge, um Kindern dabei zu helfen, ihren Empfindungen, ihren Sorgen und Nöten Ausdruck zu verleihen: mit bildnerischen Mitteln, mit Bewegung, mit Ton, mit kreativem Theater, mit Geschichten und Phantasiereisen u.v.m. Das Ziel ist, das Kind zu befähigen, sich seiner selbst und seines Le- bens in seiner Welt gewahr zu werden. Die therapeutische Arbeit mit dem Kind ist ein sanfter, fließender und schöpferischer Prozeß, um all das nachzureichen und nachzunähren, wovon das Kind zu wenig erhalten hat - warum auch immer! Es ist nicht ganz leicht zu erkennen, wann der richtige Augenblick gekommen ist, ein Kind in Therapie zu bringen. Oft sorgt das Kind, der Jugendliche selbst dafür, daß etwas getan wird, indem es immer heftiger kämpft oder wo es so auf Rückzug geht, sodaß es verstummt. Häufig fällt das Verhalten zuerst in der Schule auf. Al- lerdings wird meist erst dann etwas unternom- men, wenn die Situation für alle Beteiligten schon unerträglich geworden ist. Gewiß gibt es Kinder, bei denen eine längerfristige Behand- lung notwendig ist, jedoch habe ich festgestellt, daß viele Probleme im allgemeinen innerhalb von ca. einem halben Jahr bei einer wöchentli- chen Sitzung gelöst werden können. Erfreuli- cherweise genügt oft auch die Anleitung und Anregung der Eltern, mit den speziellen Schwierigkeiten eines Kindes selbst fertig zu werden: denn alles, was notwendig ist, sind ein paar Sitzungen mit Vätern und Müttern, die zur Kooperation bereit sind. Ich möchte noch zwei „Methoden" anführen, die ziemlich schnell zu positiven Ergebnissen innerhalb des Familienlebens führen: Eine gemeinsam eingenommene Mahlzeit pro Tag in entspannter Atmosphäre im Fami- lienkreis kann Kindern viel an Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Widme deinem Kind jeden Tag (oder jeden zweiten) etwas Zeit, in der du nur für das Kind da bist. Eine viertel bis zu einer halben Stunde sind da wirklich ausreichend. Das Kind darf ganz alleine entscheiden, was es in dieser Zeit machen will. Vielleicht sagen jetzt manche Eltern: Ich gebe meinem Kind sowieso schon so viel Zeit! Aber meistens lassen sich Eltern nicht wirklich voll und ganz auf das ein, was das Kind tun möchte. Wenn Eltern lernen, ihrem Kind klare Bot- schaften zu übermitteln und es als eigenständiges, ein- zigartiges Individuum mit eigenen Rechten und Pflichten anzuer- kennen und zu respek- tieren, dann können sie mit Freude und Stolz an dem erfüll- ten Leben ihrer Kin- der teilhaben . Theresa Mü er- esc 19/147

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