Amtsblatt der Stadt Steyr 1988/4

DIE SEITE DES ßüRGERMEISTERS ich danke allen Mitbürgern far die Teil- nahme an den Veranstaltungen zum Ge- denken an _r,jie Ereignisse im März 1938, durch die Osterreich seiner Unabhängig- keit beraubt wurde. Besonders freut mich das Engagement von Zeitzeugen und Leh- rern, die das Gespräch mit der Jugend suchten, um das Bewußtsein wach zu hal- ten, daß sich die Unmenschlichkeit des Faschismus nie mehr wiederholen darf Die von einem Historiker unter Beziehung aller authentischen Quellen und Originaldoku- mente geschriebenen Beiträge im Amtsblall über die NS-Diktatur in Steyr haben in allen Kreisen der Bevölkerung große Beachtung gefunden. Leider hat eine Lo- kalzeitung darauf mit der Verzerrung hi- storischer Tatsachen reagiert. Das Komitee „Gedenkjahr 1938" wird sich damit noch befassen. Die drille Novelle unseres Stadtstatuts wurde im Juli 1979 einstimmig vom Land- tag beschlossen. Nun hat c!_ie Volkspartei einen Initiativantrag auf Anderung des Statutes im oö. Landtag eingebracht. Ob- wohl dieser Entwurf gravierendste Verän- derungen vorsieht, wurde mit uns als Be- troffene mit keinem Wort darüber geredet. Auch die Steyrer Volkspartei, mit deren Vertreter wir täglich zusammenarbeiten, erwähnte weder im Gemeinderat noch in anderen Gremien Wünsche auf Ä·nderung des Stadtstatuts. Diese Vorgangsweise wi- derspricht allen demokratischen Regeln und dem von uns bisher immer gepflegten Konsensklima. Leider erlaubt es die Lan- desverfassung, daß uns die Ö VP i.'!1 Land- tag mit einfacher Mehrheit eine Anderung des Studtstuluts uufz wingt::n kunn. Obwohl laut Bundesverfassung die Ge- schäfte der Stadt durch den Magistrat zu besorgen sind, möchte die Volkspartei den Magistrat zum Hilfsorgan degradieren und den Verwaltungsapparat verpolitisieren, das heißt, alle bisher dem Magistrat zukom- menden Zuständigkeiten, die ohnehin durch Wertgrenzen eingeschränkt und in den meisten Fällen als „kleine Geschäfte des täglichen Lebens" aufzufassen sind, müßten zunächst dem Stadtsenat zur Be- handlung zugewiesen werden, was natürlich zu Verwaltungserschwernis und zeitlicher Verzögerung fahrt . Die Stadträte würden sich bei dieser Regelung mit einer Flut von Details konfrontiert sehen, was nebenberuf- lieh nicht zu bewältigen sein wird. Und in Steyr üben - im Gegensatz zu Linz - die Mitglieder des Stadtsenates, mit Ausnahme des Bürgermeisters und des Ge- schäftsfahrenden Vizebürgermeisters, ihre Funktionen nebenberuflich aus. Nun ist, offenbar in Erwartung auf die Konsequen- zen dieser Verlagerungen, im VP-Entwurf die Regelung vorgesehen, daß der Bürger- meister, die Vizebürgermeister und die Stadträte nicht dem Gemeinderat angehö- ren müssen. Es genüge, daß sie in den Gemeinderat wählbar sind. Für die Stadt Steyr würde das bedeuten, daß es anstelle von derzeit 27 Gemeinderäten und neun Stadtsenatsmitgliedern künftig 36 Gemein- deräte und neun Stadtsenatsmitglieder gä- be. Die Vermehrung um neun Gemeinde- ratsmitglieder würde trotz der außerordent- lich niedrigen Funktionsbezüge in der Stadt Steyr zu einem finanziellen Mehrbe- darf von nahezu einer Million Schilling führen. Und weil, wie oben schon gesagt, die Befassung der Stadträte mit allen De- tails der Geschäftsfahrung logischerweise zu hauptberuflichen Stadträten führen muß, kommt es zu enormer Steigerung des finanziellen Aufwandes. Bei extensiver Nutzung der Möglichkeiten des VP-Vor- schlages sind für die Stadt etwa 4 Millio- nen Schilling an Mehrkosten zu erwarten. In dieser wirtschaftlich so schwierigen Zeit, in der wir den ordentlichen Stadthaushalt aus den laufenden Einnahmen nicht mehr decken können, lehne