Amtsblatt der Stadt Steyr 1995/6
bomben in das Nebelmeer. Sie richteten keinen Schaden an, schwelten etwas an und blieben dann unverbrannt in den feuchten Äckern liegen. Jeder Frontsoldat hoffte, wieder heil nach Hause zu kommen, nicht als Krüppel! Was sich an manchem Stammtisch heute oft sehr verklärt und heroisch anhört, war in der Realität des Kampfes immer von Furcht und Schrecken überlagert. Man sehnte das Kriegsende herbei und hörte gerne die alliiertem Propagandasender 'Calais' und 'West', die zwischen flotten Swingrhythmen die letzten Nachrichten von der Front und hämische Berichte über NS-Größen brachten. Dieses ' Schwarzhören' - nicht zu verwechseln mit dem heutigen Medienbezug ohne Gebüh- ren - war natürlich auch lebensgefährlich. Die angekündigten Wunderwaffen des NS- Regimes blieben dann auch aus. Erst heute wissen wir, wie nahe die deutschen Forscher schon an der Atombombe waren. Die Kriegsgefangeschaft - auch die amerikani- sche - war bei Kriegsende sicher keine wahre Freude, doch daß der schreckliche Krieg endlich zu Ende war und nun Hoffnung auf eine glückliche Heimkehr bestand, machte das Leben viel erträglicher. Umso schrecklicher war es, daß ein deutscher Kriegsgefangener, der sich nun in der Gefangenschaft den Frust der letzten Jahre von der Seele redete, das Regime kritisierte und am Endsieg zweifelte, von unbeirrten Anhängern der NS-Ideologie in der Nacht aus einem Fenster des zweiten Stockes geworfen wurde! Die Regisseure des Schreckens, Hitler, Himmler, Göbbels ... hatten sich durch Selbstmord aus der Verantwortung gestohlen. Gegen den Rest wurde in Nürnberg verhandelt. Wochenlang wurde der Prozeß direkt im Radio übertragen. Ganz sicher war es ein Tribunal der Sieger, und auch unter den Alliierten hätte es so manchen gegeben, den man in Nürnberg hätte anklagen können. Aber man soll nicht übersehen, daß es ke inen Unschuldigen getroffen hat und daß man damals an die abschreckende Wirkung des Verfahrens auf potentielle zukünftige Diktatoren glaubte. Der Aufschwung der Nach- kriegszeit Die fünfzig Jahre seit Ende des Zweiten Weltkrieges sind eine einzige Erfolgs-Story. Die Politiker der Nachkrieggeneration verdienen unsere größte Hochachtung. Vor allem, weil sie das Ungemach der Kommunikation mit den Russen auf sich genommen haben und nicht, wie das Adenauer in Deutschland machte, die russische Besatzungszone einfach aufgaben und die Regierung nach Salzburg verlegten, wie es auch einmal im Gespräch war. Amtsblatt der Stadt Steyr Angesichts des Trümmerhaufens war der Aufbauwillen unvorstellbar. Es gab kein dauerndes Infragestellen. Man war stolz auf jede Leistung, man freute sich, studieren zu dürfen - auch in überfüll ten und ungeheizten Hörsälen. Man nahm Opfer, Hunger und Entbehrungen auf sich. Mit dem Raab-Kamitz- Kurs begann 1953 der steigende Wohlstand und das Wirtschaftswunder, mit dem Staatsver- trag hatten wir das Gefühl - mit Tränen der Rührung in den Augen -, die Zeiten der Demütigung und der Kriegsleiden überwunden zu haben. Der Wohlfahrtstaat sicherte das soziale Netz, die Lebenserwartung stieg immer weiter an; Österreich, oft als 'Insel der Seligen' bezeichnet, zählt nun zu den zehn reichsten Ländern der Erde. Mitteleuropa erfreut sich einer unvortstel lbaren Friedensperiode von 50 Jahren. Ausblick Wir könnten stolz den Blick zurückwerfen. Trotzdem lastet ein gewisses llnhehagen üher der Alpenrepublik, man ortet eine gespannte Hysterie und Sensibilität, der Wind bläst mehr von vorne, es knistert im Gebälk! Es ist doch auch etwas schief gelaufen: 1) Vor etwa dreißig Jahren glaubte man, durch die vorwiegende Produktion von Einweg- artikeln auf immer die Vollbeschäftigung garantieren zu können. Man nannte das 'Schöpferische Verschwendung', es war aber die Grundlegung der Wegwerfgesellschaft, der Umweltbelastung und des Müllberges. Es war aber gut gemeint und man glaubte, das Richtige zu tun. 2) Der Wohlfahrtsstaat ist erschöpft, der Sozialstaat muß auch erwirtschaftet werden und das geschieht nur durch Produktivität und Wertschöpfung. 