Amtsblatt der Stadt Steyr 1988/4

In der Gedenksit- ::uni des Gemeinde- rates. die vom Rail-Quartett mu- sikalisch umrahmt irnrde, gedachte Bürgermeister Schwarz der Ereig- nisse, die zur A uslösc_~uni der Republik Osterreich führten. Das Fa::it · seiner Rede: .,Die schreckliche Un- menschlichkeit der NS-Diktatur darf sich nicht mehr wiederholen." Foto: Hartlauer der Republik Österreich", sagte der Bür- germeister und führte dann u. a. weiter aus: .Jn Steyr hat sich bereits im Herbst des vergangenen Jahres ein Komitee gebildet, das sich intensiv mit den Ereignissen des Jahres 1938 hier in unserem Raum be- schäftigte. ln dieser Gemeinschaft waren alle politischen Gruppierungen, die Ver- treter der Kirchen, der Opferverbände und auch wesentliche Zeitzeugen vertre- ten . Diese Arbeitgemeinschaft hat unter Beiziehung von Historikern die Ereignisse der damaligen Zeit aufgearbeitet und auch Veranstaltungen wie diese heutige und Publikationen vorbereitet und ausgearbei- tet. lch möchte bei dieser Gelegenheit den Mitarbeitern dieses Arbeitskreises ohne Namensnennung für ihre Tätigkeit sehr herzlich „Danke" sagen. Sie alle haben durch ihre konstruktive Zusammenarbeit ermöglicht, daß wir das Gedenken an das Jahr 1938 in Gemeinsamkeit begehen können. Wenn wir in diesen Tagen in vielen Städten und Orten Österreichs jener unglückseligen Ereignisse, die vor fünfzig Jahren über die Erste Republik hereinbra- chen, gedenken, so müssen wir, wenn wir in die Runde blicken, mit Sorge feststellen, daß das Gedenken, zu dem wir uns alle einmütig bekennen sollten, von den Schat- ten der Vergangenheit eingeholt und bei- nahe zum Mittelpunkt des politischen Ta- gesstreites wurde. Dies halte ich nicht nur für bedauerlich, sondern für äußerst ge- fährlich, weil dadurch eine klare Analyse der Ursachen des Geschehens erschwert, wenn nicht gar unmöglich wird. Dadurch Links im Bild: Anton Benya hielt die Gedenkrede im Stadttheater. Foto: Kranzmavr steyr steht nicht ganz zu Unrecht der Vorwurf im Raum, man wolle die Vergangenheit verleugnen und damit vor der eigenen Geschichte die Flucht ergreifen. Würden wir ein solches tun, so würden wir wahr- scheinlich dem Ausland den nicht unwill- kommenen Anlaß bieten, Österreich als den alleinigen Prügelknaben der Weltge- schichte hinzustellen , um dadurch von eigenen schuldhaften Vers.trickungen in die Ereignisse des Jahres 1938 abzulen- ken." Für die Notwendigkeit, die eigene Ge- schichte rückhaltlos aufzuarbeiten, nannte Bürgermeister Schwarz vor allem zwei Gründe: ,,Zum ersten sind wir dies den unzähligen Opfern des Naziregimes schul- dig. Ich meine damit jene Menschen, die im Widerstand ihr Leben für die Freiheit Österreichs opferten, ich denke aber auch an unsere Landsleute, die als Soldaten auf den Schlachtfeldern fielen, die Zivilisten, Frauen und Kinder, die im Bombenhagel starben und an die Millionen Menschen, die in den Konzentrationslagern sinnlos auf sadistische Weise hingemordet wur- den. Ihr Opfergang und ihr Sterben darf niemals in Vergessenheit geraten, denn sonst wäre es sinnlos gewesen. Ihr Ver- mächtnis muß uns stete Mahnung und Verpflichtung sein, allen Anfängen ent- schieden zu wehren, damit der Ungeist des Hitlerschen Faschismus nicht wieder auf- leben und die Welt ein zweites Mal ins Verderben stürzen kann. Zum zweiten müssen wir als für die Gegenwart verant- wortliche Generation aus der Vergangen- heit unsere Lektion lernen, damit innen- politische Fehlentwicklungen, wie sie in der Ersten Republik zweifellos geschehen sind, vermieden werden. Schließlich ha- ben wir auch an die Zukunft und die nach uns kommenden Generationen zu denken. Ihnen haben wir ein geordnetes Haus, eine gefestigte Demokratie zu übergeben, nach dem Grundsatz: Die Gegenwart gehört nicht uns, sondern ist uns von unseren Kindern nur geliehen. Lassen Sie mich daraus einen persönli- chen Schluß ziehen. Seien wir uns immer bewußt, daß Freiheit und Demokratie un- sere höchsten Güter sind. Seien wir uns bewußt, daß Demokratie ein sensibles In- strument ist, das nur mit Vernunft und Toleranz gehandhabt werden kann. Diese Toleranz sollten wir von der Lehrmeisterin Geschichte lernen und ausüben, ohne in den Fehler zu verfallen, Toleranz als Schwäche zu mißdeuten. Wir dürfen aber die Opfer jener Zeit niemals vergessen, denn über ihren Tod führte der Weg in die Freiheit und unsere Gegenwart. Wenn es uns möglich ist, in einem solchen Denken eine gemeinsame Linie zu finden, dann werden sich Faschismus und Krieg nie mehr wiederholen können und dann wird unsere Republik und unser Volk auf ei- nem guten Weg in die Zukunft sein." Anton Benya, Präsident a. D. des Natio- nalrates, skizzierte in seiner Gedenkrede eine Chronologie der Ereignisse, die zum Hitler-Faschismus führten. Nach dem Zusammenbruch der Mon- archie habe in der Ersten Republik der Glaube an die Zukunft, die Lebensfähig- keit des Landes gefehlt. Mit dieser negati- ben Einstellung sei man immer mehr in die Krisen hineingeschlittert. Daß es auch anders gehe, habe der Neubeginn in der Zweiten Republik bewiesen, der aus dem Glauben an Freiheit und Selbstbestim- mung das unmöglich Scheinende möglich gemacht habe. Die Mißachtung von Ver- fassung und Parlament, die Unfähigkeit miteinander zu reden, hätten in den drei- ßiger Jahren das Land ins Chaos geführt, sagte Benya. Die Entwicklung der Zweiten ~epublik habe aber bewiesen, daß die Osterreicher aus der Vergangenheit ge- lernt hätten und im demokratischen Mit- einander ein großes Aufbauwerk schaff- ten. 7/107

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