Amtsblatt der Stadt Steyr 1988/3

1938 ZEITZEUGE JOHANN STEINBOCK: Als Priester dreieinhalb Jahre im KZ Dachau ,, Wer nicht selbst drin war, kann es sich nicht vorstellen" Der März 1938 tra f mi ch ni cht un vo rberei - t_e t. Scho n in d e n Studi enjahren wa r mir Oste rre ich als Vate rland ein großes Anlie- gen gewo rd en. Durch Ve rgle ichung der ve rschi ed ene n G csc hi chtsblk hcr wa r mir di e ste te ~c nachtc ilig ung und Minclerbe- wc rtun g Os te rre ic hs in a lld eutsch orien- ti e rt en Gesc hi chtswe rke n d eutli ch gewor- de n. In den /.wa nzigc r .l a_l~rcn glaubten a ll ;: u vie le ni cht me hr a n Os te rre ich und sa he n das I lc il nur mehr in e in em An- sc hluß a n Dc uhchl a nd , di e e in en prinzi- pi e ll, di e a nd ere n a us wirtscha ftlichen G ründ en. Ich sa h, d a ß e ige ntli ch nur die Lcg1t11111 , tc n da rnal , a n Oste rreich fest- hi e lt e n. So wa r es rnir e ine große Überra- ,chun g und I reu d e, a b im Kampf gegen de n a ull o rn me nde n Na ti o na lsoz ia lismus \'On Staat'> \\cgcn durch Bundeska nzler [)~) ll fuß d ie Paro le ausgegeben wurde : ,,Os te rre ich übe r a ll es , we nn es nur will! " Bc i;:c iten las ich /.u r Info rma ti o n Hitlers Buch „Mei n Ka mpl" und sa h da rin se inen Haß gegen (hte rrcic h un d l labs burg, und gege n d ie Jude n. So tra t ich in Ges prä - chen, Vorträgen und Schrift en für Öster- rei ch a ls Va te rl a nd e in . Den U lrm um l l itl crs Ein ;:ug hö rte ich in Ried im Innkreis a ls e in e r de r so vi e len trauernd Daheimble ibendc n. Der a ll gewaltige Ma rschtritt de r SA und SS und die schre ie ri schcn Phrase n a us allen Lautspreche rn übte n Wirkun g a us : die einen , lei cht Bcc influl.l ba re n wa re n von solcher Machtentfa ltun g fa s1 ini e rt . andere gerieten durch d ie rn ass ivc n Dro- hungen gege n a ll e Wid e rstrebe nd en in eine lä hmend e Furcht. Es sct ,.lc sogle ic h eine Verha ftun gswe ll e e in , un d im ga n1:c n herrschte e in wa hrer J>, ycho te1 ro , , vo n dem die Spä te ren, di e heul e in de1 Demo- kratie gefahrl os den Mund vo lln chrn c n können. kein e Ahnung habe n. Bei den Parte ige nosse n, di e me in e l :ins tc l- lung gut ka nnten, ga lt ich von Anfan g a n a ls „Staatsfe ind" . Ich le ite te di e S tud e n- tenkongrega ti on: wir bemühten t111, nun , a uf weltanscha uli che r Ebe ne Wid e rstan d zu leisten , z. 8 . du rch Ve rbre itung d e r Gegenschriften gege n d as NS- Ideo logie- buch „Mythus des 20. J a h rhun der ts" u. a . Der neue Gymnas ial dirc kto r ä ußc rt e sich : „ Diese doppelte Juge nd e rzie hun g mu ß aufhören!" Hausdurchsuchunge n und Z i- tierungen zur Krei sleitung fo lg1e n, 1. u- nächst noch ohn e Gewa lta nwe ndun g. Kirche während des Nationalsozialismus In einer Erklürung der ös terre ichi sc he n Bischöfe vom Mä rz 1938 hieß es : ., ... wir sind a uch der Meinung, daß durch das Wirken de r nati onal soz ia li - stischen Bewegung die Gefahr des all es zerstörenden gottlosen Bolschewismus abgewehrt wurde. . . . Am Tage de r Volksabstimmung ist es für uns Bischö- fe selbstverständliche nationale Pflicht, uns als Deutsche zum Deutschen Reich zu bekennen und wir erwarten auch von allen gläubigen Christen, daß sie wissen , was sie ihrem Volke schuldig sind." Dennoch gab es auch in Steyr viele Katholiken und Priester, die in Opposi- tion zum Nationalsozialismus standen und einige, die vor den Folgen ihres Bekenntnisses nicht zurückschreckten. Stellvertretend seien hier zwei Priester genannt, die sich in Predigten und Gebeten kritisch gegen den National- sozialismus äußerten: Herr Stadtpfar- rer Kanonikus Johann Steinbock (siehe Be ri cht) sowie der Seelsorger der Straf- a nsta lt G a rsten und Pfarrer von Kron- sto rf, Herr Leopold Arthofer, der im 