Amtsblatt der Stadt Steyr 1995/5
ie Steyr-Daimler-Puch-Werke in Steyr waren sowohl als Flugzeugindustrie, als Standort eines Kugellagerwerkes und als Zentrum der Fahrzeugproduktion ein gesuchtes Ziel. Die genaue Kenntnis des betreffenden Standortes ermöglichte es der amerikanischen Luftwaffe, trotz weitgehender Tarnung fast ausnahmslos präzise Angriffe zu fliegen. Erst in den Februartagen 1944 wurde auch "Oberdonau", wie Oberösterreich damals hieß, Kriegsgebiet. Steyr war erst spät Ziel von strategischen Bombenangriffen geworden. Schon zwei Jahre früher hatte die britische Luftoffensive gegen deutsche Städte begonnen. In der "Großen Woche'' vom 20. bis zum 25. Februar 1944 wurde unser Gebiet schwer bedroht. Am 23. Februar wurde Steyr mit seinen kriegswichtigen Industrieanlagen Ziel des ersten Bombenangriffes. Der Angriff auf Steyr war Teil eines Planes, der für die US- Flotten ausgearbeitet worden war. Fast gleichzeitig wurden auch andere Zentren der "Roller Bearing Industry" (Kugellager- industrie) in den Städten Schweinfurt, Gotha, Cannstatt bei Stuttgart und Erkner bei Berlin angegriffen. Die Amerikaner, im besonderen die 8. und 15. US-Flotte, verfolgten die Boxertechnik des "double blow", also des zweifachen Schlages, zwei Angriffe auf das gleiche Ziel in einem kurzen zeitlichen Abstand. In der Zwischenzeit war es unmöglich, die kriegswichtige Industrie zu verlegen. Oft wurde Oberösterreich jedoch nicht direkt angegriffen, sondern zuerst Industrieziele in den sudetendeutschen Gebieten bombardiert und erst im Rückflug unser Land mit Bomben belegt. Der Überflug erfolgte meist am späten Vormittag. Der eigentliche Angriff erst ein bis zwei Stunden später. So kam es in Durchführung der Methode des "double blow" zu den Angriffen auf Steyr am 23. und 24. Februar 1944. Beim Angriff am 23. Februar wurden 288 Sprengbomben (a 250 kg) auf Steyr abgewor- fen; 15 Menschen fanden den Tod, 55 wurden verletzt. Acht Brände brachen aus. Das spätgotische Haus Stadtplatz Nr. 14 wurde ze rstört, das benachbarte Nr. 12 schwer beschädigt. Die Steyr-Werke wurden nur mäßig in Mitleidenschaft gezogen, da die meisten Bomben vor der Einfahrt niedergingen. Am 24. Februar kam es dann zu einem weiteren Angriff auf Steyr. Der Angriff Je1 15. US-Flotte richtete sich gegen die gleichen Ziele wie am Vortag. Diese Einheit flog mit 114 viermotorigen "Fliegenden Festungen" und 46 begleitenden Jägern der Flugzeugtypen P 38 (Lightning) und P 47 über Ancona, die Adria, Istrien und Kärnten Steyr an. Der Begleit- schutz flog rechts tiefgestaffelt über die Alpen, um gegen die im Raum Wien und Niederöster- reich liegenden, damals noch starken deut- schen Jagdverbände abzuschirmen. Der US- Verband wurde um 11.50 Uhr, etwa achtzig Kilometer südlich von Steyr, von 24 Me 109 (Messerschmitt) des III. Jagdgeschwaders 16/ 132 "Udet" angegriffen. Der angreifende amerika- nische Bombenverband wurde durch diesen Angriff teilweise vom Ziel abgedrängt, sodaß über Steyr nur noch 87 Bomber zum Einsatz kamen. So fiel auch ein großer Teil der Bomben ungezielt. Nach dem Abwurf drehte der Verband in einer Linksschleife ab und flog über die Alpen nach Süden zurück, wobei es noch zu heftigen Kämpfen zwischen den deutschen Jägern und dem amerikanischen Begleitschutz kam. Die 15. US-Flotte verlor bei diesem Angriff 17 "Fliegende Festungen", darunter alle zehn Maschinen der letzten Formation. Die deutschen Verluste lauteten auf drei Me 109, weitere zwei machten Bruchlan- dungen. Der Erfolg der deutschen Jagdflieger läßt sich aus dem Befehl erklären, sich auf keine Kämpfe mit dem alliierten Begleitschutz einzulassen, sondern die todbringenden Bomber direkt anzugreifen. Die amerikanischen Begleitjäger waren in sechsfacher Übermacht, aber ein Teil davon konnte nicht eingreifen, weil er zu weit im Die Bombenangriffe auf Steyr Osten flog. In den zwei Angriffswellen wurden insgesamt 996 Bomben abgeworfen. Die Schäden waren bedeutend umfangreicher als am Vortag. 