Amtsblatt der Stadt Steyr 1995/5

Liebe Steyrerinnen und Steyrer, vor 50Jahren, am 8. Mai 1945, ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Öster- reich beklagte 270.000 Tote, 250.000 Wohnungen wurden zerstört. Die Menschen litten Hunger,für den Normalverbraucher konnten nur 300 Tageskalorien aufgebracht werden. Sie lesen in dieser Ausgabe des Amtsblattes eine Schilderung der letzten Kriegstage in Steyr. Sie sehen die Bilder zerbombter Häuser. Wir blicken in Gedenkfeiern zurück und erinnern uns der unfefsbaren Verbrechen des Nationalsozialismus. "Niemals ver- gessen, niemals mehr den Boden der Demokratie, der Freiheit und des Rechts verlassen, niemals mehr denen Glauben schenken, die die repräsentative Demo- kratie diffamieren und durch eine Führergesellschaft ersetzen wollen", sagte Bundeskanzler Dr. Vranitzky bei der Gedenkfeier zum 50.Jahrestag der Befreiung Mauthausens. Diese Worte sind täglich zu beherzigen, wenn wir nicht unsere Freiheit wieder verlieren und neuem Greuel entgegen gehen wollen. Wir haben am 5. Mai beim Steyrer KZ-Denkmal an der Haager Straße mit ehemaligen Häftlingen der Verbrechen in den Konzentrationslagern gedacht. Damit solches nicht wieder passiert, müssen wir ständig ein geistiges Klima bewahren, in dem Nationalso- zialismus und Faschismus als das empfunden wird, was er war und ist: eine menschenverachtende und menschenvernichtende Ideologie, auf deren Boden nur Haß, Gewalt und Krieggedeiht. Hitlers Wahnsinn kostete nach Schät- zungen der Militärexperten etwa 55 Millionen Soldaten und Zivilisten das Leben. Millionen Soldaten aller Natio- Dieseite ..des . t urgerme1s ers nenfielen im Befreiungskampf Am 4. Mai konnten wir Soldaten der ehemali- gen 71. US-Infanteriedivision in Steyr zu einer Gedenkfeier bef!Jüßen. Diese Truppe rückte am 5. Mai 1945 in Steyr ein und trug maßgeblich zur Befreiung unserer Stadt bei. In den letzten 50Jahren ist Österreich ein großartiger Wiederaufbau gelungen. Wir können uns über 50Jahre Frieden freuen. In ganz Österreich finden derzeit anläßlich des 50jährigen Bestehens der Zweiten Republik Fest- und Gedenk- veranstaltungen statt. Für uns Österrei- cher ist dieses Bestandsjubiläum ohne Zweifel ein Grund zur Freude, ein Anlaß, stolz daraufzu sein, was wir gemeinsam in diesen 50Jahren geschaf Jen haben. Denn es ist schon mehr als erstaunlich, was aus unserer Republik Österreich, einem Staat, an dessen Lebenifähigkeit 1945 und auch noch einigeJahre danach nicht wenige gezweifelt haben, geworden ist. Bundes- präsident Dr. Klestil hat kürzlich von einer E,folgsstory gesprochen, die ihresgleichen sucht. Eine Beschreibung, der man sich - wie ich meine - nur vollinhaltlich anschließen kann. Heute, nach 50]ahren Frieden in unserem Land, nach einer beispielhaften Aufbauleistung und einer dynamischen Wirtschaftsentwicklung, die uns ein nie für möglich gehaltenes Wohlstands- niveau beschert hat, kann nur mehr die ältere Generation direkt nachvollziehen, wie katastrophal sich die Ausgangssi- tuation für dieses neue Österreich 1945 darstellte, welchen Mut und welchen Optimismus es damals beduifte, an eine erfolgreicheZukunft dieser Zweiten Republik zu glauben. Besonders ein- dringlich undgleichzeitig berührend hat diese Situation meiner Meinung nach der 1. Bundeskanzler der Zweiten Republik, Leopold Figl, in seiner Weihnachtsrede 1945 zum Ausdruck gebracht, in der er zu den Österreicherin- nen und Österreichern unter anderem sagte: "Ich kann Euch zu Weihnachten nichts geben. Ich kann Euch für den Christbaum, wenn Ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohlen zum Heizen ... Wir haben nichts. Ich kann Euch nur bitten: Glaubt an dieses Österreich!". Und die Österreicherinnen und Österreicher haben an diesen Staat geglaubt, haben gemeinsam den Wiederaufbau in Angriffgenommen und unter schwierig- sten und härtesten Bedingungen den Grundstein gelegtfür diese Eifolgs- geschichte der Zweiten Republik. Eine Eifolgsgeschichte, die nicht zuletzt auch in Steyr, von den Steyrerinnen und Steyrern, mitgeschrieben wurde. Ich wünsche Ihnen und mir ein Leben in Frieden und Freiheit. Herzlichst Ihr

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