Amtsblatt der Stadt Steyr 1995/6

1945 - 1995: Ein halbes Jahrhundert Entwicklung Frieden ■ 1n Anläßlich "50 Jahre Zweite Republik Öster- reich" hielt der Gemeinderat der Stadt Steyr am 8. Mai eine Festsitzung ab. Hofrat Prof. Dr. Helmuth Burger sprach im Rahmen dieser Festsitzung zum Thema "1945 - 1995: Ein halbes Jahrhundert Entwicklung in Frieden". Im folgenden Beitrag schildert Dr. Burger seine persönlichen Eindrücke von dieser Zeit. "Am 8. Mai 1945 endete das 'Dritte Reich'. Nach NS-Chronologie galt der Ottone Heinrich 1., aus sächsischem Hause, als Begründer des 1. Reiches, Otto von Bismarck als der Begründer des 2. Reiches und Adolf Hitler als der Begründer des Dritten! Am 8. Mai 1945 endete aber auch das 'Tausendjähri- ge Reich'. Es hatte in Deutschland zwölf Jahre, in Österreich sieben Jahre lang gedauert. Hitler wird der Ausspruch zugeschrieben: ·Gebt mir 10 Jahre Zeit, und Ihr werdet Deutschland nicht wiedererkennen!'. Das hat sich schaurig bewahrheitet. Als beim Herannahen der Roten Armee Hitler von der Wolfsschanze in Ostpreußen in den Bunker der Reichskanzlei übersiedeln mußte, soll er bei der Bahnfahrt durch das Trümmerfeld Ostdeutschlands zu tiefst erschüttert gewesen sein. Es ist müßig, heute die Frage zu stellen, ob wir 1945 befreit oder besiegt wurden. Es gibt aber nur zwei Möglichkeiten, ein diktatorisches Regime loszuwerden: 1945 geschah das 5 Minuten vor 12 Uhr durch die militärische Niederlage. Bei einem heutigen Konflikt zwischen zwei Atommächten gäbe es vor einer Kapitulation nur noch den Weltuntergang. Man kann aber schon der Meinung sein, wir hätten den Krieg gewonnen, weil wir ihn verloren haben. Wir haben die demokratische Gesellschaftsordnung wiedergewonnen und heute - 50 Jahre später - geht es uns in Deutschland und Österreich wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch besser als den Sieger- mächten Großbritannien und Rußland. Es gibt aber auch das Phänomen der inneren Auflösung von Diktaturen, aber man muß lange Geduld haben. Das Ende der Sowjetuni- on ist dafür ein gutes Beispiel. Der totalitäre Staat Das NS-Regime, verschärft durch den Krieg und später durch den' totalen' Krieg des Josef Göbbels, kann nur von dem verstanden 12/160 werden, der es erlebt hat. Kino, Fernsehen, Rundfunk und Nachlesen vermitteln nur eine vage Vorstellung. Für den, der der persönlichen Freiheit den größten Stellenwert zumißt, war das Leben im totalitären Staat wohl die schrecklichste Zeit des Lebens. Dem Bürger - damals Volksgenossen - wurde verwehrt, neutral zu bleiben. Da prangte an allen Türen von Behörden und Wirtshäusern die unmißver- ständliche Aufschrift: ·Wer nicht für uns ist, ist gegen uns, erkennt Deutschlands Feinde, denn sie grüßen nicht mit Heil Hitler!'. Nach dem Krieg stellte sich dann öfters heraus, daß gerade Mitbürger, die am lautesten Heil Hitler brüllten, das nur taten, um nicht in Ungnade zu fallen. Wer übersah, eine vorbeigeführte Fahne zu grüßen - mit stramm erhobener Hand versteht sich -, lief Gefahr, verprügelt zu werden. Heute kann ein Kabarettist ungestraft ankündigen, er werde die Fahne fäkalisch behandeln. Man befürchtete dauernd, etwas dem Regime nicht Angenehmes zu tun. Es war vorgeschrie- ben, welche Musik man zu hören hatte, was man lesen durfte, was in der Kunst akzeptabel war und eine kritische Äußerung war bereits lebensbedrohend. Man vertraute sich nur ganz wenigen Personen offen an. Nicht selten klagten Kinder, wenn ihnen die Eltern etwas abgeschlagen oder sie gerügt hatten, diese bei der Partei an. In der Zeit vor 1938 ging es vielen Mitbürgern vor allem wirtschaftlich unvorstellbar schlecht. Sie glaubten den Versprechungen der National- sozialisten, erhofften sich ein besseres Leben und waren schon nach einigen Monaten bitter enttäuscht. Aus Gründen des Selbsterhaltungs- triebes schwiegen sie dann bis 1945. Man lebte in steter Furcht und immer unter Drohung. Noch 1945 stolzierte ein höherer NS-Funktio- när durch die Luftschutzkeller und kündigte den verschüchterten Bombenflüchtlingen an, daß man erst nach dem Endsieg die große politische Säuberung durchführen würde. Jeder kannte die Drohung, die wie ein Damokesschwert über uns hing: ·Mach das nicht, sonst kommst' ins KZ!'. Es ist blauäugig und der typische Fall eines Gedächtnislückensyndroms, wenn jemand nach dem Krieg behauptete, gar nichts gewußt zu haben. Jeder sah irgendwann einmal die ausgemergelten, halb verhungerten, halb erfrorenen Jammergestalten in der gestreiften Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem Papier Hofrat Prof. Dr. Helmuth Burger: "Es gibt viel Schönes, Bemerkenswertes und Interessantes auf dieser Welt, aber im Vergleich mit unserem Heimatland Österreich schneiden fast alle Länder schlechter ab". Kluft und ihre SS-Bewacher, die in rüdem Ton die Passanten zum schnelleren Weitergehen aufforderten. Im Raum von Mauthausen konnte man den widerlichen Geruch verbrann- ten Menschenfleisches riechen, und als die Krematorien in Mauthausen nicht mehr nachkamen, wurden die Leichen nach Steyr ins Krematorium gebracht. Das sickerte auch irgendwie durch. Die letzte Kriegsphase Die Moskauer Deklaration vom 31. Oktober 1943, in der die Außenminister Holl, Eden und Molotow den Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich für null und nichtig erklärt hatten, war damals den meisten Österreichern unbekannt. Es hielt sich aber das Gerücht, man werde Österreich als das erste von Hitler überfallene Land großzügiger behandeln und vor allem nicht bombardieren. Das erwies sich als ein arger Trugschluß. Es begann in Wiener Neustadt, doch auch Steyr wurde viermal bombardiert. Da gab es zwei große Wunder: Beim zweiten Angriff (Februar 1944), als die Bomber die Steyrer Brücken zerstören wollten, diese aber nicht trafen, kam es zu großen Schäden in der Innenstadt. Damals fiel ein Blindgänger in den linken Turm der Michael- erkirche, die Menschen im Keller darunter blieben am Leben. Beim größten Angriff (April 1944) zog der Wind die künstlichen Vernebelungsschwaden in die Kleinraming. Die Bomber warfen den größten Teil der Thermit- ste■r

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