Amtsblatt der Stadt Steyr 1988/3
1938 unter Aufsicht arbeiteten . So lief ich die Mauer entlang, und da ich früher im Arbeitersport ein guter Läufer gewesen bin, hatte ich bald einen Vorsprung gegen- über Bloderer und Punzer. Ein Schwä- cheanfall zwang mich zu einer kurzen Rast, ich schaute um und sah , wie Karl Punzer geschwächt durch Folter und Haft- bedingungen stürzte. Er wurde gefaßt, zurückgebracht und hingerich tet. Bloderer gelang ebenfalls die Flucht. Über Umwege kam ich in acht Tagen und acht Nächten bis nach Bad Hall und konnte mit Steyr Verbindung aufnehmen . Anschließend fuhr ich mit einem Fahrrad nach Hinterstoder und konnte mich dort bis Kriegsende, als Schafhirt getarnt, ve r- bergen . ,, Wer sich unbelehrbar uns ent- gegenstellt, wird vernichtet" Die Verfolgung von Juden und Zigeunern Der organisierte und planmäßig durchge- führte Massenmord an sechs Millionen Juden gehört zu den grausamsten Verbre- chen. Entsprechend der rassistischen NS-Ideologie galten Juden, Zigeuner und Slawen, neben der politischen Opposi- tion, als die langfri - stig gefährlichsten Gegner, da sie be- reits durch ihre blo- ße Existenz eine Be- drohung der „ari- schen Rasse" darstel- len sollten . Obwohl in Österreich seit dem 10. Jahrhundert urkundlich feststell- bar, erklärte man sie zu „Fremdkörpern" im „deutscharischen Volkskörper" und machte sie für alle gesellschaftlichen Mißstände verant- wortlich. l>eS~ ;ro• ►t1(p ~u;m ;pu• rotr ~~ [i,en, kt t{Jt, '<tUt Wl ~n il\i'.S ~nb &ft• rwn l~m iem 1ud) ner ~tr. ~ H ~ ; mii @u ü.bi ' Wer „ f)e ffa 2)e nie „l)iefet Sd)wein ~at unferen toten &ameraben ►en, ftob(er befdJlmpft", bet €c un 20. Sjo rif, 6c dJi fü: bo bei 6~ fte fd)1 J)C h,e1- ien t;.en em 00• :.·~· ,u re Das nationalsoziali- stische Steyrer Lo- kalblatt schrieb zu Eine S:.ene aus dem Umfeld der „Reichskristallnacht". den Ereignissen anläßlich der sogenannten .,Reichskristallnacht" im November 1938, die das Pogrom an der jüdischen Bevölke- rung einleitete: ,,Auch in Steyr wurde die SS a larmiert und alle Juden wurden von den schwarzen Männern aus den Betten geholt" mit der Drohung: ,,Wer sich unbe- lehrbar uns entgegenstellt, wird vernich- tet. " Diese Art von Bestrafung (wie im Bild oben) blieb keine Seltenheit , wenn sie auch die vergleichbar harmloseste blieb. Sei bst der damalige Sparkassendirektor wurde mit der Tafel „Dieser feine Herr hat den Führer beleidigt" durch mehrere Stunden öffentlich durch Steyr geführt. ,,Diese Anprangerung habe in der Bevöl- kerung von Steyr und Umgebung sehr großes Aufsehen erregt und große Miß- stimmung hervorgerufen", hieß es in ei- nem zeitgenössischen Amtsbericht. Doch es blieb nicht bei bloßen Anprange- rungen: ,, Bis 1942 muß das jüdische Ele- ment ausgemerzt und zum Verschwinden gebracht worden sein. Kein Geschäft, kein Betrieb darf zu diesem Zeitpunkt mehr jüdisch geführt sein. Kein Jude darf ir- gendwo mehr Gelegenheit zum Verdienen haben" , schrieb am 16. April 1938 der ,, Völkische Beobachter" . 1938 gab es in Oberösterreich rund 900 Juden , von denen etwa 300, die nicht fliehen konnten, gewaltsam ums Leben kamen. Beispielsweise wurden 30 Juden in Ternberg ermordet „und im Straßengra- ben eingescharrt", berichtete 1946 die Is- raelitische Kultusgemeinde in Steyr. Neben den Juden verschleppten die Na- tionalsozialisten viele tausend Zigeuner in Konzentrationslager. Eine gnadenlose Zeit für diese Bevölkerung ... 1945 Das lebensfrohe Mädchen Sidonie aus Let- ten ll'urde /943 in Auschll'it:. 1•ergast. „ Gestorben in Auschwitz " Im März 1933 wandte sich das Ehepaar Breirather aus Letten an das Steyrer Ju- gendamt. Die Fabriksarbeiterfamilie war bereit, ein Adoptivkind in Pflege zu neh- men. Ohne zu zögern entschieden sich die künftigen Zieheltern für ein dunkelhäuti- ges Mädchen namens Sidonie Adlersburg, welches sie wie ihr eigenes Kind aufnah- men und großzogen. Doch das Schicksal der kleinen Sidonie wollte es anders: nach dem März 1938 war den neuen Machthabern das Kind ein Dorn im Auge. Von „Rassenreinheit", ,,arischer Herrenrasse" und „minderwerti- gem Leben" war die Rede, und selbst im Ort wurden Stimmen gegen das immer freundliche und hilfsbereite Kind laut. Im Herbst 1942 erhielt die Familie Breira- ther mehrere Verständigungen vom Ju- gendamt des Landkreises Steyr: Die leibli- che Mutter des Kindes sei im Tiroler Hopfgarten gefunden worden und mache Ansprüche auf ihre Tochter geltend. Hans Breirather meinte nun, daß man der Mut- ter doch das Kind nicht entziehen kann. Doch mußte er schließlich am 10. März 1943 die kleine Sidonie der Fürsorgerin übergeben. In Hopfgarten erwartet das lebensfrohe Mädchen aber nicht die versprochene Mutter, sondern ein KZ-ähnliches Zigeu- nerlager. Dem berüchtigten „Zigeunererlaß" vom 29. Jänner 1943 folgend, wurden sie dann in das Vernichtungslager Auschwitz transportiert. wo es in eine ..Sonderabtei- lung verfrachtet wurde. SS-Arzte erprob- ten an ihr die Wirkung von Typhusbakte- rien . Als die Kleine immer schwächer wurde und für weitere Versuche nicht mehr kräftig genug schien, wurde sie ver- gast. Auf dem Grabstein Johann Breirathers im Steyrer Urnenfriedhof ließen seine Frau und sein Sohn auch den Namen von Sidonie Adlersburg setzen : ,, 1933 - 1943, gestorben in Auschwitz."
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