212 Menschen wurden getötet, 371 verletzt, über 1000 obdachlos, da 65 Häuser total zerstört und 445 beschädigt worden waren. Vor allem hatten die Haratzmüller- straße, die Bahnhofstraße und die Johannes- gasse schwer gelitten. Die Brücken über Enns und Steyr blieben unbeschädigt, obwohl auf der Enns auf einer Länge von nur einem Kilometer 253 Bombeneinschläge gezählt wurden. Im Werk wurden der 27.000 Q!iadratmeter umfassende M-Bau zerstört, der C-Bau und das Sägewerk beschädigt. Einer der beiden Schlote war glatt durchgeschlagen worden. Die Amerikaner hatten es auf die Zerstörung der wichtigsten Anlagen abgesehen, scheinen aber nach alten Plänen vorgegangen zu sein. Es hatte keinen Sinn gehabt, das alte Objekt XIII, in dem einmal die Kugellagererzeugung untergebracht war, und den H-Bau, der später dem gleichen Zweck dienen sollte, so mit Bomben zu malträtieren , während der wichtige Flugmotorenbau nur zwei Zufallstreffer erhielt und die wertvolle Zentralhärterei gänzlich unbeschädigt blieb. Von dem Bestand des neuen Wälzlagerwerkes in Steyr-Münichholz scheinen die Angreifer keine genane Kenntnis gehabt zu haben. Dieses wies bei dem Angriff nur einen Zufallstreffer auf. Doch dieser scheinbare Irrtum sollte beim Angriff am 2. April 1944 nicht mehr passieren. In der Nacht vom 24. auf 25. Februar flogen die auf Nachtangriffe spezialisierten Wellingtons des 205. RAF-Geschwaders einen Angriff auf Steyr, der in den Anlagen der Steyr-Daimler-Puch- Werke nur wenig Schaden verursacht hat, doch beim Kugellagerwer,k zwanzig Prozent der Anlagen zerstörte. Beim Höhepunkt der "Großen Woche" am 25. Februar blieb Steyr unbehelligt. Das Ziel war an diesem Tag Regensburg. In der gesamten "Großen Woche" wurden von der 8. und 15. US-Luftflotte 4000 Tonnen Bomben abgeworfen. Die Verluste betrugen 1200 Mann. Die mechanisch anfällige P 38 (Lightning) wurde durch die verbesserte P 47 und P 51 mit einer bedeutend größeren Reichweite ersetzt. Am 1. März wurden die Bombenopfer in einer gemeinsamen Feier zu Grabe getragen. Der größte Angriff auf Steyr erfolgte am Palmsonntag des Jahres 1944, am 2. April. Um die Mittagszeit griffen 250 Bomber, durchwegs "Fliegende Festungen", geschützt von Begleitjägern, aus dem Süden kommend , in fünf Wellen an. In Steyr wurden sie von einer starken Flakabwehr empfangen. Als zusätzliche Schutzmaßnahme vernebelten die Steyrer ihre Stadt. Aufkommender Wind trieb die schützen- den Nebelwolken nach dem Osten in das Gebiet Kleinraming, Behamberg und Kürnberg ab. Der Kommandant der "Scout-Maschine" der angreifenden Geschwader ließ sich dadurch irritieren und setzte seine Markierungswürfe in das östliche Randgebiet von Steyr. Der Bombenregen erfaßte aber das bisher noch nicht allzu beschädigte Wälzlagerwerk. Dort wurden - nach alliierten Angaben - 50 Prozent der Lagerbestände, das waren viereinhalb Monatsproduktionen, vernichtet. Durch Rationalisierung konnten später diese Verluste ausgeglichen werden. In Steyr selbst wurden 512 mittlere und neun leichte Sprengbomben und ca. 3600 Brandbomben gezählt. Die Amerikaner verloren in diesem Angriff 54 Maschinen und 450 Mann. In Steyr wurden 418 Häuser zerstört oder zumindest schwer beschädigt, 42 Menschenleben waren zu beklagen, 41 wurden schwer und 36 leicht verletzt. 1620 Personen wurden obdachlos. Wäre durch diesen Wind das "Wunder von Steyr" nicht geschehen, so hätten die Angreifer mit ihren Bomben die alte Eisenstadt ausradiert. Der vierte und letzte Angriff auf Steyr erfolgte am 17. Februar 1945. Hauptziel des Angriffes waren damals Anlagen des Benzolwerkes und Nachschubbasen in Linz und Wels. Eine kleinere Formation von sieben Flugzeugen warf in Steyr 45 Sprengbomben ab. Die meisten gingen in Münichholz im Bereich der Haager Straße nieder. Dort wurden vier Häuser total zerstört und 51 beschädigt. Zwanzig Personen verloren ihr Heim, Tote waren keine zu beklagen. Lediglich sechs Personen wurden verletzt. ste■r
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