Amtsblatt der Stadt Steyr 1997/2

Theater in Steyr 1945 Der Schauspieler Fred Roßmann erinnert an den Neubeginn in der Russenzone und die Aufführun- gen im Alten Stadttheater. Den ersten kulturellen Impuls nach Kriegs- ende gab im Steyr des Mai 1945 Regisseur Gottfried Treuberg im russisch besetzten Steyr-Ost mit improvisierten Theaterauffüh- rungen, die dann nach dem Rückzug der Russen in Richtung Niederösterreich wenige Monate später im Alten Stadttheater an der Berggasse mitgroßen E,jolg weitergeführt wurden. Von September 45 bisJuli 46 gab es bereits 39 Vorstellungen. Der Schauspieler Fred Refsmann schildert imfolgenden Beitrag seine persönlichen Er- lebnisse als Darsteller und Sänger bei der Wiedergeburt des Theaters in Steyr, unter Bedingungen, die heute kaum vorstellbar sind. Es sind rein sachliche Berichte, dürre Aufzeich- nungen, Kritiken und auch Plakate, die meine ambitionierte Frau geordnet hat und ich habe den ehrenvollen (aber nicht ganz einfachen) Auftrag, über dieses umfangreiche Material ei- nen möglichst originellen Bericht zu verfassen. Aber gerate ich da nicht in die peinliche Versu- chung, "mei eigen Woar" zu loben? Wiederum heißt es, "man solle sein eigen Licht nicht un- ter den Scheffel stellen." Sei' s drum! Ich wage es, über die außergewöhnlichsten Jahre unseres Daseins, über die Tätigkeit auf der traditions- reichen Steyrer Bühne, deren Bretter für uns beide nicht nur "Welt" sondern auch schicksalsbedeutend waren, zu berichten. Mai 1945: (Man sagt mir zwar eine gewisse Eloquenz nach), aber in diesem Fall war ich fast sprachlos; nämlich, als mich der junge Gottfried Treuberg fragte, ob ich "von der BÜHNE" käme. Ich hatte auf der Zunge: "Ja, ich war zuletzt bei dem großen makabren Theater namens "Desaster" dabei, das bei Sta- lingrad pleite machte ... Ich, der Dahergelaufene, Heimatvertriebene im Schlosseranzug mit Chaotenhaarschnitt und Brillenbügeln aus Schuhbändern! Wurscht! aber der fehlende Vorderzahn, der mich auch noch zum Zutzler machte, das reichte mir ... ein Fall für den Psychiater! Vergessen meine An- fänger- (Film) Zeit in Paris, die Theater- tätigkeiten in Berlin, Weimar und Meiningen ... Als der freundliche Herr Prinzipal mich fragte, war ich mundtot, schaute irritiert drein und sagte weder Ja noch Nein, drauf meinte er:"Aber mit Kulissen können Sie doch umge- hen?" Und so kam ich hinter, statt auf die Büh- 22/50 ne. Die Kumpels - drei an der Zahl -waren wohl auch "Dahergelaufene", (aber Wiener) und riefen mir immer zu: "Ka Müdigkeit, gengan mir' s a! Vurwärts!" "Das alles müßtest Du aufschreiben", rieten mir Langzeitfreunde (auch unsere Steyrer in USA). Besonders über- zeugend die frühere Kollegin Ilse: "Bedenke", meinte sie, "die sekundären Dinge sind oft in- teressanter und amüsanter als die primären. Denk an die Russen- und Amizeiten, als unsere Stadt noch zweigeteilt war und es dem Ehepaar Loreck-Treuberg mit Hilfe ihres Wiener Agen- ten und der Besatzungsmacht gelungen war, ein kleines Ensemble zu bilden, das wenige Monate später zu einem großen optimalen im heutigen Alten Theater wurde. Aber es hatte schon das neue im ehemaligen Kino eine ge- wisse Kulissenatmosphäre, es roch nach Schminke ... " und meine Minderwertigkeitsge- fühle verschwanden allmählich. Ja ich "riskiere eine kesse Lippe", wie einer der Herren Künst- ler aus dem Reich" sich auszudrücken pflegte. Ich wagte sogar mit den Mimen fachzusimpeln. Die "Erste Heldin und Salondame" (so der hochtrabende Fachtitel) fand es irgendwie em- pörend und ging zum Direktor und beschwerte sich: "hat dieser Vorhangzieher sogar die Stirn, mir zu raten, ich solle andere Rollen verlangen, bei der letzten, im "Fidelen Bauer" sei ich fehl- besetzt!" Mehr hätte ich nicht