Amtsblatt der Stadt Steyr 1988/3

1938 1945 Kugellagerll'erk und Siedlung Miinichhol:.: National.m:.ialü ti.w·hl' llii.1·1t111gs- und Wohnbaupolitik. Das Märchen von „Arbeit, Brot und Wohnung für alle'' Die Entwicklung der Stadt Steyr ab 1938 ist ein Musterbeispiel dafür, wi e di e Na ti o- nalsozialisten es vers tanden, kr iegswirt- schaftliche Ziele mit sozialen Ansprü chen zu verdecken . So wu rden durchwegs grö- ßere Wohnbauvo rhaben erst in Zusam- menhang mit dem Ba u von Ind ustri ea nl a- gen geplant. Der Ausbau de r Stadt Steyr stand in enger Verbindun g mit der Aufr ü- stung des Dritten Reiches und den Vo rbe- reitungen eines bevorstehenden Kri cges. Bereits 1938 wurde von offi ziell en Ste ll en ein Plan präsentiert, der nach Angabe der Na tiona lsoziali sten „Arbeit und Bro t"scha f- fen sollte „für viel e la nge Jah re und fü r viele tausend Volksge nossen". Beso nders in der von der Weltwirtscha ftskri se ge- zeichneten Arbeiterstadt Steyr fi elen na- türlich die Worte, daß d ie „Verh ä ltni sse Hunderter von Arbeitern , di e in Ba racken wohnten" , untragbar se ien und da he r „den schaffenden Volksgenosse n eine dem deutschen Arbeiter würdi ge Hei mstä tte" errichtet werde , auf fr uchtbare n Boden. Damit spielte sich der Nationalsozia lismus al s Retter der Arbeiter und Besei ti ger des Arbeiterelends auf. Das eigentli che Ziel des Ausbaues der Stadt Steyr und der Steyr-Werke wird aber beim Ausbruch des Zweiten We ltkrieges kl ar sichtba r. Die 6000 Arbeitslosen der Stadt Steyr wa ren innerh alb weniger Mona te wieder in Ar- beit, und neue Arbeitskräfte mußten ge- hol t werden. Hier in Steyr a rbei teten nun 9390 Arbeitskräfte vorwiegend für di e Rü - stung. Diese Zahl sollte sich bis Kriegs- ende verdreifachen. Diese Pläne brachten eine ständige Zunahme der Bevölkerung mit sich . Ende 1941 erreichte die Stadt bereits die 50.000-Einwohner-Grenze. Da die Bevölkerungsziffer von offiziellen Stel- len bereits bei Kriegsbeginn mit 70.000 berech nt:t wurde , muß ten di e Stadt und d ie Werke :i n ein er umfan greichen Schaf- fun g von Wohnraum bemüht sein . llrn nu n „ihrer um das Vi elfache gestiege- nen (il:l'o l •,c h:i l't so rasch als möglich ge~ undc und wü rdi ge Wohnu ngen zu sc ha ffen", cnhc hlosscn sich die Steyr- We rke ,.um Ba u der Großs iedlung in Mü- n ichhnl1.. ein em de r •rii l3tcn Wohnungs- ba up rogra mme in de r Os tma rk. Das „ne ue Steyr", wie Mnnichh olz von den Mac hth abe rn propagand is ti sch ge nannt wurd e, so ll te Wohnra um fü r 20.000 bis 30.000 Menschen biete n und den „ frem- den" de ut sc hen /\ rhei tskrüften, di e durch d ie Stey r-Werke „A rbe it und Brot" fan- den. und ihren Nachk ommen l leimat we r- den. Mit der Pl anung und Durchführu ng wur- de di e Wohnun gsa kti engese ll scha ft de r Reichswerke „Hermann Göring" betra ut, deren wi chti gs tes Ziel es war. d iese au ßer- gewöhnli chen Sied lungsa ufgaben im Zuge des kri egs bedingten Ausbaues der Schwe r- industrie zu übernehmen . So wurde be- rei ts 1936 Generaloberst Göring mit ei- nem Vi erj ahresplan beauftragt, der d ie en tsprechenden Geldmittel und Rohsto ffe sichers tellte und Zwangszuweisunge n von Arbe itskrä fte n für den Aufbau der Rü- stun g durchführte. De r bes tehende lnteressensgegensatz zwi- schen Ar beitern und Unternehmern wur- de durch das Hervorstreichen des „Ge- meinwohl s vor dem Eigennutz" bewußt ve rd eckt, womit auch ersichtlich wird, daß die Nationalsozialisten entgegen ihren ständ igen Beteuerungen auf der Seite des Kapitals und der Industrie standen. Von allen Himmelsrichtungen und Gauen des Großdeutschen Reiches strömten nun Menschen nach Steyr und fanden hier eine neue Arbeitsstätte. Ein typisches Bei- spiel dafür ist der Weg eines ausgesteuer- ten Arbeiters aus St. Pölten nach Steyr: „Als d ie Nationalsozialisten einmarschierten , habe ich eine Notstandsunterstützung bekommen. Ich mußte dann aufs Arbeitsamt in St. Pölten gehen, und dann hat es geheißen, daß alle, die jetzt vorgeladen wurden , nach Steyr oder nach Bremen in eine Flugzeugfabrik gehen müssen ; ansonsten wird d ie Notsta ndsunterstützung gestrichen . Ich meldete mich daher nach Steyr, wei l ich in St. Pölten meine Familie hatte, und fing in Steyr zu arbeiten an . Meine Fra u und meine Kinder blieben in zwischen in St. Pö lten . . Da die familiäre Situat ion durch die T rennung unmöglich wurde, wollte ich aufhören . Di es wurd e mir von der Direktion verweigert mit der Begründung, daß ich den Steyr-Werken zugete ilt se i. So bekam ich in Münichholz eine Wohnung ..." Unter ähnlichen Umständen gelangten weitere Bevölkerungsgruppen wie Südtiro- ler und Bukowinadeutsche nach Steyr. Oberstes Ziel war es, di e gigantischen Wohnbauvorhaben als Ausdruck national- sozialistischer Größe und Stärke zu zeigen und die Überlegenheit des Regimes her- vorzustreichen. Münichholz sollte zum Beispiel werden, wie nach dem Woh- nungselend in der Ersten Republik der Nationalsozialismus „ trotz Krieg und Schwierigkeiten den Arbeitseinsatz stän- dig verstärkt und die Leistung gesteigert werden konnte". ,,Während über England die Stukas dröhnen, während Städte in Trümmer zerfallen", sei hier in Steyr „dank der schützenden Hand des Führers und der Stärke der deutschen Wehrmacht aufgebaut und das Richtfest einer neuen Stadt begangen worden" . Gerade aber in der Propaganda der Natio- nalsozia listen spiegelt sich die zweideutige Haltung wider. Man tritt offen als Beseiti- ger des Arbeiterelends auf, verfolgt aber gleichzeitig mit der Errichtung neuer Wohnungen und Arbeitsplätze nur kriegs- wirtschaftliche Ziele. Damit mußten wiederum Tausende Menschen unfreiwil- lig ihre Heimat verlassen. Durch diese Politik sollten schließlich Millionen Men- schen in den Tod getrieben werden.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2