ich diese Zumutung der Volkspartei entschiedenst ab. Neben dem finanziellen Aspekt hat aber der ÖVP-Antrag noch eine Perspektive, die ich geradezu als A!front gegen unser demo- kratisches Verständnis empfinde: Da könn- ten Personen, die nicht dem Gemeinderat angehören, aus der anonymen Masse der passiv Wahlberechtigten vom Gemeinderat als Bürgermeister, Vizebürgermeister oder Stadträte gewählt werden, ohne sich dem Votum der Bürger stellen zu müssen. Wenn bisher der Bürger eine Partei wählte, konnte er aus der Kandidatenreihung ab- leiten, wer die Spitzenpositionen besetzt. Das ist mit der von der VP angestrebten Statutenänderung nicht mehr gewährleistet. Ein Vergleich dieses Vorgehens mit der Landes- und Bundesebene, wo es nicht erforderlich ist, daß Mitglieder der Landes- regierung dem Landtag und Mitglieder der Bundesregierung dem Nationalrat angehö- ren, ist deshalb nicht gerechtfertigt, weil es sich bei den Landtagen und dem National- rat um gesetzgebende Körperschaften han- delt, was beim Gemeinderat nicht der Fall ist. Abgesehen davon unterscheidet sich je- de Gemeinde und natürlich auch eine Stadt mit eigenem Statut von den übergeordneten Körperschaften dadurch, daß eine lebendi- ge Demokratie ein besonderes Nahverhält- nis zwischen den Mandataren und den Bürgern verlangt. Das VP-Model/ steht dem sich immer mehr durchsetzenden Per- sönlichkeitswahlrecht entgegen und ent- spricht sicher nicht den Wünschen der Ge- meindebürger. Die aktuelle Bedeutung der Persönlichkeitswahl ist allein daraus er- sichtlich, daß ebenso wie die SPÖ die Ö VP zur nähere'!. Auswahl von Kandidaten für politische Amter ohne gesetzliche Ver- pflichtung Vorwahlen vornimmt. Während also auf anderen Ebenen Persönlichkeits- wahlrecht forciert wird, tut die Ö VP beim Stadtstatut genau das Gegenteil. Di_e_ wahre Absicht des Intitiativantrages der O VP, nämlich die politischen Möglich- keiten dieser Partei zu erweitern, ist u. a. auch aus jener Formulierung im Statutent- wurf abzulesen, derzufolge der Beschluß über die Geschäftseinteilung des S_~adtsena- tes sowie der Beschluß über jede Anderung mit Dreiviertelmehrheit zu fassen sind. Dies ist eindeutig als ein Angriff auf die in Steyr bestehende Zweidrillelmajorilät der SPÖ anzusehen und würde in der Praxis bedeuten, daß eine Beschlußfassung über die Geschäftseinteilung des Stadtsenates nur mit Zustimmung der ÖVP möglich wäre, wodurch diese wesentlich mehr Ein- fluß als bisher bei der Ressortverteilung hälle. Da nach der österreichischen Rechtsordnung selbst far die höchstrangi- gen Verfassungsgesetze eine Zweidrittel- mehrheit als ausreichend angesehen wird, ist es völlig ungerechtfertigt, eine qualifi- zierte Mehrheit von drei Viertel far die Beschlußfassung über die Geschäftseintei- lung des Stadtsenates zu verlangen. Durch die Hintertür der Statutenänderung will die Volkspartei in den Städten Linz, Wels, Steyr zu jenem Einfluß gelangen, der ihr durch die demokratische Wahl von der Bevölkerung nicht gege~en wurde. Die An- derungsvorschläge der O VP beinhalten Millionen-Belastungen für die Steuerzahler in Steyr, widersprechen in undemokrati- scher Weise der Persönlichkeitswahl und ve1fälschen die Gewichtung des Einflusses, der einer Partei durch demokratischen Wählerentscheid zukommt. Die Erweite- rung der Zuständigkeit des Stadtsenates· auf Angelegenheiten geringeren Ausmaßes würde zu einer totalen Verpolitisierung führen, da der Mandatar mit allem und jedem befaßt werden müßte. Ich lehne sol- che Auswüchse entschieden ab, weil sie dem Bürger nicht dienen, sondern nur Be- Bitte blättern Sie um

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