brauchen. Ich mußte mich entschuldigen. Die junge attraktive Salondame nickte etwas verwirrt und meinte "Na gut." Das war der erste Dialog mit meiner Zukünftigen ... Viel später berichtete sie mir dann von ihrem abenteuerlichen Weg vom "Bisam-Berg zum Treu-Berg", über das von Bombentrichtern übersäte Innundationsgebiet, (die Restteile der ehemaligen 1 km langen Floridsdorfer Brücke lagen im Wasser) durch die arg zugerichtete Wienerstadt zum zertrümmerten Westbahnhof (die passende Dekoration zum Jahre Null! (Ei- nige Wochen vorher starb ihre Mutter, Emmy war nun Vollwaise.) Al les das erfuhr ich, wie gesagt, erst später.) Noch war ich der goscherte Kulissenschieber, der in der Flüchtlingsbaracke auf der Ennsleite sein Süppchen kochte, über das Elend der Welt nachdachte und nur einen Wunsch hatte, daß seine aus der Heimat Pom- mern vertriebenen Eltern noch lebten! (Gotts- eindank, sie lebten, genauer, sie vegetierten in einem Massenlager in Dänemark; 1952 konnte ich sie endlich in meine Arme schließen.) Auch Thalia sei Dank! Kapellmeister Dr. Ender, stets fröhlicher rheinischer Landsmann, klopfte mir nach 8Tagen Vorhangzieherei auf die Schulter und meinte: "Singen Sie uns doch mal wat vor, junger Mann!" Diese spontane Aufforderung gab mir wieder das bis dato ab- handen gekommene Selbstwertgefühl. Ich sang Lieder von Schubert und Lehar. Ender meinte lachend: "Na habe ich nicht gleich jesagt, dat der uns wat vorspielt?" Nun, der junge Mann bekam einen Solovertrag mit der Höchstgage von 300 Mark als Schauspieler und Sänger. Jetzt nach 50 Jahren, kramen wir in alten Theaterakten und sind aufs neue erstaunt und irgendwie stolz darauf, was unser kleines En- semble damals, mit hungrigem Magen und psy- chisch am Boden, zu leisten imstande war. Nicht zuletzt durch das aktive und einfallsrei- che Direktorenehepaar. Zehn Premieren waren in der Zeit vom 22. Juni bis 25. August 1945 zu bewältigen, die Proben begannen schon einige Wochen vorher, also bald nach Kriegsschluß. Es entstanden unge- heure Probleme, zumal alle unverzichtbaren At- tribute eines Theaterbetriebes, Kostüme und Requisiten, sich ja "drüben" befanden und auf uns warteten. Wir hier, hinter der gesperrten Ennsbrücke, hatten nur einige Trachtenanzüge von irgendwo. Aber die holden Musen rieten den begeisterten Komödianten: "Spielt den "Fi- delen Bauer" mit dem für Euch so passenden Hauptschlager "Jeder tragt sei Binkerl"." Wir alle trugen "unser Einkerl" erfolgreich. Ein kleines Wunder war geschehen. Halb Steyr hatte in der dama ligen, für heutige Begriffe un- vorstellbaren tristen Zeit wieder einen, wenn auch behelfsmäßigen Musentempel! Eröff- nungsvorstellung unter dem Titel "Erster Kulturabend". Eine (ich glaube Linzer) Zeitung war des Lobes voll - nur ich kam nicht gut da- bei weg, denn es hieß: "Fred Roßmann hat ja eine sympatische Stimme, wenn er doch nicht gar so daherwatscheln würde." Dem Kritikus sei verziehen! Er konnte ja nicht wissen, daß dieser komische Tenor ein ausgeliehenes, viel zu großes Sakko trug, dessen Rückenteil 10 Si- cherheitsnadeln zusammenhalten sollten. Da- durch war ich sozusagen in einer Zwangsjacke und mußte kopfnickend rückwärts abgehen . So sang ich meine Arie "Selig sind die Verfolgung leiden" im Sinne des Wortes leidend, jede Be- wegung ein Nadelstich! (Die peinliche Kritik war der ärgste.) Aber endlich kam die lang er- sehnte Paraderolle: "Baron Schober" im (um- strittenen) "Dreimäderlhaus", der enttäuschte Herzensbrecher mit narzistischem Getue. Sowas kommt immer an! Dann: Ein "Abend der Pantomime". Die Schauspieler waren froh , einmal keinen Text lernen zu müssen. Das klei- ne ambitionierte Ballett hatte sich hinreissend ste■r

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