1:e bru a r 1941 wegen brieflicher Äuße- rungen gegen die NSDAP verhaftet wurde und bi s April 1945 im Konzen- trati onsla ger Dachau interniert war. Vo n An fa ng an war der NSDAP daran gek ge n, di e Tüti gkeit der katholi~d1t:n Kirche 1.u behindern und gegen Ende des Krieges die s tei genden Kirchenbe- suche abt ustc llcn . Besonders di e kath o li sche Erziehung, bei spielsweise der Religionsunterricht und die Jugenda rbeit , war den Natio- nalsozialisten ein Dorn im Auge . In einem Schreiben des Seelsorgeamtes Steyr an die Gestapo Linz hieß es: ,, . . . fast wöchentlich werden Störun- gen konfessioneller Jugendveranstal- tungen geme ldet. Wiederholt wurden Jungen bei ihrer Heimkehr von der Pfarrjugendstunde blutig geschlagen." 1945 Später kamen Drohungen, ich solle mich nicht mehr abends auf der Straße blicken lassen , und öfters wurden mir die Wohn- zimmerfenster mit Steinen eingeworfen. Ein Schulverbot „ für das gesamte Groß- deutsche Reich für immerwährende Zei- ten" tat dann das übrige. Durch Verset- zung nach Stey r hatte ich einige Zeit Ruhe, sogar das Schulverbot war offenbar in Steyr ni cht beka nnt, ich erteilte wieder Unte rri cht. Abe r a ls dann die österreichische Frei- he itsbewegung immer mehr aufkam, griff die Gesta po auf alle als Staatsfeinde Ein- ges tuften zurück. Ich wurde ebenfalls zi- ti e rt ; sie hielten mir vor, daß in der Fre ih e itsbewegung vier Gruppen beisam- me n wä ren: Kath olische Jugend, Monar- chi sten, Heimwehrer, Kommunisten . (So- 1: ia li stcn nannten sie nicht.) Ich sollte An- ga ben machen über eine Anzahl Geistli- che, die verdächtig wa ren . Da dies nicht geschah, erging der „Schutzhaftbefehl" : „Ka plan Steinbock Joh a nn gefährdet nach dem Ergebnis der staatspoli zeilichen Fest- ste llungen durch sein Verhalten den Be- stand und die Sicherheit des Volkes und des Staates, indem er e iner Betätigung zum Nachteile des De utsch en Reiches in- nerhalb einer illegal e n Organi sa tion drin- ge nd verdächtig ist. " Ich wurde nun im KZ Dachau Schutzhäft- ling Nr. 29.112. Die Gesta po vo n Linz fuhr mir nach einem Jahr nach Dacha u nach : .,S ind Sie schon bereit zu reden?" ., Nicht? Da nn bleiben Sie eben hi e r. " Das da ue rte fas t dreieinhalb Jahre bi s zur Befre iung durch die Amerikaner. Dachau war wohl nicht direkt al s Vernich - tungs lager gedacht, aber durch Willkür d e r SS , Drangsalierung durch Capos und Stubenpersonal, Arbeit, Hunger und Kra nkheiten war man keinen Tag se ines Lebens sicher. Viele SS-Männ e r hatten sadi sti sche Freude a n der Ausübun g ihrer unbeschrä nkten Macht. Auch bediente s ich di e SS manche r Hä ftlin ge zur Dra ng- sali e rung ihrer Mitge fan genen , und leider tat s ich eine Anzahl da sehr hervor . Wir Gei stlichen stand en d adurch beso nders „zwi schen zwei Feuern". KZ ist eine totale Rechtl os igkeit, nicht zu vergleichen mit e iner Haft nach e inem Gerichtsurteil. Man darf wo hl sagen: wer nicht selbst drin war, ka nn es sich einfach nicht vorstellen . Ich beze uge, daß das KZ wirklich so war; ich bezeuge es gegenüber allen, die es ver- harmlosen wollten oder gar unsinnigerwei- se behaupteten , die Amerikaner hätten nach dem Krieg die Lager selbst aufge- baut. Vielmehr haben sie die großen Lei- chenhaufen angetroffen , für die die Kre- matoriumsöfen nicht mehr gere icht hatten. Am 29. April 1945 abends befreiten nach Kämpfen in der Umgebung die Amerika- ner das Lager. Unter unbeschreiblichem Jubel fuhren sie durch das Jourhaus-Tor herein. Wohl flammten danach noch ein- mal in der Nähe mit heftigem Geschütz- donner Kämpfe auf, aber die SS konnte das Lager nicht mehr zurückerobern. - Wir sind frei; das große Weh ist nur, daß es anderswo Unfreiheit auch heute gibt.

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