3) Die Arbeitslosigkeit steigt in unheilvollem Ausmaß! Sicherlich fängt das soziale Netz den Absturz in den physischen Untergang ab. Aber die psychische Zerstörung, die der Arbeitswilli- ge oder durch entbehrungsreiche Ausbildung Motivierte erfährt, wenn er nicht arbeiten kann oder darf, ist schrecklich und belastet die volkswirtschaftliche Substanz ganz enorm. 4) Der Abbau aller Autoritäten (Familie, Schule, Sozialpartner, Kirche, Politiker) führt schließlich zur Destabilisierung. Neid, Aufdeckungsphilosophie um jeden Preis, destruktive Kritik allein erweisen sich auf die Dauer nicht als staatstragende Elemente. Positive Kritik muß gelernt sein! 5) Steigende Verunsicherung trotz allen Wohlstandes. Den Menschen geht es immer besser, sie suchen aber Hilfe bei falschen Propheten, Sekten, gefährlichen Ideoloien und Drogen. 6) Entartete Mentalitäten führen zur Abnahme der Toleranz, Verlust der Humanität, Ver- Gedruckt auf umweltfreund lichem, chlorfrei gebleichtem Papier schwinden des Altruismus und zunehmender Bereitschaft zur Gewalt. Wozu müssen wir uns also unabdingbar bekennen, welches sind unsere bleibenden Werte? l) Betrachten wir die persönliche Freiheit als unser höchstes Gut! Sie wird nur gewährleistet durch die Demokratie. Churchill meinte einmal, die Demokratie habe sehr viel Fehler, er kenne aber keine bessere Form menschli- chen Zusammenlebens. Die schlechteste Demokratie ist immer einer sogenannten guten Diktatur vorzuziehen! 2) In einem friedlichen Staatswesen hat es ein harmonisches Verhältis zwischen Pflichten und Rechten zu geben. Rechte dürfen nie zu Pfründen degenerieren. Das haben die Griechen in der Solonischen Verfassung (6. Jhd. v. Chr.) bereits erkannt. 3) Auch Minderheiten aller Art können sehr viel zum guten Klima in einer Gesellschaft beitragen. Sie müssen bereit sein, demokrati- sche Mehrheiten anzuerkennen, sich vernünfti- gen Gepflogenheiten unterzuordnen und auf Provokationen aller Art verzichten. Splitter- gruppen können nicht die Mehrheit für veblendet erklären und versuchen, sie mit Gewalt auf den Pfad des allein seligmachenden Heiles zu bringen. Reibebäume soll man nicht erst errichten! 4) Die edelste Gesellschaftsform ist der Pluralismus. Er beruht auf der menschlichen Größe, auch gut Freund sein zu können mit diesen, die eine andere politische, religiöse oder weltanschauliche Auffassung vertreten. Pluralismus bedeutet Respekt für Andersden- kende, die ja auch einmal recht haben können. Es steht zu hoffen, daß die meisten unserer politischen Entscheidungsträger im inneren ihres Herzens pluralistisch denken. Aber auch der Pluralist kommt an die Grenzen des Möglichen, wenn sein Gegenüber von der Krebsseuche des 20. Jahrhunderts, dem Fundamentalismus, befallen ist. Der Fundamentalist ist ein Stereotyp mit sehr weit eingeschränktem Gesichtskreis, keinen Argumenten zugänglich und oft von irrationa- lem und unbegründetem Haß beseelt. Es gibt viel Schönes, Bemerkenswertes und Interessantes auf dieser Welt, aber im Vergleich mit unserem Heimatland Österreich schneiden fast alle Länder schlechter ab. Dieses Land verdient es, daß man jeden Tag fünf Minuten dankbar sein muß, hier in solcher Lebensquali- tät leben zu dürfen. Wir Menschen neigen dazu, das erst beimVerlust einer Selbstver- ständlichkeit zu erkennen. Aber wir alle miteinander - egal in welchem Lager wir stehen - müssen dazu beitragen, daß es auch in Zukunft so bleibt." 13/161
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